Für den Olympischen Traum alles in Kauf nehmen

Falsch abgebogen wahrscheinlich. Irgendwo in der Luft muss das passiert sein, während gerade ein Film half, die Zeit zu vertreiben auf dem Flug nach Peking. Denn wie sonst ist es zu erklären, dass alles so unwirklich ist nach der Landung. Ist es noch die Erde? Im eigens wohl für uns reservierten Terminal laufen nur beinahe computergesteuerte Figuren in weißen Raumanzügen umher. Passkontrolle, Gepäckuntersuchung. PCR-Test. Schmale Augen lassen so halbwegs erkennen, dass dahinter vermutlich doch Menschen aus Fleisch und Blut ihrer Arbeit nachgehen. Die besteht in erster Linie darin, Viren in uns herauszufiltern. Und wehe, das Ergebnis ist positiv. Dann ade schöne Olympiawelt. Die Angst ist jetzt ständiger Begleiter. Nicht jene vor einer Formdelle oder einer Unpässlichkeit anderer Art. Es ist die pure, nackte, dauerschweißproduzierende Furcht vor einem positiven Coronatest.

Denn immerhin gibt es trotz Blase bereits über 100 Fälle. Positive Fälle. Und es werden täglich mehr. Doch auch diese Prozedur findet mal ein Ende und bitte: Was tut man nicht alles für die Olympischen Spiele. Sogar grüne Männchen, eingeflogen direkt vom Mars, würden wir akzeptieren, denn es gibt halt doch nichts Größeres, als eben den Kampf um eine Olympiamedaille. Dafür nehmen die Aktiven männlichen und weiblichen Geschlechts nun wirklich alle Opfer auf sich, um ihre Träume wahr werden zu lassen und um uns zuhause in unserem Schlafrock (viele Wettbewerbe finden wegen der Zeitverschiebung nachts statt) zu beglücken. Und ehrlich: Wir stehen ja gerne auf für ein Ereignis, das sich trotz aller Bedenken weit über alle Veranstaltungen erhebt. Wir wollen mitgenommen werden auf die olympische Reise bei Eurosport und wir hoffen natürlich auf goldene Momente, auf elektrisierende Augenblicke, auf unvergessliche Darbietungen, die uns den Atem rauben. Und wir werden garantiert nicht enttäuscht werden, wenn etwa im Eiskunstlauf die Grazien dieser Welt ihren Auftritt haben. Valieva verführt zum Träumen Da gibt es eine 16-jährige Russin aus Moskau. Kamila Valieva läuft nicht etwa einfach so über das Eis. Nein, sie ist viereinhalb Minuten in einem Schwebezustand. Unterbrochen nur von ein paar Sprüngen mit natürlich vierfacher Umdrehung um die Körperlängsachse. Alles Höchstschwierigkeiten, die mit unfassbarer Grazie ihr Programm auf eine neue, bislang noch nie gesehene Ebene transferieren. Ich habe sie bei den Europameisterschaften und bei Grand-Prix-Wettbewerben gesehen. Sie könnte locker mit ihrer Punktzahl bei den Männern mithalten, ja dort sogar gewinnen. Und ohne eine Eisprinzessin wären die Spiele nicht komplett. Das hat uns auch immer Carolina Kostner auf eindrucksvolle Art gezeigt. Aber man weiß ja nie. Die Spannung bleibt auch hier bis zur letzten Pirouette. Die Russin freilich hat alle Anlagen, um einer der großen Stars dieser Parade der weltbesten Sportler und Sportlerinnen zu werden. Ein Oldie in der Halfpipe Andere sind es längst und sind immer noch nicht müde. Ihr Medaillenhunger ist schier unersättlich. Frag nach bei Shaun White, der Snowboardlegende, der ein richtiger Nimmersatt ist. Drei Goldmedaillen hat er in der Halfpipe bereits gewonnen. Er ist mit einem geschätzten Nettovermögen von mehr als 50 Millionen Dollar garantiert der reichste Olympionike in Peking und reiht sich dennoch mit unveränderter Begeisterung brav in das Starterfeld ein, in dem sich hauptsächlich heranwachsende Erwachsene befinden. &bdquo;Hallo Opa, hast du dich verlaufen?“, könnten sie alle zum jetzt 35-jährigen Oldie sagen. Doch sein Auftritt verleiht der Szene eine magische Komponente. Shaun White zeigt mit seiner Teilnahme, dass die Olympischen Spiele nach wie vor das Nonplusultra sind, auch in einer Sportart, in der sich die Aktiven die Freiheit des Seins auf ihre Schultern geschrieben haben und sich dennoch für eine mögliche Medaille in die engen Schranken einer Sportorganisation quetschen lassen. Das ist Olympia. Unwiderruflich.

