Olympische Spiele der Angst und Vorsicht

Der offizielle olympische Start war holprig. Eigentlich hätte das Prozedere zum Entzünden der olympischen Flamme durch Sonnenstrahlen funktionieren sollen mit Hilfe eines Parabolspiegels. Aber der Blick zum Himmel trübte die Freude. Wolken schoben sich vor unserem Lebensplaneten. Glücklicherweise haben die Griechen intensiv die Wettervorhersagen studiert und an einem sonnigen Tag diesen Akt zuvor klammheimlich vollzogen. Danach haben sie das Feuer konserviert, beobachtet und aufbewahrt bis zum Tag der offiziellen Inbetriebnahme der Flamme für Paris vor zwei Tagen. Es heißt nämlich so schön: &bdquo;Die Reinheit des Feuers wird durch die besondere Art der Entzündung mit Hilfe von Sonnenstrahlen gewährleistet.“ Also ist damit klar, dass ein stinknormales Feuerzeug oder ein Zündholz ein Frevel, ja fast schon ein Verrat an der olympischen Idee wäre. Reinheit. Ach wie gerne würden wir daran glauben wollen während der Wettkämpfe in der französischen Metropole. Alle treten an mit reinem Gewissen. Selbstverständlich ganz im Zeichen des Fairplay. So will man das gerne sehen.

Derweil fliegen nicht weit vom Schauplatz des Geschehens Raketen mit ihrer zerstörerischen Kraft von Russland gen Westen und zermalmen die Ukraine. Es soll ja früher, als natürlich noch alles besser war, also viel früher in der Antike, tatsächlich eine Feuerpause gegeben haben zwischen den kriegerischen Völker. In Wahrheit war es auch damals schon nicht weit her mit dem Frieden während der Spiele. Im Jahr 421 v. Chr. griffen etwa die Spartaner unentwegt Elis an, die Hauptstadt der gleichnamigen antiken Landschaft in der nordwestlichen Peloponnes. Sie besaß damals überregionale Bedeutung, weil sie die administrative Kontrolle über das panhellenische Zeusheiligtum von Olympia und damit auch über die Olympischen Spiele ausübte. Damals führte man also Krieg, um die Olympischen Wettbewerbe austragen zu dürfen. Ein paar Jahrhunderte später ist man schon heilfroh, wenn sich überhaupt noch jemand meldet, der die Wettkämpfe im Zeichen der Ringe austragen will. Der römische Kaiser Theodosius I. verbot 394 n. Chr. die Olympischen Spiele und löste alle Vereinbarungen auf.

Gleichberechtigung nach langer Zeit Willkommen im Hier und Heute. Dank der Visionen von Pierre de Coubertin im 20. Jahrhundert gab es einen Neuanfang. 1894 gründete er das Internationale Olympische Komitee (IOC). Beeinflusst wurde sein Handeln von Ausgrabungen im griechischen Olympia. 1896 wurden dann dort die ersten Olympischen Spiele der Neuzeit eröffnet. Es war am 6. April. 60.000 Zuschauer feuerten die 295 ausschließlich männlichen Sportler damals an. Es hat bis 2024 gedauert, ehe nun zum ersten Mal genau so viele Frauen wie Männer an den Start gehen dürfen. Pierre de Coubertin war übrigens gegen die Aufnahme von Frauen und wurde beim Olympischen Kongress 1914 überstimmt. Zumindest in punkto Gleichberechtigung ist die olympische Bewegung angekommen. Alles andere gehört in die Abteilung Märchenstunde. IOC-Präsident Thomas Bach hat in seiner flammenden Rede zur Feuerstunde in Griechenland davon gesprochen, dass die Olympischen Spiele die einzige Veranstaltung sei, die die ganze Welt in einem friedlichen Wettbewerb zusammenbrächte. &bdquo;Ja, es ist möglich, erbittert gegeneinander anzutreten und gleichzeitig friedlich unter einem Dach zusammenzuleben“, sagte Thomas Bach.

