Südtiroler Knowhow im Biathlon

Ich muss jetzt mal raus. Raus in die weite Welt. Ohne immer wieder gefragt zu werden, weshalb ich wohin will. Ich will Freiheit und fremde Länder und Kulturen besuchen. Ich habe schlicht die Schnauze voll von den Grenzkontrollen und auch Grenzschließungen, die vor allem ein Herr Seehofer aus Deutschland so besonders zu lieben scheint. Schon vor Corona war es ihm ja eine Herzensangelegenheit, das Schengen-Abkommen zu umgehen. Ich mag das jetzt nicht mehr. Gut, einen Corona-Test muss ich auch machen, aber dann: Nichts wie rauf die Pokljuka, jener fast einsam gelegenen Hochebene bei Bled in Slowenien. Die schmale Straße schlängelt sich wie ein Wurm nach oben. Beinahe hat man das Gefühl, man befände sich auf einem Alpenpass. Dabei ist der höchste Berg in Slowenien, der Triglav, nicht mal 3000m hoch. Und oben angekommen, spürt man förmlich die Ruhe, gerade jetzt, da ja bei der Weltmeisterschaft im Biathlon auch keine Zuschauer dabei sein dürfen. Viel Wald, eigentlich nur Wald, umgibt das freie Plateau, wo sich das sogenannte Funktionsgebäude befindet und auch das Schießstadion mit der Strafrunde. Und genau da ist die Welt noch in Ordnung. Hinter den Trainern gibt es einen Korridor für Journalisten und geht man diesen von vorne bis hinten durch, umarmt man nicht nur Europa, sondern fast schon die ganze Welt. Südtiroler und Norweger lieben die Natur Es ist ein Spaziergang ohne Grenzen und bei genauem Blick auf die Konstellationen in den Mannschaften wird klar: Hier wird grenzenlos gedacht und auch grenzübergreifend gearbeitet. Da ballt der Antholzer Patrick Oberegger die Faust, als die Norwegerin Tiril Eckhoff ihren letzten Schuss auf die Scheiben setzt. Treffer und der zweite Titel. Oberegger wechselte 2018 vom italienischen zum norwegischen Team und erfreut sich großer Beliebtheit. Er sei, so die norwegischen Medien &bdquo;Südtirols Biathlon-Guru im hohen Norden.“ Für ihn selbst war die Umstellung nicht mal so riesig. &bdquo;Als Südtiroler wird man hier geschätzt und ist schnell integriert. Das hängt mit der Naturverbundenheit der Norweger zusammen, die ähnlich groß ist wie die der Südtiroler“, erzählt er. Ja, es passt. Ein paar Schritte weiter entdecke ich Armin Auchentaller. Auch er kommt wie Oberegger aus Antholz und ist der Mann hinter den Erfolgen der US-Amerikanerin Susan Dunklee (WM-Silber in Hochfilzen 2017 und in Antholz 2020). Was auffällt: Beide strahlen sehr viel Ruhe aus, ja fast schon Gelassenheit. Vielleicht, ich ahne es, ist das ein Wesenszug der Südtiroler, der in diesem Sport hilfreich ist, denn mit jedem Schuss im Wettkampf kann sich alles umkehren. Die Tochter von Armin Auchentaller, Hannah, wird übrigens nach der Weltmeisterschaft in Slowenien in Obertilliach bei den Juniorenweltmeisterschaften antreten. Und noch immer keine Grenzkontrollen, was ich natürlich ausnutze und zu den Österreichern schaue, wo ich bis auf Ludwig Gredler keine Österreicher finde. Cheftrainer ist nämlich Ricco Gross aus Ruhpolding (derzeit außer Gefecht wegen eines positiven Corona-Tests). Für die so erfolgreichen Damen um Lisa-Theresa Hauser ist Markus Fischer zuständig. Ebenfalls aus Ruhpolding und seit dieser Saison arbeitet der ehemalige deutsche Bundestrainer Gerald Hönig als Schießtrainer in Österreich. Wenn das der Seehofer wüsste…. Sogar die Deutschen wildern nämlich in fremden Gefilden. Florian Steirer aus dem Stubaital ist einer der Damentrainer des Deutschen Ski-Verbandes (DSV). Ex-Biathleten auch am Fernglas erfolgreich Diese Internationalität ist im Biathlon extrem ausgeprägt. Der Franzose Siegfried Maze hat die Schießkünste des norwegischen Überfliegers Johannes Thingnes Boe mit den Jahren immer weiter verfeinert. Der Italiener Patrick Favre sorgt für die französischen Erfolge und auch die Schweiz, die normalerweise mit Europa nicht so viel zu tun haben will, hat immer wieder über den Zaun geschaut, wenn es galt, Trainer zu verpflichten. Für die Männer ist jetzt der ehemalige deutsche Weltcupsieger Alexander Wolf zuständig, der jetzt schon einen längeren Bart hat als Benjamin Weger. Und die Damen um Selina Gasparin (Olympiazweite 2014 im Einzelrennen) werden von der Österreicherin Sandra Flunger trainiert, die im Übrigen maßgeblich auch am Aufstieg von Lisa Theresa Hauser beteiligt ist, weil sie die zweimalige Medaillengewinnerin von Pokljuka jahrelang in einem privaten Team, der &bdquo;Biathlonschmiede“, trainierte. Der Münchner Johannes Lukas ist gar Teamchef in Schweden und hat mit erst 27 Jahren die Nachfolge des legendären Wolfgang Pichler aus Ruhpolding angetreten. Viel bewegen muss ich mich ja nicht, um immer wieder auch auf große Namen im Biathlon zu treffen. Michael Greis, dreimaliger Olympiasieger (2006 in Turin) betreut und trainiert die polnischen Damen und ein paar Meter daneben steht Egil Gjelland, der mit Ole-Einar Björndalen Silber in der Staffel von Nagano und Gold in Salt Lake City gewann. Ein bisschen ungewohnt ist es natürlich schon, den Norweger im tschechischen Anorak zu sehen. Aber den trägt er mit Stolz, jetzt erst recht, nachdem Marketa Davidova Weltmeisterin im Einzelwettkampf wurde. Mit fehlerfreier Schießleistung und zweitbester Laufzeit. Mehr geht eigentlich nicht, denn schon vor einem Jahr in Antholz durfte er sich mit Lucie Charvatova über eine Bronzemedaille (Sprint) freuen. Ja, es ist nur ein kleiner Spaziergang, aber es ist einer, der die Sehnsucht nach freien Grenzen weckt und nach einer freien Gesellschaft, die Sprachbarrieren lässig überwindet. Im Biathlon gelingt das jedenfalls auf eindrucksvolle Art und Weise. Und vielleicht ist das auch einer der Gründe, warum ich mich so sehr für diesen Sport begeistern kann.

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Südtiroler Knowhow im Biathlon

Auf der slowenischen Pokljuka steigt derzeit die Biathlon-WM. Mit dabei: Unser Kolumnist Sigi Heinrich. Er hat sich bei den Trainerteams der Skijäger umgeschaut und dabei viele bekannte Gesichter getroffen.

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