Lähmende Stille am Schießstand

Es waren schöne Bilder. Die Gipfel der Alpenkette glitzerten wie frisch geschliffene Juwelen und die Häuser im Tal duckten sich mit ihren schindelbedeckten Dächern in ihren Nischen. Und vier Tage lang jubelten vor dieser eindrucksvollen Kulisse mehr als zehntausend Fans ihren Lieblingen zu, wie sie kraftvoll und doch elegant ihre Langlaufskier durch die Loipe sausen ließen. Zwischendurch legten sie einen Stopp ein, um ein paar Mal mit dem Gewehr, das sie auf dem Rücken trugen, ein paar Schüsse auf die vormontierten Scheiben abzugeben. Dort, wo sich im Sommer der Parkplatz befindet. Die Bilder verzauberten, aber sie spielten eine heile Welt vor. Es war der Vorspann bei Eurosport, dem Fernsehsender, bei dem ich seit 33 Jahren kommentiere, für die Biathlonrennen zuletzt in Ruhpolding. Die Aufnahmen waren vom Dezember aus Le Grand Bornand in Frankreich.

Aktuelle Bilder wären dröge gewesen, denn in Deutschland waren keine Zuschauer zugelassen, wie das auch in dieser Woche in Antholz der Fall sein wird. Nach meinen Rennen verfolgte ich unser Programm natürlich auch weiterhin und traute meinen blauen Augen kaum. In Wengen (Schweiz) bevölkerten mehr als 20.000 Zuschauer die Strecke am Lauberhorn. Sowohl bei der Abfahrt, als auch beim Slalom. Und natürlich, das ist legitim, freuten sich die Athleten über die Kulisse, die selbstverständlich auch die Leistung positiv beeinflussen kann. Omikron hat nicht die Gewalt von Delta Denn es ist natürlich schon etwas anderes, wenn lautstarker Jubel aufbrandet nach einer guten Leistung, während im Biathlon gespenstische Stille herrscht und nur der Knall der Schüsse deutlich macht, dass hier gerade Aktion ist. Nur, verstehen kann und muss man das vermutlich nicht. Und das hat nichts damit zu tun, dass Ski alpin oder Skispringen und Biathlon von verschiedenen Verbänden organisiert werden. Wenn es um Corona geht, haben die Gesundheitsbehörden der jeweiligen Länder, ja sogar der einzelnen Regionen, die Entscheidungshoheit. In der Schweiz scheint man dabei mit großem Vergnügen auf der Omikron-Welle surfen zu wollen. Die 7-Tage Inzidenz ist klar über 2000. Im Landkreis Traunstein, zu dem Ruhpolding gehört, liegt dieser Wert noch unter 500. In Südtirol nach neuesten Erhebungen vom 16. Januar dieses Jahres freilich bei fast 3000, was wohl auch daran liegt, dass sich viele immer noch nicht impfen lassen wollen. Allerdings sind die Zahlen, so erschreckend sie auf den ersten Blick sind, nicht kompatibel mit der Realität, denn glücklicherweise haben die Spitäler überall noch freie Betten, weil vermutlich Omikron nicht die Gewalt hat wie zuvor die Delta-Variante.

In Wengen waren mehr als 20.000 Zuschauer an der Strecke. © ANSA / MARCEL BIERI

Vorsicht ist natürlich dennoch geboten. Vor allem, wenn Menschen dicht gedrängt beieinanderstehen, ist die Ansteckungsgefahr groß. Die Schweizer haben das für ihre Rennen am Lauberhorn schlicht ignoriert, denn man muss dort, um zum Zielgelände zu kommen, die Bahn benutzen, die von Lauterbrunnen nach Wengen führt. Eineinhalb Stunden dichtes Gedränge. Ein Albtraum für Virologen. In Südtirol ist man glücklicherweise verantwortungsbewusster. Zuschauer an sich wären im Stadion kein Problem, aber Tausende müssen mit Bussen in die Südtirol-Arena befördert werden. Und dieses Risiko ist unberechenbar. Viel Ungewissheit vor Olympia Bei den Aktiven geht derweil nämlich auch die Angst um, weil sich so kurz vor den Olympischen Spielen, die am 4. Februar in Peking beginnen, niemand mehr mit einem positiven Coronatest befassen will. So lässt etwa Erik Lesser, der erfahrenste deutsche Biathlet, aus diesem Grund Antholz aus. Dagegen reisen die besten Norweger, die in Ruhpolding nicht am Start waren, von ihrem Trainingsquartier am &bdquo;Passo Lavaze“ im Trentino direkt nach Antholz an. Es gibt vermutlich kein Rezept für alle in dieser Situation, um dem Virus, das ja weiterhin wütet, wirklich aus dem Weg zu gehen, zumal ja immer wieder auch Sportler betroffen sind. Franziska Preuß etwa leidet immer noch unter ihrer Corona-Ansteckung und ob Johannes Kühn in Antholz starten kann, steht auch noch in den Sternen.

Derweil findet so ganz lässig eine Handball-Europameisterschaft in der Slowakei und in Ungarn statt. 15 Spieler verschiedener Nationen sind bereits positiv getestet worden. Dem Europäischen Handball-Verband (EHF) sind derweil die Hände gebunden, denn die Länder bestimmen, wie gesagt, wie man dem Virus begegnet. In der Slowakei darf die Halle nur zu 25 Prozent ausgelastet sein, während Ungarn Omikron mit offenen Armen empfängt. Es darf kräftig eingeatmet werden. Es gibt keinerlei Beschränkungen. Volles Haus und die Maskenpflicht ist ein Treppenwitz. Halten wir es deshalb mit den verantwortlichen Organisatoren. Natürlich darf man in Südtirol traurig sein, dass die letzten Rennen vor den Olympischen Spielen nur in einer freilich naturgewaltigen Kulisse, aber ohne Zuschauer stattfinden. Doch um die Gesundheit, unser höchstes Gut, so gut wie möglich zu schützen, müssen Einschränkungen vorbehaltlos akzeptiert werden. Einen sportlich totalen Lockdown will schließlich auch niemand. Und immerhin: Vor dem Fernsehapparat ist man einigermaßen sicher.

Fußball

Italien

Internationale Ligen

International

Wintersport

Tennis

Weitere Sportarten

Motorsport

Radsport

Wassersport

Events

Favoriten

Lähmende Stille am Schießstand

Empfehlungen

Kommentare (0)