Medaillen im Selbstbedienungs-Modus

Die Auslage ist schön geschmückt und sieht wirklich verlockend aus. Und es ist ja nicht so wie früher, dass man warten muss, ehe irgendein Funktionär kommt und man devot den Hals senkt, damit die Medaille umgehängt werden kann. Das war früher so. Jetzt ist Corona. Schon lange übrigens, weshalb die guten Athletinnen und Athleten folgende Übung längst gewohnt sind: Sie schnappen sich das Symbol des Erfolges und greifen sich auch noch das dazugehörige Maskottchen oder die Blumen. Selbst ist der Mann, die Frau natürlich auch. Für den Betrachter sieht das erst einmal gewöhnungsbedürftig aus.

Es hat so wenig Würde, gerade so, als brauche man nur zugreifen. Ist ja alles da. Aber um überhaupt natürlich erst einmal in diese Position zu kommen, muss man schlicht und einfach am wichtigsten Tag des sportlichen Lebens in Bestform sein. Und das gelingt nie allen. Und außerdem schwingt derzeit eine gewaltige, noch nie in dieser Dimension gekannte Unsicherheit mit. Denn wie gesagt: Jetzt ist Corona. Manche, die gerne in die Medaillensammlung gegriffen hätten und die dafür eigentlich auch bereit waren, wurden vom Virus schlichtweg ausgebremst. Ein Häkchen an der falschen Stelle. Positiv statt negativ und schon gibt es den Einkehrschwung in das Quarantäne-Hotel. Das klingt schon so grausig. Wenn man das mal langsam und betont ausspricht: Quarantäne-Hotel. Keine Hüttengaudi Da weiß man, dass dieses olympische Abenteuer jetzt auf der Kippe steht, denn das ist nicht gerade eine Traumlokation. Keine Hüttengaudi mit Kaiserschmarrn und Glühwein. Dreimal am Tag das gleiche Essen immer zur gleichen Zeit. Kein Schunkeln, sondern grausame Einsamkeit. Vermutlich war Alcatraz dagegen ein Luxusschuppen. Immerhin hat man aufbegehrt. Ganz offiziell. Die Infizierten wurden mittlerweile in anderes Hotel verlegt mit größeren Zimmern. An den Begleitumständen hingegen hat sich dennoch wenig verändert, auch wenn angeblich jetzt das Internet ruckelfrei laufen soll und vielleicht nicht mal kontrolliert wird, obwohl das vermutlich ein Tagtraum ist. In Peking und den Außenstationen für die sportlichen Entscheidungen hängen an jeder Ecke irgendwelche futuristischen Kugeln. Leise, ruhige und doch ständig aufmerksame Spione sind das. Chinas Augen sind überall und beobachten natürlich neben dem sportlichen Treiben auch die Aktionen, die hinter der Ziellinie stattfinden. Dort nämlich werden die Coronamaßnahmen ad absurdum geführt, weil Emotionen glücklicherweise über allem stehen.

Als Johannes Thingnes Boe für Norwegen den Zielsprint in der Mixed-Staffel im Biathlon gegen den Franzosen Quentin Fillon-Maillet gewann, war sein Bruder Tarjei nicht mehr zu halten. Er fiel Johannes intensiv um den Hals, die Mädels aus dem Team kamen noch hinzu und dann bildeten sie einen Kreis, umarmten sich und genossen den großen Augenblick. Dabei hätte Johannes isoliert werden müssen, gleich nach dem Zieleinlauf. Er war ja so halb coronageschädigt, weil er mit einem infizierten Landsmann zusammen im Flugzeug saß. Johannes war deshalb ein &bdquo;Verfolgter“, wurde vom Team isoliert, durfte nicht mehr mit der Mannschaft trainieren, aber immerhin den olympischen Wettkampf bestreiten. Und nach dem erfolgreichen Rennen war die Isolation nur noch eine Farce, weil die Jubelnden eben nicht mehr zu trennen waren.

Die Siegerehrung war deshalb eine traurige Angelegenheit, denn Johannes musste Abstand halten zu seinen Mitstreitern. So stand er einsam neben Eckhoff, Roeiseland und seinem Bruder Tarjei auf dem Podest, gerade so, als gehöre er nicht dazu. Und das an einem seiner größten Tage im Leben. Peinlich war das. Nicht für Johannes, sondern für diejenigen, die meinen, mit solchen Verordnungen dem Virus ein Schnippchen schlagen zu können. Für die Fotografen war das auch ein Problem, denn es sollen ja bitte alle, die am Sieg beteiligt waren, auf das Bild. Diese Abstandsregel bei der Siegerehrung ist eine Anordnung, die nach außen demonstrieren soll, wie toll man doch alles im Griff hat bezüglich Corona. Es ist ein Feigenblatt. Ich bin mal gespannt, wie man das bei der Siegerehrung im Eishockey später macht. An anderen Wettkampfstätten ist die Situation nämlich ähnlich, ja eigentlich überall gleich und unvermeidbar. Zum Glück. Auch Dominik Fischnaller ließ sich nach seiner Bronzemedaille im Rodeln gelöst und glücklich in die Arme aller Betreuer und Trainer fallen. Gut so, denn diese Augenblicke sind jene, die einzigartig sind und unvergesslich.

Und es ist auch festzustellen, dass die Jubel-Intensität um vieles gewaltiger ist, als bei einem normalen Weltcupsieg. Selbst der Gewinn einer Weltmeisterschaft verblasst gegenüber einer Olympiamedaille. Wer auf dem Treppchen steht, sieht sich mit Recht als Sieger. Für Fischnaller ist Bronze locker so viel wert wie Gold und er wird, wie auch Ludwig und die anderen, zudem glücklich sein, dass dieses vermaledeite Virus an ihnen vorüberzog, ohne sie zu belästigen. Sie konnten, im Gegensatz zu leider schon sehr vielen anderen, ihren Wettkampf durchführen. Die aktuellen Bilder, die wir derzeit aus Peking erhalten, machen zudem eines deutlich: Trotz aller Bedenken und Probleme war es gut und richtig, diese Olympischen Spiele jetzt durchzuführen und sich nicht mit einer Absage dem Virus zu beugen, denn wer weiß, wie die Situation im nächsten Jahr sein wird. Dass man sich die Medaillen selbst vom Tablett nehmen muss, kann man deshalb locker in Kauf nehmen.

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Medaillen im Selbstbedienungs-Modus

Das Corona-Virus führt auch bei den Olympischen Spielen in Peking zu sonderbaren Verordnungen. Glücklicherweise werden die intensiven Emotionen dadurch nicht ausgebremst. Unser Kolumnist Sigi Heinrich hat das auch nach dem Gewinn der Bronzemedaille von Dominik Fischnaller feststellen können.

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