Wie die Liebe beflügeln kann

War da noch was? Ach ja, ein unglaublich schlechter Kick des WM-Gastgebers zum WM-Auftakt. Die katarische Auswahl war in allen Belangen völlig überfordert gegen Ecuador. Die eigenen Fans verließen während der Halbzeitpause fast fluchtartig das Stadion. Ein wenig Schadenfreude kann ich nicht verhehlen. Man kann sich vermutlich doch nicht alles mit Petrodollars kaufen. Die berühmte Euphoriebremse kommt deshalb jetzt mit Vergnügen zum Einsatz, zumal momentan sowieso nur noch auf die Bremsen gedrückt wird. Beim Strom, beim Gas, beim Sprit. Sogar beim Skisport. Beim Durchblättern diverser Publikationen, die auch am Sonntag erscheinen, lese ich doch glatt, dass die deutsche Slalomfahrerin Lena Dürr sogar die Handbremse angezogen hat im zweiten Durchgang in Levi. Sie führte nämlich zunächst im ersten Slalom und wurde dann Vierte. Fast ähnlich erging es ihr in der zweiten Auflage. Da fiel sie von Rang zwei wieder auf den vierten Platz zurück.

Ich versuche mir das gerade bildlich vorzustellen, wie sie da den Handbremshebel kräftig zieht wie bei älteren Automodellen oder nur kurz mit dem Zeigefinger eine kleine Taste berührt, wie das bei neuen KFZ der Fall ist. Plötzlich ist der Schwung weg und der Platz auf dem Podest auch. Arme Lena, denn natürlich ist die Bremse nicht Teil ihrer Ausrüstung. Es soll ja schnell und möglichst ungebremst vom Berg ins Tal gehen. Noch vor ein paar Jahren hätten in diesem Fall die Meldungen so geklungen: &bdquo;Gelungener Saisonauftakt für Lena Dürr. Zweimal Vierte.“ Jetzt hört sich das so an: &bdquo;Lena Dürr belegt zum Saisonauftakt zweimal nur den vierten Platz“. Nur. Ein Wort wie eine Ohrfeige, wie ein Schlag ins Gesicht. In seiner ein wenig typischen sarkastischen Art meinte der deutsche Alpinchef Wolfgang Mair, dass sie gezeigt habe, dass sie zu den besten fünf Slalomfahrerinnen der Welt gehört. Das ist fast schon ein wenig böse und gemein. Die angeblich so große Skination Österreich zum Beispiel hätte bei einem vierten Platz eine Sonderbriefmarke herausgegeben. Aber so verändert sich eben die Erwartungshaltung und damit auch die Kommentierung aktueller Ergebnisse. Was früher super war ist jetzt ungenügend.

Die Liebe sorgt für schnelle Schwünge Der Spitzensportler hat zu funktionieren. Schafft er das nicht, begleitet ihn mit etwas Glück noch Mitgefühl, im Normalfall aber schnell niederschmetternder Tonfall bis hin zur gnadenlosen Vernichtung. Mikaela Shiffrin etwa, die strahlende Siegerin von Levi, hat mittlerweile die gesamte Gefühlsskala abgearbeitet. Die Olympischen Spiele in Peking verließ sie als große Favoritin in einigen Wettbewerben ohne Einzelmedaille. Sogar im relativ leichten Kombinationsslalom schied sie aus und war danach nur noch ein Häufchen Elend. Das Gefühl für den Schnee, für den Schwung und den zarten und doch energischen Kanteneinsatz war weg. Einfach verschwunden und ließ sich in der Kürze der Zeit während der Spiele nicht mehr reaktivieren. Jetzt ist sie wieder zurück, hat mit den Erfolgen in Levi die Siege 67 und 68 eingefahren und damit Lindsey Vonn überholt mit Erfolgen in einer Disziplin. Das Peking-Desaster ist überwunden. Shiffrins Erfolge zum Saisonbeginn haben eines noch einmal sehr deutlich gemacht: Nur wer glücklich ist, kann auch erfolgreich sein. Die US-Amerikanerin hat keine neuen Skier, keinen neuen Cheftrainer und mithin das gewohnte Umfeld. Und doch ist alles anders, alles neu. Es ist die Liebe, die ihr geholfen hat, das größte Tief ihres Lebens zu überwinden, das ausgelöst wurde durch den unglücklichen Tod ihres Vaters, der ihre große Bezugsperson war. Es gibt ein Sprichwort, das ich ziemlich passend finde. &bdquo;Das Glück beflügelt, am Pech bleiben wir kleben“. Der Mann der Shiffrin Flügel verleiht, ist ein sympathischer Wikinger und einer der besten Skiläufer im Moment. Aleksander Aamodt Kilde.

Sie besuchte ihn in Norwegen und Kilde flog mit ihr nach Colorado, wo ihre Familie lebt. Gemeinsam haben sie trainiert. Im Fitness-Studio und auch auf Skiern. Und Kilde meinte schmunzelnd, dass er sich ziemlich strecken müsse, um mit seinem Herzblatt mithalten zu können. Verliebtheit ist der Zustand, in dem unendliche Energien im Körper freigesetzt werden. Auf einmal scheint alles so leicht und beschwingt zu funktionieren. Frag nach bei Mikaela Shiffrin, die mit 18 Jahren schon Olympiasiegerin war. Jetzt ist sie 27 Jahre alt, kennt das Leben und das Leid, das mit einher geht und weiß vor allem, wie schnell sich ein Leben in fest gefügten Bahnen verändern kann. Jetzt freilich wartet das größte Kunststück noch auf sie, die größte Herausforderung. Die Schmetterlinge im Bauch müssen gefüttert und die zwischendurch vielleicht weniger intensiven Flügelschläge stets aktiviert werden. Die Liebe muss gepflegt werden, was für sie und Kilde während der Saison auch aus der Ferne funktionieren muss, denn die Rennen der Frauen und der Männer finden stets an verschiedenen Orten statt. So gesehen haben sich beide die falsche Beschäftigung ausgesucht. Biathlon nämlich wäre der ideale Partnersport, denn Woche für Woche werden die Rennen der Frauen und Männer an den gleichen Wettkampforten ausgetragen. Die Statistik bestätigt denn auch ungewöhnlich viele Partnerschaften in dieser Sportart. Aber auch so mache ich mir keine Sorgen um das Traumpaar des alpinen Skisports, wobei Kilde natürlich jetzt bei den nächsten Rennen zeigen muss, dass auch ihn Amor beflügeln kann. Die Konkurrenz sollte gewarnt sein.

Zum Autor: Sigi Heinrich Der renommierte Sportjournalist, Buchautor und vielfach ausgezeichneter Eurosport-Kommentator (u.a. Gewinner des Deutschen Fernsehpreises und des Bayerischen Sportpreises) widmet sich in seiner Kolumne &bdquo;Sigi´s Spitzen“ nicht nur der gesamten Vielfalt des Sports. Auch Themen außerhalb seines gewohnten Metiers beschäftigen ihn. Mal sehr ernsthaft, oft auch mit einem verschmitzten Augenzwinkern und mitunter auch bewusst provozierend. Es soll ja für alles etwas dabei sein. In der kommenden Wintersaison kommentiert er für Eurosport Curling, Eiskunstlauf und wie immer seit 1997 alle Biathlonrennen (mit Olympiasieger Michael Rösch als Co-Kommentator).

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