Shaun White ist der heimliche Olympia-Star. © APA/getty / SEAN M. HAFFEY

Denn in einer Saison wie dieser mit den Spielen in Peking wissen alle, dass ein Scheitern in China Erfolge vorher im Weltcup oder auch hinterher zur Makulatur werden ließen. Jedwede Trainingseinheit wurde auf diesen Saisonhöhepunkt ausgerichtet. So mancher hat schon mal ein paar Rennen vorher einfach ausgelassen, weil man einfach auch kein Risiko eingehen wollte. Wie schnell etwas passieren kann, sahen dann alle bei Sofia Goggia, die fast alle Abfahrten dieser Saison dominierte und dann in Cortina d´Ampezzo bei ihrem Heimrennen stürzte. Sie hatte noch Glück im Unglück, weil ihre Speedrennen relativ spät im Programm stehen. Da bleibt noch etwas Zeit zur Genesung. Allerdings kann sie jetzt nicht wie vorgesehen bei der Eröffnungsfeier die Fahne Italiens ins Vogelnest tragen. Diese Ehre wurde an ihrer Stelle der Snowboardcross-Olympiasiegerin von PyeongChang 2018, Michela Moioli, zuteil. Nur Kunstschnee für die Turteltauben Auch wenn nicht eine einzige, schöne und gut geformte natürliche Schneeflocke auf den Skipisten und Snowboardkursen zu finden ist und alles nur dank Schneekanonen in ein allerdings nicht sehr einladendes weißes Kleid getaucht wurde, stehen sicher erneut die alpinen Wettbewerbe im Focus. Ein Liebespaar wird dabei vor allem die Boulevardgazetten beschäftigen. Mikaela Shiffrin (USA) und Aleksander Aamodt Kilde aus Norwegen sind das Traumpaar im Schneezirkus. Erfolge indes sind nicht wie etwa bei unserem russischen Eissternchen mehr oder weniger fix gebucht. Über allem liegt die große Unsicherheit über die Tagesform und das Wissen, dass die Konkurrenz nicht gekommen ist, um den turtelnden Ski-Assen großzügig die Medaillen zu überlassen, damit sie dann aus diesen möglicherweise gar Brautringe schmieden lassen. Dominik Paris wird bei der Abfahrt dagegen steuern und Petra Vlhova´ aus der Slowakei vermag ebenso gut wie Shiffrin durch die Slalom-Tore zu fegen.

Der US-Skistar hat ja vor, alle Wettbewerbe zu bestreiten. Ein großes und engagiertes Vorhaben. Und sollte Goggia nicht mehr fit werden (Daumen drücken bitte) stünden ja Federica Brignone bereit oder die Delago-Schwestern aus Gröden. Wer weiß? Kalt wird es auf jeden Fall werden. Die Temperaturen sollen bis zu minus 20 Grad gehen. Vor allem die Biathlontruppe muss Vorsicht walten lassen, damit der Zeigefinger, der normalerweise den Schuss im Kleinkalibergewehr auslöst, nicht zu Schaden kommt. Warm einpacken heißt das Motto. Eine FFP-2-Maske genügt da leider nicht und Italien hat mit Dorothea Wierer, Lisa Vittozzi, Dominik Windisch und Lukas Hofer schließlich eine Bronzemedaille zu verteidigen in der Mixed-Staffel. Das ist in diesem Jahr der erste Wettbewerb der Skijäger im Rahmen der Spiele am kommenden Samstagvormittag. Ich freue mich darauf. Denn neben Eiskunstlauf, der Eröffnungs-und Schlussfeier kommentiere ich bei Eurosport natürlich auch Biathlon. Schade, dass Naturbahnrodeln nicht olympisch ist. Da wären sichere Medaillen für Italien dank Südtiroler Qualität wahrscheinlich gewesen und billiger wäre alles auch gekommen. Der neue Eiskanal vor Peking hat nämlich schlappe 1,2 Milliarden US-Dollar gekostet. In jeder Beziehung einzigartig. Eine US-Amerikanerin für China Und die Gastgeber? Die müssen sich verbiegen, dass vermutlich jede Sehne hinterher jahrelang schmerzt und die Muskeln brennen wie Feuer. Denn die bekannteste, berühmteste und aussichtsreichste Chinesin ist eine US-Amerikanerin. Kein Witz. Die 18jährige Eileen Gu, die in der Halfpipe und im Slopestyle teilnimmt, hat Skifahren in Lake Tahoe gelernt, arbeitet nebenbei als Model und studiert an der Eliteuniversität in Stanford. Ihr Papa ist US-Amerikaner, ihre Mama Chinesin. Sie beherrscht den Double Cork 1440. Das sind zwei Salti mit vier Drehungen. Gu ist damit die erste und einzige Athletin, die diesen Sprung beherrscht und ist somit klar eine Medaillenanwärterin. &bdquo;Niemand kann leugnen, dass ich Amerikanerin bin, und niemand kann leugnen, dass ich Chinesin bin“, sagt sie selbstbewusst. Auf der chinesischen Internetplattform &bdquo;Weibo“ hat sie 23 Millionen Follower. 23 Millionen. Wahnsinn. Die offizielle Politik Chinas verbietet eigentlich zwei verschiedene Staatsbürgerschaften. Dass eine Sportlerin einen chinesischen und einen amerikanischen Pass besitzt und für China startet, ist in dieser Welt des gegenseitigen Misstrauens und der dauernden Spannungen zwischen beiden Ländern eine beinahe schon versöhnliche Situation. Eileen Gu ist ein Bindeglied zwischen zwei so gegenseitigen Welten. Es geht also doch…. Olympia macht es möglich.

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