Gedopt zur Goldmedaille

Unser Kolumnist, Eurosport-Kommentator Sigi Heinrich, nimmt Valieva dennoch in Schutz, weil er ahnt, dass sie hilflos einem gnadenlos auf Erfolg getrimmten Umfeld ausgesetzt ist.

Die Nacht war kurz für Jeffrey Benz aus den USA, Vesna Berkant Rakocevic aus Slowenien und den italienischen Vertragsrechtler Fabio Iudica, der den Vorsitz hatte. Etwa sieben Stunden dauerte die Anhörung des Ad-hoc-Panels des Internationalen Sportschiedsgerichts CAS im Fall der des Dopings überführten russischen Eiskunstläuferin Kamila Valieva, die per Video zugeschaltet war. Gegen zwei Uhr morgens fiel die Entscheidung. Das sogenannte &bdquo;Wunderkind“, die haushohe Goldfavoritin der Damenentscheidung, die am Dienstag mit dem Kurzprogramm beginnt, darf starten.

Um das gleich zu Beginn noch einmal klar zu stellen: Es ging bei der Entscheidung der drei Mitglieder des CAS nicht um die Dopingfrage an sich, sondern ausschließlich um die Tatsache, ob die provisorische Sperre für Valieva wieder eingesetzt werden sollte. Diese Sperre hatte zunächst die russische Dopingagentur RUSADA ausgesprochen, deren Disziplinarkommission hat sie einen Tag später schon auf Einspruch von Valieva wieder aufgehoben. Getestet worden war die Dopingprobe des russischen Eissternchen in Stockholm, das Ergebnis wurde indes erst am 8. Februar bekanntgegeben, einen Tag nach Beendigung des Team-Wettbewerbes, zu dem Valieva mit zwei grandiosen Vorstellungen zur Goldmedaille ihrer Mannschaft beigetragen hatte. Der Dopingtest wurde übrigens am 25. Dezember 2021 genommen im Rahmen der russischen Meisterschaften in St. Petersburg. Russlands Vorgeschichte Kompliziert ist das alles und ich ahne, dass es einen großen Aufschrei geben wird, der nicht verwundern darf. Zum einen startet Russland nach wie vor &bdquo;unter Beobachtung“. Das heißt, dass bei Siegerehrungen die Nationalhymne nicht gespielt werden darf und auch der Auftritt nur unter dem Dach des russischen Olympischen Komitees stattfinden darf. Es sind dies immer noch die Nachwirkungen des ungeheuren Dopingskandals von Sochi 2014, als der Gastgeber wissentlich Dopingproben vertauschte und die Sportwelt zum Narren hielt. Die Vernichtung von Beweisen und das kaum merkliche Entgegenkommen bei der Aufarbeitung des Skandals, den Whistleblower aufgedeckt hatten, die heute noch die Öffentlichkeit scheuen müssen, führte zu einer vierjährigen Sperre wegen Manipulation von Doping-Daten. Dass diese dann von der Weltdopingagentur WADA auf zwei Jahre verkürzt wurde, empfanden viele als Skandal, auch wenn offiziell Russland von den Spielen in Tokio und Peking ausgeschlossen ist.

Wenn man es rigoros auslegt, sollten die russischen Athleten vielleicht mit ihrer Ausnahmegenehmigung teilnehmen dürfen, aber im Grunde nur außer Konkurrenz. Trotzdem gewinnen sie Gold und werden im Medaillenspiegel unter ROC (Russisches Olympisches Komitee) geführt. Wenn man das nicht versteht, ist das in Ordnung, denn das ist an Inkonsequenz nicht zu überbieten und zeigt wieder einmal, wie wenig Durchschlagskraft die Institutionen haben im Kampf gegen Doping, wobei sie sich immer wieder selbst durch fragwürdige Entscheidungen im Wege stehen.

Die Entscheidung pro Valieva fiel, weil man ihr die Chance nicht nehmen wollte, Olympiasiegerin zu werden, falls später, nach den Spielen, ein Freispruch erfolgen sollte. Das ist ehrenwert, aber leider auch der falsche Weg. Eine nachweislich gedopte Sportlerin starten zu lassen, ist ein Freibrief für mögliche Nachahmer, zumal ja noch nicht einmal alle Fälle der erschwindelten Erfolge von Sochi 2014 aufgearbeitet sind. Allerdings hat die Causa Valieva auch einen Aspekt, der noch immer zu wenig im Focus steht: Die Athletin selbst hat, soweit lehne ich mich aus dem Fenster, nie bewusst das auf der Dopingliste aufgeführte Herzmittel Trimetazidin genommen, das für eine erhöhte Blutzirkulation sorgt und Erschöpfungszustände hinauszögern kann. Im medizinischen Bereich wird es kaum noch verwendet. Als leistungssteigerndes Mittel ist es augenscheinlich immer noch aktuell, obwohl es seit 2014 auf der Dopingliste steht. Was kann Valieva dafür? Ich will, ja ich muss an dieser Stelle eine Lanze brechen für Kamila Valieva. Sie ist 15 Jahre alt. Fünfzehn. Die geht nicht in eine Apotheke und sagt, dass sie dieses Mittel benötigt, weil sie schließlich Olympiasiegerin werden will. Sie wird von Trainern, Ärzten und Physiotherapeuten rund um die Uhr betreut. Und es gibt Aussagen von ehemaligen Athletinnen, die mittlerweile für andere Länder an den Start gehen und die klar dokumentieren, dass die Einnahme von Pillen zur täglichen Routine gehört. Es erinnert stark an das staatlich gesteuerte System der ehemaligen DDR. Leidtragende waren und sind dabei immer nur die Aktiven, deren Gesundheit ebenso auf´s Spiel gesetzt wird, wie ihre Karriere, sollten sie überführt werden.

Auch im Fall von Valieva genügt es nach den Olympischen Spielen deshalb nicht, sich auf die positive Dopingprobe der Eiskunstläuferin zu konzentrieren. Das Umfeld von ihr muss von neutraler Stelle genauestens unter die Lupe genommen werden, denn was in diesem Fall abläuft, ist ein Verbrechen. Und zwar auch noch eines an einer minderjährigen Sportlerin, die vor den Machenschaften eines scheinbar gewissenlosen Machtapparates, dem Erfolg über alles geht, geschützt werden muss.

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Gedopt zur Goldmedaille

Der Fall der russischen Eiskunstläuferin Kamila Valieva schlägt hohe Wellen. Trotz einer kürzlich nachgewiesenen positiven Dopingprobe darf sie nach dem Teamwettkampf auch die Entscheidung im Einzelwettkampf der Damen bestreiten.

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