Sigi's Spitzen: Die Ellenbogenmentalität ist zurück

Sigi Heinrich

In Japan wären die Olympischen Spiele jetzt eben auf der Zielgeraden. Fast schon vorbei quasi. Die Vorbereitung auf dieses Großereignis war dennoch nicht für die Katz. Nächstes Jahr werde ich meine Kenntnisse über Land und Leute – hoffentlich – doch noch anbringen können. Covid-19 wird es vermutlich dann immer noch geben und das Virus wird den Umgang miteinander auch weiter beeinflussen, wobei man in Japan schon immer viel Wert auf Abstand gelegt hat. Händeschütteln zur Begrüßung gilt nicht nur als unschicklich, sondern wird dort als Eingriff in die Privatsphäre betrachtet. Und man soll, habe ich gelernt, seinem Gegenüber nicht zu tief ins Gesicht schauen. Aufdringliches Staunen wird als unangenehm empfunden. Ich werde mir das natürlich merken und mich verstärkt an die neue Begrüßungstechnik halten. Ellenbogen abwinkeln und hochhalten und dann nichts wie ran an den Feind. Dieser Ellenbogen, ja der hat es geschafft. Aus einem Körperteil, der uns mitunter schon viel Ärger gemacht hat (Tennisarm,“ Yips“ beim Golf), ist eine Stütze der Gesellschaft geworden. Händeschütteln war gestern und der &bdquo;Hongi“, der Nasengruß der Inuit, kam bei uns eher selten zum Einsatz. Schade natürlich, dass wir uns mit dem Coronavirus auch von der wunderbaren französischen Begrüßung verabschieden mussten. Vier Küsschen, butterweich und zart an die Wange (mit der linken beginnen bitte) gehaucht, und schon konnte man mit etwas Glück ein verführerisches Parfum erahnen. Ich war immer gerne in unserer Sendezentrale in Paris. Horrorsturz überschattet Polen-Rundfahrt Von den Niederländern ist mir kein besonderes Begrüßungszeremoniell bekannt. Vor Corona hat man sich schlicht, wie mehrheitlich üblich, die Hand zum Gruße gereicht. Immerhin kann ja auch der Händedruck schon viel über einen Menschen aussagen. Klar freilich dürfte jetzt sein, dass der ausgefahrene Ellenbogen in den Niederlanden keine große Karriere machen wird. Er wurde nämlich böse missbraucht. Nicht direkt für ein Attentat aber doch für eine Aktion, die man ihm, dem modernen Ellenbogen der Pandemie, nicht mehr zugetraut hatte. Dylan Groenewegen hat bei der Polen-Rundfahrt im Zielsprint seinen Landsmann Fabio Jakobsen mittels eben des Ellenbogens in die Absperrgitter gedrängt. Der Sturz war so heftig, dass man lange sogar um das Leben von Jakobsen zittern musste. (Er ist jetzt über den Berg). Auch Groenewegen musste operiert werden (Schlüsselbeinbruch). Weitere Rennfahrer wurden ärztlich behandelt. Ein Horrorszenario, das in der Radsportszene natürlich für viel Aufregung sorgte. Die Aussagen gipfelten in der Bemerkung, dass dies ein Mordanschlag gewesen sei, was selbstredend Schwachsinn ist. Abschüssige Zielankunft Es war nämlich schlicht ein Vorgang, der so unüblich nicht ist. Zielankünfte im Radsport nach langen Flachetappen mit den besten Sprintern in besten Positionen gehören zu den Höhepunkten jeder Rundfahrt. Und sie sind gefährlich. Es ist sowieso verwunderlich, dass es dabei verhältnismäßig selten zu Stürzen kommt und ist wohl auch nur der Klasse der Fahrer zu verdanken. In dem vorliegenden Fall, der ersten Etappe der Polen-Rundfahrt, kam indes als Sturzbeschleuniger hinzu, dass es am Ziel bergab ging. Mit mehr als 80 km/h kämpfte das Feld um die besten Plätze und die Preisgelder. Ein Ellenbogen zu viel löste das Chaos aus. Es ist kein guter Start gewesen für den Radsport in dieser seltsamen Zeit, in der man vielleicht besser fahren würde, wenn man gar nicht erst in den Sattel stiege. Alle wollen nämlich jetzt möglichst schnell alles nachholen, was man bislang versäumte. Für Fairplay und Rücksichtnahme ist kein Platz mehr. Jeder ist sich selbst der Nächste. Und der Ellenbogen, der auf einem so guten Weg war, verliert dabei seine Unschuld und ist wieder da, wo er vor Corona war.

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