Ein Maulkorb auch für Wierer

Ein Traum. Schließlich ist das ja noch nicht verboten. Also: Dorothea Wierer sitzt gemütlich im olympischen Dorf von Peking in einer Kneipe. Dort trifft sich momentan die sportliche Weltelite und die Südtirolerin hat so die Chance, auch mal andere Stars aus anderen Sportarten zu treffen. Mal raus aus dem Biathlonkosmos. Vielleicht läuft ihr sogar Shaun White über den Weg, die Snowboard-Legende, die es wieder geschafft hat, ein Olympiaticket zu erhalten.

Oder sie begegnet jemand aus ihrem Team aus einer anderen Sportart als Biathlon. Tut gut und nett ist das und immer auch eine schöne Abwechslung, denn, so hat das Wierer gelernt und wir alle auch: Bei den Olympischen Spielen trifft sich schließlich die Jugend der Welt. Na gut, das mit der Jugend ist ein dehnbarer Begriff. Dann dürften ja im Sommer etwa die Springreiter gar nicht mehr in den Sattel steigen. Aber da wollen wir nicht so pedantisch darauf quasi herumreiten. Das ist ok. Nur, das mit dem lockeren Beisammensein, dem Gedankenaustausch, dem Kennenlernen, das ist Geschichte. Das war einmal. Der Traum ist längst ein Albtraum geworden. Als die olympische Welt diesbezüglich noch in Ordnung war, haben etwa die Eishockeyspieler aus Deutschland dem sogenannten und legendären &bdquo;Kufenstüberl“ den Rodlern und Bobfahrern einen Besuch abgestattet. Es soll dabei, so erzählen einige der damaligen Teilnehmer mit leuchtenden Augen, auch das eine oder andere kleine Bierchen über den Tresen gewandert sein. Und natürlich hat man sich ausgetauscht. Meinungen machten die Runde, Geschichten wurden erzählt. Eine Drohung Die Erinnerung daran ist wichtig gerade, denn in Peking wird nichts, gar nichts davon auch nur annähernd möglich sein. Alle Athleten werden ihre sogenannte Blase nicht verlassen dürfen und das heißt im Grunde: Sie werden behandelt wie Strafgefangene auf einem gemeinsamen Ausflug. Die Ketten an den Füßen fehlen. Damit würde sich ja auch schlecht Sport betreiben lassen. Und dennoch werden alle in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt, wobei diese vor allem auch die geistige Freiheit betrifft. Die Gedanken sollen kontrolliert werden und weil das zum Glück noch nicht möglich ist, sollen sie zumindest eingesperrt bleiben in den Köpfen der Athleten. Peking hat diesbezüglich eine klare Drohung ausgesprochen. Keine Empfehlung. Eine Drohung. Da heißt es etwa, dass &bdquo;jegliche Kritik am olympischen Geist, besonders gegen chinesische Gesetze und Regularien Bestrafungen nach sich ziehen würden“. Prügelstrafe, Entziehung der Akkreditierung, Essensentzug, Einzelhaft gar? Es ist ein Schreckgespenst, das um die Blase herum wabert. Stille wollen die Ausrichter dieser Spiele.

Das Thema Menschrechte steht sowieso auf dem Index. Aber ein Skifahrer soll sich auch nicht über mögliche ungenügende Schneeverhältnisse äußern. Ein Skispringer soll nicht erzählen dürfen, wie er die Schanzen findet. Schon gar nicht, wenn er sie nicht mag. Ein Biathlet darf den Wind nicht beklagen, der das Schießen so schwer macht. Und über das Essen und die Unterkunft hat man gefälligst Stillschweigen zu bewahren, wenn es nicht den gewohnten Ansprüchen genügt. Mikrophone, die Athletinnen und Athleten mit einer sogenannten Angel – wegen Corona -entgegengestreckt werden, sind mithin eine Erfindung des kapitalistischen, westlichen Teufels. Jedes Wort aus dem Munde eines Sportlers und erst recht jenes eines Funktionärs wird garantiert einer intensiven Untersuchung unterzogen werden. Und wehe, das Wort Hongkong oder Tibet oder gar Uiguren fällt: Dann fällt auch der Vorhang für die Spiele. Die Kontrolle geht längst auch über das gesprochene Wort hinaus. Die Corona-Tests, die auf einer App aufgelistet werden, öffnen der Kontrolle aller Teilnehmer Tür und Tor. Längst haben viele Länder ihren Sportlern geraten, den persönlichen Laptop oder das persönliche Handy zuhause zu lassen. Und die mobilen Telefone, die ausgegeben werden, sollten auch in China gelassen werden. Das spart zum einen die Zollgebühren dafür bei der Ausreise und auch möglichen Zugriff auf die gespeicherten Daten nach den Spielen. Ein Gefühl der Ohnmacht Die Ausrichter dieser Olympischen Spiele verschanzen sich mit ihren Maßnahmen gegen ein freies Leben bei dieser Veranstaltung, dem angeblich schönsten Sportfest der Welt, gerne hinter Covid-19. Aber vermutlich passt es allen ganz prima gerade ins Konzept, dass man unter dem Omikron-Deckmantel allen die Daumenschrauben anlegen kann. Statt Freude wird Angst und Schrecken verbreitet. Ich habe viele olympische Spiele besucht und kommentiere meine 14. Eröffnungsfeier für Eurosport. Und immer, sogar noch 2008 bei den Sommerspielen in Peking, machte sich eine gewisse Vorfreude bemerkbar. Jetzt geht es mir, wie fast allen, die hier ihren olympischen Traum verwirklichen wollen mit dem Gewinn einer Medaille: Es ist ein Gefühl der Ohnmacht, die ständiger Begleiter ist. Jede Bewegung, die nicht dem Sport dient, wird kritisch beäugt werden, jedes Wort unterliegt einer eingehenden Prüfung, jeder Kontakt gar außerhalb der Blase endet vermutlich in einem Quarantäne-Hotel, in dem man dann nicht einmal die Fenster öffnen darf. Dazu kommt noch die Sorge um mögliche positive Coronatests, die dann ja auch das Ende aller Hoffnungen wären. Es werden bedrückende Olympische Spiele werden, Spiele der gnadenlosen Kontrolle, die uns allen, die wir glücklicherweise nicht in China leben müssen, klar machen, wie gut wir es eigentlich haben und welch hohes Gut unsere Lebensform ist, die es gestattet, dass wir uns wirklich frohen Herzens zum Kaffee treffen können.

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Ein Maulkorb auch für Wierer

Die Kontrollschrauben bei den Olympischen Spielen in Peking, die am 4. Februar beginnen, werden immer fester angezogen. Unser Kolumnist Sigi Heinrich erinnert sich noch an Spiele, in denen sich alle in lockerer und gelöster Atmosphäre treffen konnten.

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