Die Kernsportart am Abgrund

Wieder einmal sind die Vereinigten Staaten von Amerika der Nabel der Sportwelt. In Birmingham finden die World-Games statt. Und Deutschland führt die Medaillenwertung derzeit an mit bislang 24 Plaketten aus Gold, vor allem dank einer herausragenden Ausbeute der Abteilung Rettungsschwimmen (neunmal Gold). Dabei müssen Aufgaben bewältigt werden, die den Ernstfall simulieren. So muss etwa eine genormte Puppe möglichst schnell durch das Schwimmbecken gezogen werden.

Racquetball, eine Mischung aus Tennis und Squash, steht ebenfalls im Programm oder Tauziehen, das früher sogar mal eine olympische Disziplin war. Sumo-Ringer versuchen, ihre Gegner aus der Matte zu schieben. Wer es gemütlicher mag, nimmt am Boule-Wettkampf teil. Bekannt auch als Boccia. Ein beliebtes Strandspiel und sehr populär vor allem in Südfrankreich und Spanien. Auch Breakdance ist vertreten, wie übrigens dann auch in Paris in zwei Jahren bei den nächsten Olympischen Spielen. Viele dieser ungewöhnlichen Sportarten hoffen nämlich auf den Segen des Herrn der Ringe, Thomas Bach, der übrigens in Alabama zu Besuch war. Klettern oder Karate etwa haben diesen Sprung von den World-Games zu Olympia schon geschafft. Tauziehen für Olympia Ich persönlich fände eine Renaissance von Tauziehen toll. Vielleicht dann 2028, wenn in Los Angeles Olympische Spiele ausgetragen werden. Thomas Bach, der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) soll sich übrigens sehr angetan gezeigt haben von den Aktivitäten in Birmingham, an denen 3600 Athleten aus 100 Ländern teilnehmen. Ich nehme stark an, dass er nach der Stippvisite in Alabama nicht direkt nach Hause fliegt, sondern auch noch in Eugene (Oregon) vorbeischaut.

Denn dort treffen sich derzeit die besten Leichtathleten der Welt zu ihrer großen Meisterschaft. Die ersten Titel wurden bereits vergeben und es deutet sich ein Fest der Gastgeber an. Kugelstoßen der Männer und Frauen, Hammerwerfen und Stabhochspringen der Frauen, der prestigeträchtige Sprint der Männer: Gold schon serienweise für die USA bei der ersten WM, die in den Vereinigten Staaten stattfindet.

<a data-caption="Gastgeber USA heimst fleißig Medaillen ein, wie hier bei den Sprintern (von links): Marvin Bracs, Fred Kerley und Trayvon Bromell. © ANSA / John G. Mabanglo" data-fancybox="inline-120167" target="_image" href="https://s3-images.sportnews.bz/_images/scale/1280x1280/img/2022/07/gastgeber-usa-heimst-fleissig-medaillen-ein-wie-hier-bei-den-sprintern-von-links-marvin-bracs-fred-kerley-und-trayvon-bromell.jpg"> Gastgeber USA heimst fleißig Medaillen ein, wie hier bei den Sprintern (von links): Marvin Bracs, Fred Kerley und Trayvon Bromell. © ANSA / John G. Mabanglo

Verantwortlich dafür ist der ehemalige Präsident der Leichtathleten, Liam Diack aus dem Senegal, denn Eugene wurde nicht aus mehreren Anwärtern gewählt, sondern seinerzeit einfach in einem Handstreich von Diack bestimmt, wobei man wissen muss, dass die Universitätsstadt in Oregon Sitz des Sportartikelherstellers &bdquo;Nike“ ist. Eine Firma, die unverblümt mächtig Einfluss nimmt auf den Sport.

Wie schon 1989, als die Olympiastadt für 1996 gewählt wurde (stets sieben Jahre vor der Austragung), hat für die WM in Eugene ein Sponsor maßgeblich seinen Einfluss geltend gemacht. Damals übrigens dachten alle, dass es keine andere Wahl geben könnte, als Athen. Genau 100 Jahre nach den ersten Olympischen Spielen der Neuzeit 1896 in Griechenland. Es schien logisch und unausweichlich zu sein. Doch der schnöde Mammon siegte über die Historie. Atlanta (USA), Sitz eines der Hauptsponsoren des IOC, wurde damals bevorzugt. Athen kam dann erst acht Jahre später zum Zug. Mediale Präsenz ging verloren Der Präsident von &bdquo;World-Athletics“, dem internationalen Verband, Lord Sebastian Coe aus England, hat sich durchaus klar positioniert, was die Austragung in Eugene betrifft. Er konnte es nicht mehr verhindern, weil dies vor seinem Amtsantritt bestimmt worden war, machte aber klar, dass er große Städte bevorzugen würde. Obwohl er natürlich gute Miene zum bösen Spiel macht und wohl auch machen muss, ist ihm vermutlich auch klar geworden, dass die Leichtathletik in diesem kleinen Stadion der Universität von Eugene (Fassungsvermögen für die WM 30.000 Zuschauer) und fernab der Metropolen nicht in dem Maße präsent ist, wie er das gerne hätte.

Im Klartext: Aufgrund auch der Zeitverschiebung (viele Finales finden mitten in der Nacht statt) ist das Interesse in Europa, dem Kernmarkt seiner Sportart, verschwindend gering. Und in den USA selbst ist das Interesse an einem Baseballspiel jeder Universitätsmannschaft größer als für jeden Leichtathleten.

Die Attraktion auch aller Olympischen Spiele, die Sportart, die das größte Interesse generiert alle vier Jahre, ist auf dem Weg, eine Randsportart zu werden, weil auch während des Jahres kaum mediale Präsenz vorhanden ist. Die &bdquo;Diamond-League“, eine weltweit organisierte Wettkampfserie, findet nahezu unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Nur wirkliche Fans der Leichtathletik suchen noch nach Resultaten und Bestleistungen. Und es gibt eben auch keine Zugnummer mehr wie weiland Usain Bolt. Der jamaikanische Sprintstar mobilisierte einst die Massen. Ein Nachfolger ist nicht in Sicht. Die Leichtathletik zehrt noch von ihrer großen Geschichte. Doch der Kredit ist fast schon aufgebraucht.

Zur Person: Sigi Heinrich Der renommierte Sportjournalist, Buchautor und vielfach ausgezeichneter Eurosport-Kommentator (u.a. Gewinner des Deutschen Fernsehpreises und des Bayerischen Sportpreises) widmet sich in seiner Kolumne “Sigi´s Spitzen“ nicht nur der gesamten Vielfalt des Sports. Auch Themen außerhalb seines gewohnten Metiers beschäftigen ihn. Mal sehr ernsthaft, oft auch mit einem verschmitzten Augenzwinkern und mitunter auch bewusst provozierend. Es soll ja für alle was dabei sein.

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Die Kernsportart am Abgrund

Die „World-Games“ in Birmingham (Alabama) entwickeln sich zur Konkurrenz der Leichtathleten. Unser Kolumnist Sigi Heinrich, der für Eurosport bei 14 Leichtathletik-Weltmeisterschaften am Mikrofon war, sieht die Entwicklung der olympischen Kernsportart mit Sorge.

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