Das Biathlon-Karussell dreht sich

Die Nachrichtenlage aus der Ukraine ist nach wie vor düster und verdunkelt sich eigentlich jeden Tag. Da ist es schwer, im kleinen Kosmos Biathlon entspannt über die Saison zu referieren, die letztlich nämlich intensiver im Zeichen des Putin-Angriffs stand, als man das annehmen möchte. Schließlich hat die Internationale Biathlon Union (IBU) wie viele Sportverbände– leider nicht alle –Russland und Belarus aus dem Wettkampfbetrieb ausgeschlossen. Und die ukrainischen Athletinnen und Athleten hatten anderes im Kopf als Biathlon. Sie fürchten und kämpfen nach wie vor um ihr Leben. Sprint, Verfolger, Massenstart sind weit weg. Nah sind nur die Bomben der Russen mit ihrer zerstörerischen Kraft.

Deshalb ist es berührend zu sehen, wie auch im Biathlon eine Welle der Solidarität für die Ukraine auch äußerlich sichtbar gemacht wurde von allen Nationen. Viele haben sich auch bereit erklärt, die ukrainischen Sportler bei der Vorbereitung auf die nächste Saison zu unterstützen. Sofern der Krieg bis dahin ein Ende gefunden hat. In jedem Fall wird nächstes Jahr alles anders werden. Nicht nur für das russische Team, sondern auch für jenes aus Belarus. Leider im Moment eben auch für die Ukraine. Die russischen Männer beenden die Saison auf dem sechsten Platz in der Nationenwertung und verlieren damit einen Startplatz, sofern sie überhaupt noch mal starten dürfen, woran im Moment nicht zu denken ist. Auch Belarus verliert einen Startplatz, weil man von Platz neun durch die Sperre auf den 14. Platz zurückfiel. Italien verpasst weitere Startplätze Profitiert hat bei den Männern das italienische Team, das durch den leichter gemachten fünften Platz im nächsten Jahr sechs Startplätze bei den Männern zur Verfügung hat. Nach dem Rücktritt von Dominik Windisch stellt sich indes die Luxusfrage, wer diese Plätze einnehmen soll. Bei den Damen verliert Belarus einen Startplatz. Am intensivsten davon profitiert Tschechien, das sich von Platz elf (vier Startplätze) auf Rang fünf (sechs Startplätze) katapultiert hat, wobei der Ausfall von Dorothea Wierer im letzten Sprint in Oslo und die vielen Probleme der Lisa Vittozzi in dieser Saison den Tschechinnen zu diesem ungewöhnlichen Sprung verholfen haben. Nur ein paar Punkte mehr und die italienischen Damen hätten in der nächsten Saison sechs Startplätze besetzen können. Die jungen Wilden wie Rebecca Passler, Linda Zingerle oder Hannah Auchentaller hätten davon profitieren können. Jetzt bleibt es bei fünf durch den sechsten Platz wie schon seit Jahren.

Ein Rätsel in dieser Saison: LisaVittozzi. © AFP / MARCO BERTORELLO

Schmerzhaft und traurig aber ist vor allem der unverschuldete Verlust eines Startplatzes der ukrainischen Teams. Die Männer steigen ab von Rang neun auf den 14. Platz. Den ukrainischen Damen um die Olympiasiegerin von 2014, Julia Dzyma, ging es ähnlich. Auch sie büßen einen Startplatz ein. In dieser Situation ist die IBU gefragt. Ich richte einen dringenden Appell an die verantwortlichen Funktionäre, die ukrainischen Resultate der Saison 2020/21 für die kommende Saison zu übernehmen: Den neunten Platz für die Männer und den fünften Platz für die Frauen. Das ist das Mindeste, was man tun kam, um außerhalb symbolischer Solidarität auch ein wirkungsvolles, sportliches Zeichen zu setzen. Zahlreiche Rücktritte Es ist eben nichts mehr so wie früher. Durch den von Putin angezettelten Krieg gegen die Ukraine sowieso, aber eben auch durch den Beginn einer neuen Olympiade, denn schon immer gibt es alle vier Jahre eine Welle an Rücktritten zu diesem Zeitpunkt. Allerdings war sie noch nie so riesig, ja fast unüberschaubar, wie in diesen Tagen. Wenn ich jetzt versuche, alle aufzulisten, muss ich von vorneherein um Nachsicht bitten, falls ich einen Namen vergessen haben sollte.

Nicht mehr dabei sein werden also (Ladies First): Susan Dunklee, Clare Egan (USA), Maren Hammerschmidt, Karolin Horchler (Deutschland), Selina Gasparin (Schweiz), Anais Bescond (Frankreich) Elisabeth Högberg, Ingela Andersson (Schweden), Amanda Lightfood (Großbritanien), Fuyuko Tachizaki (Japan) und Eva Puskarcikova (Tschechien). Ob die Liste vollständig ist, werden die nächsten Wochen zeigen, denn vor allem einige Damen überlegen wohl noch, wobei auch die Familienplanung eine Rolle spielen dürfte. Bei den Männern ist definitiv Feierabend für Eric Lesser (Deutschland), Dominik Windisch (Italien), Benjamin Weger, Martin Jäger (Schweiz), Simon Desthieux (Frankreich) Leif Nordgreen (USA), Scott Gow (Kanada) und Klemen Bauer (Slowenien). Auch hier könnten noch die einen oder anderen Namen hinzukommen. Auch bei den Trainern wird gewechselt Kräftig an Fahrt gewonnen hat das Trainerkarussell. Auch das ist stets am Ende einer olympischen Periode normal, doch auch hier ist das Tempo diesmal schwindelerregend hoch. Bei dem für Österreich tätigen Ricco Gross aus Deutschland wurde der Vertrag nicht verlängert. Alexander Wolf, ebenfalls aus Deutschland, hört bei den Schweizern auf und geht zurück als Trainer zur Polizeischule in Bad Endorf. Allerdings war das wohl schon bei seiner Einstellung vor zwei Jahren so geplant gewesen.

Und auch Italien muss sich gänzlich neu orientieren. Die Ära des Andreas Zingerle, der als Athlet und zuletzt als Trainer bei acht Olympischen Spielen dabei war, ist zu Ende. Er will keine Koffer mehr packen und endlich mehr Zeit für sich und die Familie haben. Da diese Posten besetzt werden müssen, entstehen garantiert in anderen Nationen unverhofft Lücken, so dass sich das Karussell noch eine Weile ziemlich rasend drehen wird. Es bleibt spannend, auch wenn der Schnee längst geschmolzen ist und sich die ersten Blumen der Sonne entgegenstrecken. Und außerdem steht ja unverrückbar eines fest: Der nächste Winter kommt bestimmt.

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