Fans sind nur mehr ein Accessoire des Fußballs

Es konnte beim besten Willen nicht überraschen, dass die Fans von Inter ihrer Freude über den 19. Meistertitel mächtig Ausdruck verleihen wollten. Dass dann 30.000 die Innenstadt von Mailand zum Tollhaus machten und Maskenpflicht und Abstand nur noch Worte ohne Inhalt waren, ist die Kehrseite einer an sich schönen Medaille.

In England machten auch Fans auf sich aufmerksam, wobei es vor dem Spiel von Manchester United gegen den FC Liverpool noch nicht um eine Meisterfeier ging. Dort stürmten die Anhänger von United das Stadion &bdquo;Old Trafford“, um ihren Unmut über das Konstrukt ihres sogenannten Vereins deutlich zum Ausdruck zu bringen. Entfacht hatte den Ärger die angedachte Gründung der Super-League, die von den Fans in Europa mehrheitlich abgelehnt wurde. Super-League-Gespenst ist nicht verschwunden Inter und Manchester United wollten auch mitmachen. Jetzt ist der Plan zunächst gescheitert. Gänzlich verschwunden ist das Gespenst allerdings noch nicht, denn es geht in diesem Fall nicht um irgendeine krude Idee, sondern um ein Geschäftsmodell für die Vereine, die längst nicht mehr Clubs im herkömmlichen Sinn sind.

Bis auf Real Madrid und den FC Barcelona sind alle anderen Teams, die an diesem neuen Fußball-Monopoly teilnehmen wollten, in den Händen von Firmen, Oligarchen oder Scheichs aus der arabischen Halbinsel. Gerne schmücken sich mittlerweile auch chinesische Gruppierungen mit europäischen Vereinen, die – pardon – demnach keine Vereine mehr sind, weil deren Mitglieder längst entmachtet worden sind. Wir haben es mit Betriebsteams zu tun. Der neue Meister ist ein Chinese Inter wurde 2016 von der Suning Holdings Group gekauft, die Haushaltsgeräte produziert und zu den erfolgreichsten Firmen in China gehört. Und Manchester United ist im Besitz des Firmenimperiums des amerikanischen Geschäftsmannes Joel Glazer, dessen Vater Malcolm einst früh erkannte, dass man mit Sportvereinen mächtig viel Geld verdienen kann mit immer neuen Geldgebern, mit Verkäufen und Beteiligungen. Ohne Rücksicht auf Traditionen natürlich, denn diese sind nur hinderlich, wenn es darum geht, aus eingebrachtem Kapital immer mehr zu generieren.

Inter-Fans feiern den Meistertitel. © AFP / PIERO CRUCIATTI

Die Romantik ist am Ende. Die Fans von Inter haben das für einen Moment vergessen in ihrem Jubel um den Sieg, der natürlich auch damit zu tun hat, dass damit Juventus nach neun Titeln in Folge vom Thron gestoßen wurde. Aber im Grunde sind die Fans von Inter ebenso wie jene von Manchester United und allen anderen schon lange aufs Abstellgleis geschoben worden. Gerade jetzt, wo sie nicht ins Stadion dürfen, wird ihnen das besonders schmerzhaft deutlich gemacht. Sie sind nur mehr ein Accessoire im Fußball-Getriebe. Gespielt wird auch ohne sie. Später sollen sie und dürfen sie wieder für Stimmung sorgen und können dann freudetrunken ihre Leidenschaft ausleben, dafür auch noch bezahlen, um dann für 90 Minuten zu vergessen, für wen sie gerade jubeln. Für die Milliardäre nämlich, für die sie im Einsatz sind. Die haben dann auch gute Laune, denn gute Stimmung ist gut fürs Geschäft. Der Verein, der nicht mehr existiert So allmählich indes verstehen die Fans, dass ihnen der Boden unter den Füßen weggezogen wird. Deshalb gab es auch den Protest in Manchester, der in seiner Form natürlich unentschuldbar ist. Aber vielen wird jetzt bewusst, dass sie einen Teil ihres Lebens verloren haben. Der Fußball war ihnen eine Stütze. Der Verein gehörte zur Familie, zum gesellschaftlichen Leben. Er bot Gesprächsthemen und sicherte die Wochenenden. Gefühle und Emotionen kochten hoch.

Die geplante Super-League hat vielen die Augen geöffnet. Der neue Fußball ist nur noch ein Geschäft und damit für die Fans ein abstraktes Konstrukt. Ihr sogenannter Verein ist bewegliche Geschäftsmasse. In den USA ist das längst Alltag. Da passiert es mitunter auch, dass ein Team seinen Standort ändert, weil der Besitzer das so will. Dann würde Inter etwa in Bari spielen müssen. Und nein, das ist kein Witz. Das wäre tatsächlich eine Option, wenn, wie gesagt, die chinesischen Eigentümer das so beschließen würden.

Gut, das wird wohl nicht passieren. Aber immerhin: Es macht deutlich, wie machtlos die Fans geworden sind, denn das ist sie, die aktuelle Fußball-Welt. Was den guten alten Anhängern der ehemaligen Vereine bleibt ist nur noch der selbstgestrickte Schal als Erinnerung und die alte Liebe. Viel ist das nicht mehr.

Serie A Italien	SP	TV	P
1. Inter	33	79:18	86
2. Milan	33	64:39	69
3. Juventus	33	47:26	64
4. Bologna	33	48:26	62
5. Roma	32	57:38	55
6. Atalanta	32	59:37	54
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Sigi Heinrich rechnet in seiner Rubrik SIGINSIDE mit dem System Profifußball ab. Was den Kult-Reporter besonders stört: Wie tief der Stellenwert der Fans in den letzten Jahren gesunken ist.

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