Zerreißprobe für den Weltsport

Jetzt wird es wirklich ernst. Sehr ernst sogar. Und es steht mehr auf dem Spiel als nur eine Veranstaltung. Es geht um den Fortbestand der bisherigen Ordnung im Weltsport, die klar von den Olympischen Spielen beherrscht wird. Für die Mehrheit aller Athleten ist ein Erfolg unter dem Zeichen der fünf Ringe nach wie vor das höchste Ziel, das man anstreben kann. Ein Spruch dazu sitzt bei mir immer zwischen den Ohren: &bdquo;Wenn ich statt Silber damals Gold gewonnen hätte, wäre mein Leben danach ein ganz anderes geworden.“ Der deutsche Slalomläufer Frank Wörndl hat mir das einmal gebeichtet und meinte damit natürlich, dass eine Goldmedaille auch als Türöffner prima funktioniert hätte. So blieb ihm mancher Zugang verschlossen. Es war halt nur der zweite Platz, nur Silber hinter Alberto Tomba. Dabei führte er noch in Calgary 1988 nach dem ersten Lauf, am Ende war Tomba sechs Hundertstel schneller. Diese Einstellung und Erkenntnis von Wörndl mag stellvertretend gelten für viele, deren Leben der Sport bestimmt. Der olympische Sport wohlgemerkt und ihr vierjähriger Rhythmus, wenn man nicht zufällig sowohl im Sommer wie auch im Winter aktiv sein kann, was immerhin schon einigen gelungen ist.

In ein paar Monaten ist es wieder soweit: Die nächsten Olympischen Spiele stehen in Paris auf dem Programm. Die Eröffnungsfeier soll auf der Seine stattfinden, auf einem Fluss. Das ist jetzt kein Witz, sondern Tatsache. Dazu wurde das Gewässer einer grundlegenden Reinigung unterzogen, die so weit ging, dass sogar Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ankündigte, er werde in der Seine auf jeden Fall ein paar Schwimmzüge machen. Auf den Schiffen, die dann im zarten Wellengang schaukeln, werden indes keine Sportler und Sportlerinnen aus Russland und Belarus sitzen. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) hat eine Teilnahme der Athleten aus diesen Ländern zu den bestehenden Einschränkungen beschlossen, die da sind: Kein Nationaltrikot (Start als neutrale Athleten), keine Hymne bei Siegerehrungen. Mannschaften sind nicht gestattet und die Erfolge zählen nicht für den Medaillenspiegel. Zudem muss von einer Kommission geprüft werden, dass die Teilnehmer aus Russland und Belarus den Krieg gegen die Ukraine nicht aktiv unterstützen und dass sie nicht Mitglieder der Armee ihres Landes sind.

IOC-Präsident Bach in der Bredouille Russland hat auf die jüngste Entscheidung aus Lausanne mit &bdquo;Empörung“ reagiert. IOC-Präsident Thomas Bach hat für seine Verhältnisse ziemlich geschockt und auch kleinlaut geantwortet. In der renommierten französischen Zeitung &bdquo;Le Monde“ wurde er wie folgt zitiert: &bdquo;Die Aggressivität der russischen Regierung wächst von Tag zu Tag. Gegen das IOC, gegen die Spiele, gegen mich.“ Bach, der bei den Olympischen Winterspielen in Sotschi 2014 noch eng zu Putin stand (der noch während der Abschlussfeier damals die Annektierung der zur Ukraine gehörenden Krim starten ließ), beginnt erstmals zu zweifeln.

Früher Partner, nun weit voneinander entfernt: Thomas Bach und Wladimir Putin. © APA/afp / SERGEI BOBYLYOV

Die Zeichen stehen jetzt auf Konfrontation, denn Russland plant sogenannte &bdquo;Freundschaftsspiele“. Das ist nichts anderes als ein Gegenentwurf zu den Olympischen Spielen. Eingeladen werden sollen mit Russland befreundete Staaten und das sind weit mehr, als man annehmen möchte. Darunter ist etwa auch China, das artig dem Wahlmanipulator Putin zu seiner Wiederwahl gratulierte. Auch Indien, Iran, Venezuela, Kuba und Nicaragua standen fest an der Seite des russischen Präsidenten. Dagegen gratulierte keine westliche Regierung. Diese möglichen &bdquo;Freundschaftsspiele“ werden zur Nagelprobe für das IOC, das in der Vergangenheit schon so manchen Sturm überstanden hat. Was tun mit IOC-Mitgliedern, die dem Ruf von Putin folgen? Soll man ihnen die Teilnahme in Paris verwehren? Die Vergangenheit hat gezeigt, dass noch jedweder Boykott letztlich stets nur zu Lasten der Sportler ging und irgendwann hat immer die Zeit die Uhr wieder auf Anfang gestellt. Doch noch nie war die Situation angesichts des Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine so ernst wie diesmal. Der Sport, vor allem jener, der von Lausanne aus gesteuert wird, verliert zunehmend seine bislang starke Kraft, politische Zerrissenheit doch noch irgendwie kitten zu können. Und sei es nur für zwei Wochen. Das liegt aber auch daran, dass viele Regierungen das IOC im Stich lassen. Die Sanktionen gegen Russland werden von vielen westlichen Staaten übergangen, weil vielen das Hemd näher ist als der Rock. Nur ein Beispiel: Der Anteil von russischem Gas an den gesamten Gasimporten lag laut FAZ in Österreich im Dezember bei 98 Prozent. Von den Einnahmen kann Putin wieder neue Bomben produzieren.

Die Politik lässt auch den Sport im Stich Die Möglichkeit, viele Einschränkungen umgehen zu können, stärkt Putin ebenso wie die augenscheinliche Uneinigkeit der Europäischen Union bezüglich der weiteren und wahrlich dringenden Unterstützung der Ukraine. Es ist dem IOC und auch Frankreich als baldiger Veranstalter der nächsten Olympischen Spiele schlicht nicht möglich, die Versäumnisse der Politik in dieser Problematik auszugleichen. Gleichzeitig kann Thomas Bach nicht die Augen vor den aktuellen Gegebenheiten verschließen. Ein Schiff mit russischen Sportlern und eines mit Athleten aus der Ukraine zur selben Zeit auf dem gleichen Fluss, vielleicht nur ein paar Ruderschläge voneinander entfernt, ist ein undenkbares Szenario, da vermutlich zur gleichen Zeit neuartige Bomben aus Russland auf die Ukraine fliegen und Tod und Verderben bringen. Paris wird eine Nagelprobe für die Weltgemeinschaft werden. Besonders optimistisch bin ich, was einen positiven Ausgang dieser Prüfung betrifft, allerdings nicht.

Zum Autor: Sigi Heinrich Der vielfach ausgezeichnete Sportjournalist (u.a. Gewinner des Deutschen Fernsehpreises und des Bayerischen Sportpreises), Buchautor und Eurosport-Kommentator der ersten Stunde des paneuropäischen Senders (1989) ist in Paris bei seinen 15. Olympischen Spielen am Mikrophon. Dabei begleitete er stets alle Eröffnungs- und Schlussfeiern. In seiner Kolumne &bdquo;Sigi´s Spitzen“, widmet er sich der gesamten Vielfalt des Sports mit allen seinen faszinierenden Facetten. Mal mit schmunzelndem Augenzwinkern, mal ernst und nachdenklich oder bewusst provozierend. Es soll ja für alle etwas dabei sein.

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