Sigi`s Spitzen: Angsterfüllter Wintersport-Start

Sigi Heinrich

Natürlich hat Kaffee an sich keine beruhigende Wirkung. Eher ist ja das Gegenteil der Fall, weshalb sich auch unsereiner als junger Studiosus nachts vor den Prüfungen mit dem Türkentrank wachgehalten hat. Mittlerweile hat trotz Kapselwahn und Espressomaschinen für den Hausgebrauch der gute alte Filterkaffee wieder Einzug in unsere Welt gehalten. Wunderbar ist das, wenn das heiße Wasser in einem Akt der Langsamkeit in die Filtertüte tropft. Ruhe strahlt diese Prozedur aus. Und auch Kaffeehäuser gibt es glücklicherweise weiterhin. Überall, nicht nur in Wien, wo natürlich der &bdquo;Kleine Braune“ nicht nur mit Nonchalance und gleichzeitiger Ernsthaftigkeit serviert wird, sondern auch mit einem Glaserl Wasser aus dem Hahn. Und eigentlich ist es ja mehr. Es ist eine Zeremonie. Der Kaffee verbindet. Vor allem im &bdquo;Cafe“. Dort trifft man sich gerne nachmittags auf einen Plausch. Ein Stück Kuchen, gerne mit Sahne, und die Welt sieht plötzlich rosarot aus, obwohl das momentan nicht so einfach ist in einer Zeit, in der die Welt vorwiegend aus knallroten Zonen besteht. Corona. Wollte man als Journalist früher, vor Corona also, Athleten im Wintersport mal außerhalb ihres sportlichen Tätigkeitsfeldes begegnen, musste man einfach nur kleine, versteckte Cafe`s in den jeweiligen Orten aufsuchen. Ungezwungen und sehr entspannt konnte man dort die versammelte Weltklasse antreffen. Ich erinnere mich gerne an einen Augenblick in Joensuu (Finnland), wo ich zum ersten Mal die vielen Gerüchte über die Liaison zwischen Ole-Einar Björndalen und Daria Domratscheva bestätigt sah. Händchenhaltend saßen sie im angesagtesten Cafe des Ortes nach ihren Wettkämpfen in Kontiolahti. Ich habe das, wie es meine Art ist, nur schmunzelnd zur Kenntnis genommen damals und nichts erzählt, sondern damit gewartet, bis beide ihre Liebe öffentlich machten. Start frei in ganz Europa Solche Begegnungen sind derzeit nicht mehr möglich. Kaffeehäuser sind geschlossen. Überall. Der Auftakt der Wintersportsaison mit Freestyle, Skispringen, Slalom und Bobfahren, steht ganz im Zeichen von Instant-Kaffee. Die Bob -und Skeleton-Elite trifft sich in Lettland. Es gab bereits erste Corona-Fälle, die allerdings -und das ist kaum nachvollziehbar – nicht öffentlich gemacht werden. Kanada, China, die USA oder Südkorea sind sowieso nicht am Start. In Österreich wurde ein totaler Lockdown verhängt. Die Freestyler müssen aus ihrer Blase heraus in Stubai ihre Kunststücke zeigen. Die Skispringer sind in Wisla in Polen zu Gast. Dort steigen die Infektionszahlen gerade dramatisch. Es fehlt an Sauerstoffflaschen und Schutzkleidung. Die Krankenhäuser sind an ihre Kapazitäten angelangt. Einige Regionen ersuchen den Nachbarn Deutschland um Unterstützung, während die polnische Regierung ein solches Ansinnen derzeit ablehnt, wohl auch, weil man gerade stur sowieso auf Ablehnungskurs ist. Kompromisslose Finnen Im finnischen Levi trifft sich die Slalomelite. Allerdings dürfen die schwedischen Damen, von denen einige zur Weltklasse gehören, nicht mitmachen. Ein Trainer des Teams wurde positiv auf Corona getestet. Für die finnischen Behörden ist der Fall klar. Die gesamte Mannschaft wurde für zehn Tage in Quarantäne geschickt. Das sollte den Biathleten, die am kommenden Wochenende in Kontiolahti ihre Weltcupsaison beginnen, eine Warnung sein. Es gibt nicht viel, respektive eigentlich gar keinen Spielraum in Finnland. Nicht so wie im Fußball, wo, wir erinnern uns, das Gesundheitsamt in Leipzig am vergangenen Dienstag das Match zwischen Deutschland und der Ukraine über die leere Bühne gehen ließ, obwohl fünf Ukrainer positiv auf Corona getestet worden waren. In Finnland wäre der Ball in einem solchen Fall nicht einen Millimeter gerollt und die Ukraine wäre in Quarantäne gesteckt worden. Ergebnisse sind zweitrangig Die Angst geht um. Werden wenigstens alle geplanten Wettkämpfe stattfinden können? Kommen wir gesund über die Runden? Plötzlich scheinen Ergebnisse nicht mehr vorrangig zu sein. Das hehre und gerade für Spitzensportler so wichtige Gut der körperlichen Unversehrtheit steht im Mittelpunkt. Jeder, wirklich jeder Akteur in diesem so sehr zerbrechlichen Kosmos, hat den bösen Geist von Covid-19 im Kopf. Ein positiver Test kann die komplette Saison zunichte machen und zöge möglicherweise die ganze Mannschaft mit in die Tiefe der folgenden Tatenlosigkeit. Die geschlossenen Kaffeehäuser sind eine deutliche Warnung, dass diese Saison für alle auf wackeligen Beinen steht und nur geliehen ist.

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