Keine Schüsse mehr im Biathlon

Die Angst geht um. Und natürlich geht es dabei wieder einmal um Veränderungen, vor denen man sich immer fürchtet. Die Gewohnheit ist ein liebgewordenes Gut, jede Abweichung wird schnell als Katastrophe gesehen, ja gar als Revolution. Dem Biathlonsport, in der Gunst des Publikums mittlerweile in einigen Ländern die Wintersportart Nummer eins, droht ein Kahlschlag. So zumindest könnte man die vielen Meldungen interpretieren, die derzeit schier mit Lichtgeschwindigkeit durch die Medienwelt rasen. Womit wir fast schon beim Thema wären, denn es geht um Gewehre, die mit Laser auf die im Biathlon verwendeten Scheiben zielen. Die Europäische Chemikalienbehörde, ein Pendant zur Gurkenbehörde, die der Krümmung der Gurke mit einer Gurkenkrümmungsverordnung den Garaus gemacht hat, erklärte, dass künftig auf Blei in der bislang genutzten Munition verzichtet werden muss. Wird jetzt guter Rat teuer? Keine Patronen mehr für das Kleinkalibergewehr, keine Schüsse mehr, die laut durch die Stadien hallen und Treffer auslösen, die dann euphorisch stimmlich begleitet werden? Biathlon, die stumme Sportart? Gemach Freunde. Zum einen wird jetzt erst einmal in mehreren Ausschüssen der Europäischen Union ein mögliches Verbot diskutiert. Und das ist ja schon eine erste gute Nachricht, denn solche Zusammenkünfte ziehen sich erfahrungsgemäß in die Länge. Erst Anfang des nächsten Jahres sollen wissenschaftliche Ergebnisse an die EU-Kommission übermittelt werden. Das ist schon die zweite gute Nachricht, denn erst danach kann überhaupt darüber nachgedacht werden, eine Entscheidung zu treffen. Zudem wird da noch die Stunde der Lobbyisten schlagen, von denen es in Brüssel ganze Heerscharen gibt. Den Biathleten zur Seite stehen da sicher erst einmal die Angler, deren Köder mit Blei beschwert werden, weil Blei eine hohe Dichte hat und somit schon kleine Gewichte ziemlich schnell in die Tiefe sinken. Die Diskussion über das Verbot startete vor drei Jahren. Alternativen sind vorhanden Noch also bleibt Zeit, um sich Alternativen zu überlegen, denn irgendwann in diesem Jahrhundert wird das Bleiverbot kommen. Darüber sollte man sich klar sein. Nicht morgen, nicht übermorgen, aber eines Tages wird dann sogar eine Europäische Kommission zu einer Entscheidung kommen. Bei den viel zitierten Gurken hat man es letztlich ja auch geschafft, die Krümmung zu korrigieren. Die Angler haben schon Alternativen gefunden. Sie können Wolfram verwenden statt Blei.-Das weißglänzende Schwermetall hat sogar eine noch höhere Dichte. Es ist freilich teurer als Blei und zudem ein sogenannter Konfliktrohstoff, weil sein Abbau in Entwicklungsländern mit Korruption, Menschenrechtsverletzungen und Geldwäsche in Verbindung gebracht wird. Biathleten haben es da eigentlich einfacher, denn sie könnten von heute auf morgen ihre Kleinkalibergewehre umrüsten, um dann mit Laser auf die Scheiben zu schießen. Und um alle, die sich wahnsinnig um die gute Stimmung im Stadion sorgen, zu beschwichtigen: Es ginge auch weiterhin laut zur Sache, denn bei jedem Schuss ertönt ein Knall wie bisher auch und bei jedem Treffer fällt die Scheibe, so dass es visuell von der Zuschauertribüne betrachtet keinen Unterschied gibt zu einem Schuss mit einer Patrone aus dem Magazin. Sogar der Ablauf für die Sportler bliebe gleich. Sie müssen repetieren wie vorher auch. Nur der Rückstoß bleibt aus. Vieles wäre sogar einfacher als bisher. Die in vielen Ländern unterschiedlichen Waffengesetze würden wirkungslos werden. Das Gewehr ist keine Waffe mehr im herkömmlichen Sinn, weil keine tödlich wirkende Munition benutzt wird. Ohne Blei ins neue Jahr Den vielen Vorteilen stehen natürlich auch Nachteile gegenüber. Nur bei wirklich gutem Wetter könnte der Wettkampf durchgeführt werden. Schneefall, den es im Winter ab und zu trotz Klimawandel noch geben könnte, wäre ein Hinderungsgrund ebenso wie Nebel natürlich dem Laser den Garaus machen würde. Dem steht aber auch eine massive Einsparung gegenüber. Munition ist eben nicht mehr notwendig. Bei 10.000 Schüssen sind da schnell 4000 Euro weg. Im Umkehrschluss hieße das auch, dass die Nachwuchsarbeit mit dem Lasersystem erheblich kostengünstiger ist, zumal es dann keine Umstellung mehr geben würde vom Luftgewehr zum Kleinkalibergewehr, wie das in manchen Ländern noch üblich ist. Ich weiß, dass sich im Moment niemand im Biathlonlager mit einer solchen vermutlich durchaus als kleine Revolution zu bezeichnenden Veränderung anfreunden kann. Doch die Galgenfrist wird irgendwann ablaufen. Seit fünf Jahren gibt es schon keine Utensilien mehr für das traditionelle Bleigießen an Sylvester. Auch Wasserfarbkästen, Buntstifte und Fingerfarben unterliegen längst einer EU-Verordnung. Malbücher gibt es trotzdem noch und so wird es auch diesmal so sein wie so oft in der Geschichte. Noch immer ist das Leben nach jeder Revolution weitergegangen. Deshalb ist mir nicht bange um den Biathlonsport. Und wenn alle Stricke reißen, könnte man ja notfalls auch mit Pfeil und Bogen schießen. Das ist jetzt kein Witz, denn darüber hat man vor einigen Jahren tatsächlich ernsthaft nachgedacht und sogar einen Test durchgeführt. Zum Glück war das Ergebnis kein Volltreffer. Zum Autor: Sigi Heinrich Der renommierte Sportjournalist, Buchautor und vielfach ausgezeichneter Eurosport-Kommentator (u.a. Gewinner des Deutschen Fernsehpreises und des Bayerischen Sportpreises) widmet sich in seiner Kolumne &bdquo;Sigi´s Spitzen“ nicht nur der gesamten Vielfalt des Sports. Auch Themen außerhalb seines gewohnten Metiers beschäftigen ihn. Mal sehr ernsthaft, oft auch mit einem verschmitzten Augenzwinkern und mitunter auch bewusst provozierend. Es solle ja für alle etwas dabei sein.

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