Olympische Spiele der Hoffnung

Von Sigi Heinrich

Immerhin gibt es einen kleinen, klitzekleinen Trost: Es wird Sommer, so richtig sogar. Das ist aber auch schon alles an positiven Meldungen in einer Zeit, in der in dieser Welt nichts mehr so zu sein scheint, wie wir das gewohnt sind. Die Bilder der Flutkatastrophe mitten in Europa haben uns alle geschockt, weil das Unheil praktisch in der Nachbarschaft war und nicht mehr wie früher aus der Ferne nur über die Bildschirme flatterte. Wir äußerten Bedauern und dann gingen wir wieder über zur Tagesordnung. Uns betraf es ja nicht. Das ist Geschichte. Wir sind mittendrin im Chaos und das Motto, das auszumachen ist, deutet Hilflosigkeit an: Augen zu und durch.

In Großbritanien werden alle Maßnahmen gegen Corona jetzt ausgesetzt, die Gesundheit der Menschen scheint nicht mehr wichtig zu sein. Premierminister Boris Johnson treibt ein gefährliches Spiel. In Silverstone waren beim Formel-1-Rennen 150.000 Zuschauer zugegen. Alle sollten getestet oder geimpft gewesen sein. Es ist ein Witz schlechthin, dass die Tests selbst vorgenommen werden konnten. Die Rücksichtslosigkeit des britischen Piloten Lewis Hamilton, der kurzerhand mal seinen Konkurrenten Verstappen bei 250km/h von der Strecke schoss, passt in das Bild. Augen zu und durch eben, auch wenn es das Leben kosten könnte. Angesichts der vielen Toten in den Katastrophengebieten ist das ein Hohn. Zehn Sekunden Zeitstrafe für Hamilton. Immerhin gibt es da noch einen klitzekleinen Trost: Wenn die Formel-1 so weiter macht, erledigt sie sich irgendwann selbst. Sturzfestival im Radsport Auch der Radsport hat so seine Probleme, unabhängig von Dopingrazzien und einem Sieger, dessen Überlegenheit schier unbegreiflich ist. Die Etappen werden immer intensiver, Stürze mehren sich. Die Fahrer wissen, dass es auch um ihr Leben geht und es ist fast ein Wunder, dass bislang noch nicht mehr passiert ist als Knochenbrüche, die irgendwann heilen. Das pflegt den Mythos des härtesten Radrennens der Welt und an eben diesem Mythos soll möglichst nicht gekratzt werden. Im Gegenteil: Er soll noch verstärkt und ausgebaut werden. Von den Fahrern selbst ist keine Gegenwehr zu erwarten. Ihre Sponsoren, ihre Geldgeber haben sie längst entmündigt. Alle machen mit bei der Tour der Leiden mit der Hoffnung auf den Jackpot, der sie im Sattel hält. Einmaligkeit als große Chance Die einmalige Chance nutzen: Ja, das ist eine Triebfeder, die nicht zu unterschätzen ist, siehe Olympische Spiele. Seit Pierre de Coubertin sie 1896 wiederbelebt hat, ist ihre Einmaligkeit das größte Kapital. Olympiasieger ist man für immer. Wer eine Silbermedaille gewinnt, ist schon der größte Verlierer. Und doch haben viele auch noch das Motto verinnerlicht, dass es schon ein Erfolg ist, wenn man überhaupt dabei sein kann. Diese Mär hält sich unausrottbar, wird aber vor allem in diesem Tagen massiv unterhöhlt, weil die schönen Geschichten vom großen Treffen der Sportwelt der Vergangenheit angehören. Die Stimmung vor den Olympischen Spielen in Tokio ist gedrückt. © APA/afp / PHILIP FONG

Das olympische Dorf, früher der große Treffpunkt, ist in diesen Pandemiezeiten ein großes Gefängnis. Dafür hat man das verführerische Wort von einer Blase erfunden. Ein Kokon, der Sicherheit suggerieren soll. Abstand, Maske, Testen. Kontakt zur Bevölkerung ist untersagt. Die Olympioniken werden wie Gladiatoren in ihre Arenen geführt. Zuschauer freilich gibt es nicht. Atmosphäre soll über Lautsprecher kommen. Künstliche Stimmung soll so erzeugt werden, während die Menschen draußen Angst haben, dass diese Spiele zu einem Superspreader-Event werden, wie das neudeutsch so heißt. Ein riesiger, unkontrollierbarer Ansteckungsherd also.

Ein Großteil der Japaner will diese Veranstaltung deshalb auch nicht. Und es hat auch insgesamt bereits über 50 positive Coronafälle gegeben. Und schon einer ist einer zu viel. Augen zu und durch. Es geht um viel. Vor allem um viel Geld. Da scheint das Leben an sich zweitrangig geworden zu sein. Das Spiel geht weiter, die Spiele auch. Sie werden durchgeführt. Was bleibt ist in diesen Tagen nur noch die Hoffnung darauf, dass alles gut gehen wird. Überall.

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Olympische Spiele der Hoffnung

Die schönen Treffen der Sportwelt gehören der Vergangenheit an. Das olympische Dorf, früher der große Treffpunkt, ist in diesen Pandemiezeiten ein großes Gefängnis. Darauf geht Sigi Heinrich in seiner neuen Kolumne unter anderem ein.

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