Sigi's Spitzen: Olympische Eröffnung ohne Zuschauer

Es kann ja sein – und da bin ich durchaus selbstkritisch – dass ich irgendwas nicht verstanden habe. Bei dem Wort &bdquo;Eröffnung“ etwa assoziiere ich, dass etwas jetzt startet. Ein Hutgeschäft etwa öffnet seine Pforten. Zum ersten Mal kann man hier also eine sommerliche Kopfbedeckung erwerben. Ein Souvenirladen verkauft zum ersten Mal Masken. Nämlich jene, die beim Karneval in Venedig dringend benötigt werden. Und wer etwas anderes sucht, wird auch fündig. Speck etwa und Wein gehören längst zu beliebten Mitbringsel, obwohl man dann zuhause feststellt, dass beides im Urlaubsland irgendwie doch besser geschmeckt hat. Das ist auch Kopfsache, wie jetzt eben auch bei den Olympischen Spielen.

Das fragile Gebilde zwischen den Ohren sagt uns eigentlich, dass diese Veranstaltung noch gar nicht begonnen hat, weil nämlich die sogenannte &bdquo;Eröffnungsfeier“ genau am 23. Juli um 20 Uhr beginnt. Japanischer Zeit. Um 13 Uhr also in Europa. Dann also startet das große Spektakel, das sich dann vierzehn Tage gegen Covid-19 und alle möglichen Varianten stemmt. Vorher kann also nichts sein, denkt man sich. Eröffnung halt wie bei einem neuen Autobahnabschnitt, der auch erst von wichtigen Politikern dadurch freigegeben wird, dass mit einer Schere ein Band durchschnitten wird. Es soll damit suggeriert werden, dass eben alle, die an vorderster Linie bei diesem Ereignis stehen, persönlich mitgeholfen haben, das Projekt zu verwirklichen, was natürlich Unsinn ist. Von all den feinen Damen und Herren hatte ja niemand eine Schaufel in der Hand. Bei den Olympischen Spielen ist es jetzt so, als würde man schon vorher mit durchgedrücktem Gaspedal auf dieser neuen Autobahn fahren. Eröffnung war mal. Das ist nur noch ein Programmpunkt.

Für die Softballer ist Olympia schon gestartet. © APA/afp / YUMA SUGURO

Zwei Tage vor dem Einmarsch der teilnehmenden Sportler und Sportlerinnen im neuen Nationalstadion in Tokyo wurde es sportlich schon olympisch. Softball wurde gespielt. Das ist eine Variante von Baseball und als Breitensport vor allem in den USA sehr beliebt und weit verbreitet. Das Softball-Virus ist in Europa noch nicht angekommen, ein anderer Sport, der sich auch einen Teufel um den Zeitpunkt der offiziellen Eröffnungsfeier schert, ist hingegen hierzulande der Renner schlechthin: Fußball.

Ja, auch die Kicker sind olympisch, allerdings in einer abgespeckten Form. Mit Ausnahme von drei Spielern müssen alle anderen U21-Akteuere sein. Dem Nachwuchs eine Chance, könnte das Motto lauten. Allerdings war es schlicht und einfach so, dass der Internationale Fußball-Verband (FIFA) diese Regeln bestimmte, um seine eigene Weltmeisterschaft durch das Olympische Turnier nicht zu entwerten. Und so kickt die Mannschaft der Elfenbeinküste gegen Saudi-Arabien. Mexiko trifft auf Frankreich, Deutschland gar auf Brasilien. Es sind Spiele der Vorrunde. Und weil alle, die Softball und Fußball spielen, viele solche Spiele bestreiten müssen, um eventuell am Ende gar bis ins Finale vorzudringen, geht es eben schon los, bevor es losgeht.

Es ist dennoch unverständlich und schade, weil man dem großen Ereignis der Eröffnungsfeier viel von dessen Einmaligkeit nimmt. Und mit einher geht dann die Frage: Muss eine solche Veranstaltung überhaupt sein. Vor allem in diesen Tagen in Tokio. Wäre es ein Hutgeschäft oder eines für kleine Geschenke, könnte ich es verstehen. Da geht es um Umsatz. Aber die Eröffnungsfeier kostet nur Geld, Zeit und immensen Aufwand, denn es wird ein mehrstündiges, reines Spektakel für das Fernsehen werden.

Die Olympioniken selbst sind diejenigen, die man am meisten bedauern muss. Es gibt keinen Jubel von den Rängen. Sie sind gemeinsam zu Tausenden allein. Es muss ein fürchterliches Gefühl sein etwa für die jeweiligen Fahnenträger, dass sie ihre Flagge schwenken, ohne eine Reaktion zu erleben. Ich erinnere mich noch sehr gut an die Olympischen Spiele 1972 in München, die als heitere Spiele damals begannen. Zu jeder Nation wurde ein kleiner, dem Land zugehöriger Rhythmus gespielt. Die Menschen freuten sich und überschütteten alle, die einmarschierten, mit Beifall. Und so sehr sich die Japaner auch ins Zeug werden für diese Eröffnungsfeier: Es wird traurig werden und leblos. Für dieses Mal hätte man auf die Reden und das olympische Protokoll verzichten sollen. Die Spiele haben sowieso schon begonnen, obwohl das Feuer noch nicht entzündet wurde. Dennoch bin ich gespannt, wie das alles wird. Ich werde diese Veranstaltung nämlich auf Eurosport kommentieren und weiß jetzt schon, dass sich Vergleiche mit allen anderen Eröffnungsfeiern, die ich begleitet habe (seit Barcelona 1992) verbieten angesichts der besonderen Umstände.

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