IOC-Präsident Thomas Bach. © ANSA / ARIS MESSINIS

Dem muss man vehement widersprechen. Nein, es ist nicht möglich. Und schon gar nicht die ganze Welt. Nur einen Teil davon nämlich. Wenn überhaupt. Den heiligen olympischen Waffenstillstand, die &bdquo;Ekecheiria“ hat es nie wirklich gegeben und jetzt ist man weiter als je wieder davon entfernt. Jetzt verbreiten die Olympischen Spiele mehr Angst als Zuversicht. Schon steht die schöne Idee mit einer bunten Eröffnungsfeier auf der Seine auf der Kippe. Längst liegen Ersatzpläne in den Schubläden der Sicherheitskräfte. Die Sorge eines Terroranschlages ist allgegenwärtig. Paris ist in der Vergangenheit nicht nur einmal Schauplatz von Gewaltorgien geworden. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat übrigens bei Russlands Kriegstreiber Putin nachgefragt, ob die Möglichkeit bestünde, während der Spiele die Waffen gegen die Ukraine ruhen zu lassen. Die Abfuhr, die Macron erfuhr, kam nicht unerwartet.

Putin missbrauchte die Schlussfeier in Sotschi 2014 Schließlich hat Putin die olympische Idee schon 2014 missbraucht, um während der Schlussfeier der Spiele in Sotschi die Krim, also ukrainisches Staatsgebiet, zu annektieren. Es war ein gigantisches Ablenkungsmanöver. Jetzt brennt der Nahe Osten und, was gerne vergessen wird, auch in Afrika toben Bürgerkriege. Dürfen wir uns da drei Wochen lang einfach irgendwie gedankenlos dem sportlichen Treiben zuwenden? Dürfen wir uns also ablenken lassen und so tun, als würde die Welt nur auf die Olympischen Spiele warten? Sie waren ja selbst als Institution nie konfliktfrei. Im Vierjahresrhythmus mussten die Spiele so manchen Boykott überstehen und der Versuch mit den Ringen autoritäre Staaten zur Umkehr ihrer menschenfeindlichen Politik gegenüber dem eigenen Volk zu bewegen, kann nur als dauernd gescheitert angesehen werden.

Pierre de Coubertin, dessen Herz in einem Denkmal im antiken Olympia ruht, hat einmal gesagt: &bdquo;Die Olympischen Spiele sind eine Pilgerreise in die Vergangenheit und ein Akt des Glaubens an die Zukunft.“ Es ist ein zweifellos schöner Satz, den man so stehen lassen könnte, wenn man nicht wüsste, dass der Baron auch folgenden Ausspruch tat auf die Frage eines französischen Kollegen, warum er die Nazi-Spiele 1936 unterstütze. &bdquo;Das Wichtigste“, antworte er, sei, dass sie grandios gefeiert würden. Dabei sei es egal, ob man sie als Tourismuswerbung wie für Kalifornien 1932 oder für ein politisches System wie 1936 verwende. Die Olympischen Spiele der Neuzeit haben schon viel früher als viele meinen, ihre Unschuld verloren. Ausgerechnet durch ihren Begründer.

Zum Autor: Sigi Heinrich Der vielfach ausgezeichnete Sportjournalist (u.a. Gewinner des Deutschen Fernsehpreises und des Bayerischen Sportpreises), Buchautor, langjähriger Redakteur der Süddeutschen Zeitung und Eurosport-Kommentator der ersten Stunde (seit 1989) widmet sich in seiner Kolumne &bdquo;Sigi´s Spitzen“ der gesamten Vielfalt des Sports und wildert gerne auch in fremden Gefilden. Mal mit schmunzelndem Augenzwinkern, mal nachdenklich oder bewusst provozierend. Es soll ja für alle etwas dabei sein.

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