Ein neuer Usain Bolt

Von Sigi Heinrich

Man glaubt ja immer, wenn außergewöhnliches passiert ist, dass wieder einmal eine Zahl für die Ewigkeit geschaffen wurde. Dabei müsste ich es besser wissen. Immer und immer wieder sind plötzlich Zahlen nur Schall und Rauch und die Ewigkeit wird neu definiert. Ich habe ja jedes der großen Rennen von Usain Bolt kommentiert. Alle WM-Rennen, alle olympischen Entscheidungen und ich habe ziemlich früh begonnen, mich mit dem Phänomen Bolt zu beschäftigen. In meinem persönlichen Archiv, das ausschließlich aus Papier besteht, findet sich etwa ein Artikel aus dem Jahr 2004. Da lief in Kingston (Jamaika) ein junger Schlaks mit gerade mal 17 Jahren die 200m unter 20 Sekunden. Genau waren es 19.93 Sekunden. Es schien schier unvorstellbar zu sein. Mit 17 Jahren. Gut, er war zuvor Jugend-und Juniorenweltmeister geworden.

Aber diese Zeit in diesem Alter war ein erstes Ausrufezeichen. Deshalb ran an die Schere und abgelegt im Ordner. Der damals gültige allgemeine Weltrekord stand bei 19.32, aufgestellt in einem faszinierenden Rennen bei den Olympischen Spielen in Atlanta von Michael Johnson. Und ich kann mich noch erinnern, dass ich leichtsinnigerweise damals meinte, dass ich es wohl nicht mehr erleben würde, dass irgendwer eine solche Fabelzeit unterbieten würde. Es war eine grobe Fehleinschätzung, zum Glück auch zu meinen Gunsten, denn ich kommentiere immer noch, auch wieder die Leichtathletik-Wettbewerbe bei den Olympischen Spielen in Tokio. Usain Bolt pulverisierte die Zeit von Johnson bei den Weltmeisterschaften in Berlin 2009, als er neben dem Weltrekord von 9.58 Sekunden über 100m so nebenbei über 200m 19.19 Sekunden lief. Das ist ein wenig untergegangen, weil eben die 100m die Königsstrecke sind, weil alle glauben, hier wird der schnellste Mensch der Welt ermittelt. Dabei müssen sich die 200m von der Geschwindigkeit her nicht hinter den 100m verstecken. Und Bolt liebte die 200m immer und vielleicht war er sogar ein besserer Läufer über diese Distanz als über 100m, zumal die längere Sprintdistanz schwieriger ist, weil die Höchstgeschwindigkeit von klar über 40km/h in der Kurve erzielt wird und die Fliehkräfte dabei noch bewältigt werden müssen. Noch aber sind die 19.19 das Maß der Dinge. Erriyon Knighton: Ein junger US-Amerikaner sorgt für Furore Noch, denn in den USA tauchte ein junger Mann auf, der an Bolt erinnert. Erriyon Knighton aus Florida ist mit seinen 17 Jahren auch schon 1,91m groß. Nur vier Zentimeter kleiner als Bolt aber er ist schon schneller als Bolt in diesem Alter war. Knighton schlug im Finale der Olympiaausscheidung in Eugene nicht nur Weltmeister Noah Lyles lässig, sondern unterbot zum zweiten Mal an einem Wochenende den Junioren-Weltrekord von Usain Bolt, der jetzt bei 19.84 Sekunden steht. Ich habe mir die Rennen dieses Ausnahmetalentes angeschaut und die Ähnlichkeiten mit dem Jamaikaner sind verblüffend. Neben der Größe sind es auch die Gesten. Im Halbfinale lief er nur auf Platz und bereits während des Rennens schaute er sich kurz vor dem Ziel ein wenig nach seinen Konkurrenten um, die hinter ihm waren. Wie Bolt früher. Erriyon Knighton ist für die Olympischen Spiele qualifiziert. Der Hype ist jetzt schon riesig Und schon jetzt setzt ein Hype um ihn ein. Bereits mit 15 Jahren unterschrieb er einen Vertrag mit einem deutschen Schuhhersteller, wie auch Bolt. Allerdings mit dessen Konkurrenzunternehmen in Herzogenaurach. Bolt war bei Puma, Knighton ist bei adidas. Und auch das Selbstbewusstsein des Usain Bolt scheint auf Knighton schon abgefärbt zu haben. &bdquo;Ich habe getan, was ich tun musste“, erzählte er nach seinem Sieg. Gerade so, als habe er sowieso nichts anderes erwartet. Und doch ist noch etwas Vorsicht geboten. Die Erinnerungen an Bolts Karriere sollten eine kleine Warnung für Knighton sein, denn der Jamaikaner, der bei drei aufeinanderfolgenden Olympischen Spielen Gold über 100m und über 200m gewann, musste sich nach seinen Juniorenzeiten auch erst einmal hinten anstellen bei seinen ersten großen Auftritten. Bei den Olympischen Spielen in Athen schied er im Vorlauf aus, auch bei den Weltmeisterschaften im Jahr darauf 2005 in Helsinki musste er verletzungsbedingt aufgeben. Und 2007 bei den Titelkämpfen in Osaka war Tyson Gay noch einen Tick schneller als Bolt, der dann freilich ab 2008 die Regentschaft im Sprint übernahm und acht Jahre unschlagbar blieb bis auf einen Fehlstart im WM-Finale von Daegu. Erriyon Knighton sorgt bereits in jungen Jahren für Furore. © APA/getty / ANDY LYONS

Usain Bolt musste sich also durchaus ein wenig in Geduld üben zu Beginn seiner letztlich unnachahmlichen Laufbahn. Es ist zu hoffen, dass Erriyon Knighton Berater und Trainer um sich hat, die wissen, dass sich die Sterne nicht wie reife Kirschen vom Himmel pflücken lassen. Aber immerhin haben die sogenannten &bdquo;Trials“ in den USA gezeigt, dass die Leichtathletik lebt, ja dass sie sogar putzmunter ist. Und eines ist noch einmal klar geworden. Es gibt keine Resultate, die für die Ewigkeit sind, wobei die Ewigkeit natürlich ein dehnbarer Begriff ist. Ich hätte jedenfalls nichts dagegen, wenn ich auch noch mal einen neuen 200m-Weltrekord ober einen neuen über 100m kommentieren könnte. Zeitlich wäre das machbar. In zwei, drei Jahren sollte Erriyon Knighton so weit sein. Oder ein anderer Himmelstürmer, denn das Reservoir an Talenten scheint in den USA schier unerschöpflich zu sein.

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