Der Ball hängt am Erdgas

Ich möchte an dieser Stelle ausnahmsweise mal nicht mit eigenen Worten beginnen, sondern meinen britischen Kollegen David Winner, einen profunden Kenner der Fußballszene, in Auszügen zitieren. &bdquo;Je mehr man über diese Weltmeisterschaft erfährt, desto klarer wird: Dieses Turnier hätte nie stattfinden dürfen.“ Im Weiteren erläuterte er, dass es vor der Veranstaltung genügend Hinweise auf gravierende Menschenrechtsverletzungen gegeben habe.

Sein Text bezieht sich auf die WM-Endrunde 1978, die während der Militärdiktatur in Argentinien ausgetragen wurde. Heute geht man von 30.000 Todesopfern aus, von denen die meisten damals spurlos verschwanden. Viele Regimegegner wurden in der Militärakademie ESMA gefoltert, ganz in der Nähe des River-Plate-Stadions, wo das Finale stattfand, das dann auch noch Argentinien nach diversen Winkelzügen gewann. Sehr zur Freude der Militärjunta. Einige Länder überlegten übrigens, nicht an dieser Weltmeisterschaft teilzunehmen. Am Ende waren alle, die sich qualifizierten, doch dabei.

Auch das DFB-Team ist in Katar dabei. © POOL / ARNE DEDERT

Einige Aussagen deutscher Spieler erschüttern mich heute noch. So meinte der damalige Kapitän Berti Vogts: &bdquo;Argentinien ist ein Land, das in Ordnung ist. Ich habe keinen einzigen politischen Gefangenen gesehen.“ Und Manfred Kaltz sagte laut Medienberichten: &bdquo;Ich fahre da hin, um Fußball zu spielen, nichts sonst. Belasten tut mich das nicht, dass dort gefoltert wird. Ich habe andere Probleme.“ Paul Breitner, der wegen Querelen mit dem Deutschen Fußball-Bund damals nicht dabei sein durfte, positionierte sich seinem Naturell entsprechend glücklicherweise anders. &bdquo;Verweigert den Generälen den Handschlag“, forderte er.

Alle qualifizierten Teams sind dabei Jetzt sind wir in Katar bei einer Weltmeisterschaft, von der nun plötzlich viele der Meinung sind, dass man sie auch nie dorthin vergeben hätte dürfen. Und neuerlich ist die Frage brennend, wie politisch kann und darf und soll der Sport sein. Es gab im Vorfeld beim Bau der Stadien keine 30.000 Toten, aber jeder einzelne ums Leben gekommene Arbeitsmigrant war einer zu viel. Amnesty International veröffentlichte im August des vergangenen Jahres einen Bericht, in dem von 15.000 Nicht-Kataris die Rede war, die gestorben sein sollen im Zeitraum von 2010 bis 2019. Nicht einmal 70 Prozent davon seien richtig aufgeklärt worden.

Das „Stadium 974“ ist eine der Spielstätten in Katar. © AFP / KIRILL KUDRYAVTSEV

Auch diesmal überlegten einige Nationen, diese WM zu boykottieren. Aber auch diesmal sind wieder alle gekommen, die einen Platz in diesem Weltturnier ergattert haben. Den regierenden Scheichs ist es gelungen, mit ungeheurem PR-Aufwand den kritischen Stimmen ihren Schwung zu nehmen. Vor ein paar Tagen hat das Emirat Katar eine Million Euro an eine Stiftung des Fußball-Verbandes Rheinland vergeben. Natürlich mit entsprechendem Medienauftritt. Dafür sollen im Ahrtal, das im vergangenen Jahr von einer gewaltigen Hochwasserkatastrophe getroffen wurde, Minifußballfelder gebaut werden. Der Vorsitzende der Stiftung, Walter Desch, lobte denn auch die Fortschritte in Katar und gab unumwunden zu, dass er sich sehr wohl der Tatsache bewusst sei, dass er sich zum Instrument der katarischen PR-Maschine gemacht habe.

Die Politik gibt klein bei Katar ist mächtig. Zu mächtig, denn Katar hat im Überfluss, was die Industrieländer so dringend benötigen, um den Wohlstand ihrer Bevölkerung weiterhin zu garantieren: Erdgas. Dafür macht schon mal der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck einen Bückling vor dem Emir von Katar. Bundeskanzler Olaf Scholz reist an und die Innenministerin Nancy Faeser spricht von guten Gesprächen und lobt Fortschritte. Sie wird zur WM wieder anreisen, weil sie, wie sie staatstragend meinte, die Mannschaft unterstützen wolle, ja müsse.

Katar hat alle gefügig gemacht. Man hat acht neue Fußballstadien gebaut in einem Land, das nur 11.500 Quadratkilometer groß ist (zum Vergleich Südtirol: 7400 Quadratkilometer) und gibt sich allergrößte Mühe, weltoffen zu sein. Für die nächsten vier Wochen jedenfalls. Die Politik und die Spitzenfunktionäre des Fußballs haben klein beigegeben und sich der wirtschaftlichen Bedeutung Katars gebeugt.

Erst Anpfiff, dann Erdgas Spieler, die sich in diesem Umfeld dennoch kritisch zu Katar äußern würden, stünden ohne Rettungsschirm auf dem Platz. Sie können nur dann auch meinungsstark auftreten, wenn sie Rückhalt haben, der, wie gesagt, ja nicht gegeben ist. Letztlich ist es dann doch wie immer: Der Sport hat nicht genug Kraft und auch nicht genug Mut, um seine exponierte gesellschaftliche Position in das politische Geschehen einzubringen. Lehren aus der Vergangenheit verschwinden mit dem ersten Anstoß am Mittelkreis. Die Formel diesmal ist freilich einfach: Erst der Anpfiff, dann das Erdgas.

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