Schattenspringen mit Jogi Löw

Rekorde hängen ja auch immer von äußeren Voraussetzungen ab. Von den Gegebenheiten vor Ort, der Tagesform, also dem eigenen Befinden. Das ist wohl vor allem der wichtigste Baustein. Wer etwa über seinen Schatten springen will, tut gut daran, den Sonnenstand zu beobachten und seine eigene Form, wenn er sich nicht zu viel zumuten will. Die eigene Körpergröße mag noch möglich sein, die doppelte zu überspringen, gelänge wohl nur mit vorherigem Training. Aber vielleicht kann man sich die Position gar nicht aussuchen oder man hat sich selbst in eine manövriert, die den Schattensprung zu einem der größten Herausforderungen im Leben macht. Dann heißt es Anlauf nehmen.

Didier Deschamps, der Nationaltrainer der französischen Fußballer, ist weit gesprungen und gut gelandet. Er hat Karim Benzema (33) in den Kader für die Europameisterschaft berufen. Benzema wurde 2015 auf Eis gelegt wegen persönlicher Verfehlungen und hat wohl nicht im Traum daran gedacht, dass er jetzt doch noch zu seiner dritten Europameisterschaft kommt. In Frankreich hat man die höchst überraschende Nominierung mit Wohlwollen aufgenommen, zumal Benzema in dieser Saison bei Real Madrid 22 Tore geschossen hat. Und einen Knipser, einen, der nicht unbedingt in eine Schublade passt, auch in einem taktischen Konzept, so einen kann man dann schon mal brauchen in einem so langen Turnier. Vorbild Deschamps Deschamps war vielleicht ein Vorbild für seinen deutschen Kollegen Joachim Löw, der jetzt auch zum Schattenspringer geworden ist. Er hat in einer sehr ausführlichen Pressekonferenz bekannt gegeben, dass Thomas Müller (FC Bayern München) und Mats Hummels (Borussia Dortmund) zum Kader der aktuellen Nationalmannschaft für die Europameisterschaft gehören. Ein überraschendes Ende Dabei hat vor vier Jahren vor allem die immerhin persönlich überbrachte Botschaft an Müller, dass seine Tage im Team gezählt seien, für viel Aufregung bei den Fans gesorgt. Ausgerechnet Müller, der Wirbelwind mit den seltsamen Laufwegen, der in Südafrika 2010 als 20-Jähriger Torschützenkönig geworden war. Und vier Jahre später auch noch Weltmeister in Brasilien. Löw hat man fast Verrat an einem verdienten Spieler (100 Länderspiele) vorgeworfen, damals, ohne freilich auch auf den aktuellen Leistungsstand von Müller zu schauen, der schwierige Jahre hinter sich hatte. Joachim Löw holte Thomas Müller in die Nationalmannschaft zurück. © APA/afp / BENJAMIN CREMEL

Erst durch Hansi Flick und dessen klarer Wertschätzung fand er wieder zu alter Qualität. Mehr als Torvorbereiter, denn als Torjäger. Aber Müller hat eine Gabe, die vielen fehlt, das hat Löw noch mal angesprochen. Er ist eine Führungspersönlichkeit. Er kann motivieren, anfeuern, ja auch Mitspieler mal symbolisch an den Ohren ziehen. Das DFB-Team war, das hat Löw wohl erkannt, zuletzt stimmungslahm, träge in der Außendarstellung. Ohne Esprit. Eine brave Mannschaft, die einem Trainer, dem es auch an Begeisterung zu fehlen schien, hinterher trottete. Es war keiner da, der aufrüttelte. Kein Müller. Der Ball liegt bei den Spielern Und so bleibt Löw zu wünschen, dass er eine gute Landung hinlegt, wenn er über seinen ziemlich großen Schatten springt und dass sich das Abenteuer lohnt. Leicht ist das nicht. Dazu bedurfte es sicherlich auch einer Portion Mut, eigene Entscheidungen der Vergangenheit noch einmal zu hinterfragen und jetzt gegebenenfalls zu korrigieren. Sicherlich hat die Tatsache, dass es das letzte Turnier sein wird, das er als Bundestrainer bestreitet, den Meinungsumschwung befeuert. Es ist dennoch ein Schritt, der Löw Respekt einbringen wird und auch soll. Es ist Charakterstärke, die er demonstriert. Jetzt liegt es an Müller und vielleicht auch an Hummels, Löw nicht zu enttäuschen. Jetzt liegt der Ball bei den Spielern.

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Sigi Heinrich geht in seiner Kolumne SIGIINSIDE auf die Rückkehr von Thomas Müller und Mats Hummels in die deutsche Nationalmannschaft ein. Der Kult-Reporter ist der Meinung: Ein Typ wie Müller hat der DFB-Elf zuletzt gefehlt.

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