Sigi`s Spitzen: Ferrari im Schneckentempo

Sigi Heinrich ist jahrzehntelanger Sportreporter und TV-Kommentator.

Wie muss man sich das jetzt vorstellen, wenn Mattia Binotto, der Teamchef von Ferrari, sagt, sie müssten jetzt &bdquo;jeden Stein umdrehen“ ? Werden die Schraubenschlüssel entsorgt, gar auf den Müll geworfen oder vielleicht verschenkt? Trifft sich die gesamte Mannschaft in Carrara, um in den Marmorbrüchen zu arbeiten? Denn augenscheinlich beherrscht seine Equipe ihr angestammtes Handwerk nicht, das da lautet, einen Rennwagen möglichst so zu bauen und stets zu optimieren, dass er konkurrenzfähig ist in der Formel 1. Es sind erschütternde Zahlen, die das erste Rennen offenbarte. Egal ob es augenscheinlich geradeaus geht oder, was vorkommen kann auf einem Kurs, Kurven absolviert werden müssen: Ferrari fährt den bösen schwarzen Autos aus Stuttgart meilenweit hinterher. Dazu kommt noch die Unsicherheit des nun wirklich zweiten Fahrers, Sebastian Vettel, der in seinem letzten Jahr in Italien augenscheinlich auch nicht den besten fahrbaren Untersatz bekommt. Den gibt man in Maranello Charles Leclerc, dem erst 22-jährigen Monegassen, dem wohl die Zukunft gehört. Vettel ist bereits noch am Steuer sitzende Legende. Ungenutzte Zwangspause Allerdings darf man nun angesichts der Schlappe in Spielberg (auch wenn der 2. Platz von Leclerc achtbar war) schon fragen, was haben Binotto und seine Mannen seit den ersten Testrennen in Barcelona gemacht? Es kamen die Absagen wegen Corona. Gut oder nicht gut. Aber in dieser Zwangspause wäre doch Zeit genug gewesen, den roten Renner wettbewerbstauglich zu machen. Haben sie nur mit Modellautos gespielt in Maranello in der Zwischenzeit oder war die gesamte Truppe in Quarantäne mitsamt all den Vorsätzen, die man sich für die neue Saison vorgenommen hatte? Hilflosigkeit macht sich breit im Ferrari-Rennstall. Schon der erste ernsthafte Aufgalopp hat gezeigt, dass die eigenen Pferdchen schwächeln. Den Ferrari-Fan trifft das in Mark und Bein. Mehr und mehr geht von der Aura, die dereinst auch Michael Schumacher mit seinen Erfolgen maßgeblich mitgeprägt hat, verloren. Faszinierende Schönheit Dabei können die ehemaligen Silberpfeile, die jetzt aussehen, als kämen sie gerade von einem Einsatz im Krieg der Sterne zurück, nach wie vor nicht diese Sehnsucht vermitteln, die jeden Motorsportanhänger spontan überfällt, wenn man nur das Wort &bdquo;Ferrari“ in den Mund nimmt. Ferrari ist ein Mythos, ein irgendwie auch typisches italienisches Phänomen, das uns immer wieder in seinen Bann zieht. Die gestalterische Kompetenz etwa der Blechkleider für einen fahrbaren Untersatz auf vier Rädern gehörte jahrelang fast ausschließlich Italienern. Scaglietti, Bertone, Zagato, Pininfarina und natürlich dem uns vielleicht geläufigsten Künstler- denn das waren sie alle - Giorgio Giugiaro. Bella Italia eben. In jeder Beziehung. Die schönsten Möbel, die besten Tenöre, die schönsten Frauen. Die schnellsten Autos auch. Früher mal. Ein wenig ist ja noch übrig geblieben von diesem Glanz. Alfa Romeo zum Beispiel ist immer noch ein Fahrzeug außerhalb des &bdquo;Mainstreams“. Aber die wunderschöne Studie des &bdquo;Tonale“, eines kleineren SUV, scheint auf der Strecke zwischen Idee und Realität zwischen irgendwelchen Förderbändern zerquetscht worden zu sein. Das ist nur ein Beispiel. Auch die Formel-1-Mannschaft von Ferrari scheint die Phase, die sie für notwendige Anpassungen ihres Boliden geschenkt bekommen hatte, total verschlafen zu haben. Viele Weckrufe wird es jetzt nicht mehr geben. Sonst droht wirklich der Steinbruch.

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