Kolumne | Das Geld liegt auf der Bahn

Es ist vier Uhr morgens in South Caroline (USA). Schrill klingelt jeden Tag um diese Zeit der Wecker für Jacory Patterson. Der 25-Jährige muss zur Arbeit. Er lädt Pakete in große Trucks. Stundenlang. Und eigentlich ist er danach rechtschaffen müde, doch Pause gibt es nicht. Er muss zum Training, denn Jacory ist Leichtathlet in den Vereinigten Staaten. Und wahrlich kein schlechter.

Er ist der schnellste 400m-Läufer in diesem Jahr bis jetzt. Der erste, der unter 44 Sekunden lief. In Nanjing (China) gewann er bei den Hallenweltmeisterschaften im Februar die Bronzemedaille und Gold mit der 4x400m-Staffel.

Zurück zuhause schleppte er dann wieder Pakete, denn ohne diese Einnahme wäre er bis jetzt finanziell nicht über die Runden gekommen. Einem neuen Wettbewerb hat er es zu verdanken, dass er nun ausschlafen kann, um frisch und ausgeruht sein sportliches Programm zu absolvieren. Er wurde Zweiter beim &bdquo;Grand-Slam-Track“ in Miami. Dazu musste er 400 Meter laufen, die er in 43.98 Sekunden gewann und am darauffolgenden Tag noch 200 Meter. Dort wurde er Sechster und in der Addition beider Rennen eben Zweiter. Das brachte ihm 50.000 US-Dollar ein. Jereem Richards (Trinidad-Tobago) bekam als Sieger der Kategorie &bdquo;Long-Sprint“ (200m und 400m) 100.000 US-Dollar.

Jahrhundert-Läufer Michael Johnson steckt hinter dem neuen Format. © laureus.com

Für die Leichtathletik sind das bislang ungeahnte Dimensionen. Zum Vergleich: Der Sieger eines sogenannten &bdquo;Diamond-League-Meetings“, der höchsten Kategorie, erhält 10.000 Euro. Das bekommt der Achtplatzierte und damit letzte der neuen Serie, die neben dem lukrativen Preisgeld eine weitere Besonderheit aufweist: Es gibt keine Sprünge und keine Würfe. Es wird nur gelaufen. Und es sind immer nur acht Athletinnen oder Athleten am Start. Jeweils vier pro Kategorie hat der Veranstalter für vier Wettkämpfe (Kingston in Jamaika, Miami, Philadelphia und Los Angeles) fest verpflichtet. Im Fachjargon heißen sie &bdquo;Racer“.

Dazu kommen an den jeweils drei Tagen &bdquo;Challenger“. Also immer neue Herausforderer, die aber preisgeldtechnisch gleichgestellt sind. Patterson war so einer. In Kingston bekam er noch keinen Startplatz, in Miami, der zweiten Station, nutzte er seine Chance, um die er wusste: &bdquo;Mein Ziel war es anzutreten, Geld zu verdienen, damit ich mich jetzt ganz auf mein Training konzentrieren kann, ohne meinen Körper schon vorher mit dieser anstrengenden Arbeit zu belasten.“

Michael Johnsons Idee Das hat funktioniert, dank Michael Johnson. Der charismatische ehemalige Weltklasseläufer über 200m und 400m (Olympiasieger in Atlanta 1996) hatte die fast schon revolutionäre Idee zu dieser Serie und war auch in der Lage, genug Sponsoren zu finden, um sie in die Tat umzusetzen. Gegen viele Widerstände natürlich, denn gerade die Leichtathletik rühmt sich ja ihrer großen Tradition und bezeichnet sich gerne als die Kernsportart schlechthin. Als die Mutter aller Sportarten gewissermaßen. Veränderungen oder gar Neuerungen sind nicht sonderlich gefragt.

Dass aller Anfang schwer ist, merkte Johnson dann bereits beim ersten Meeting in Jamaika. Die Zuschauerresonanz war gering und auch in Miami war noch Platz in einem sowieso schon kleinen Stadion. Dabei ist dieses Format und die Konzentration auf nur eine Disziplin (Laufen) nicht komplett ungewöhnlich und auch nicht neu. Es gibt Meetings etwa nur für Stabhochspringer. In Schlanders etwa (am 21.Juli), in Innsbruck oder in Rottach-Egern in Bayern, wo die Anlage so aufgebaut wird, dass die Teilnehmer das Gefühl haben, sie würden im Tegernsee landen nach der Lattenüberquerung. Auch Kugelstoßer führen mittlerweile ein Eigenleben. Sie werden sogar ausgelagert bei großen Veranstaltungen wie Europameisterschaften. Raus aus dem Stadion, wo sie kaum Aufmerksamkeit generieren und rein in die Städte heißt das Motto.

Die Fans sollen so möglichst nah an die Wettkämpfer herankommen. Der &bdquo;Grand-Slam-Track“ ist deshalb nur eine logische Weiterentwicklung und mit der Preisgeldgestaltung vielleicht auch Vorreiter einer Entwicklung, die vor allem den Protagonisten entgegenkommt. Gerade die Leichtathletik hat sich diesbezüglich bislang eher zurückhaltend gezeigt. Michael Johnson und seine Mitstreiter haben eine neue Türe geöffnet, die indes auch der Präsident von &bdquo;Worldathletics“, dem Weltverband der Leichtathleten, Lord Sebastian Coe, schon mal bewegt hat. Seine Institution hat jedem Olympiasieger in Paris erstmals 50.000 Dollar ausgezahlt, was auf ziemlich große Kritik beim Internationalen Olympischen Komitees (IOC) gestoßen ist. Dort nämlich ist man weiterhin der Auffassung, dass Medaillen alleine genug Entlohnung seien.

Preisgeld ist Ländersache In die finanzielle Bresche müssen deshalb die Länder springen. In Deutschland hat die &bdquo;Stiftung Deutsche Sporthilfe“ für jeden Olympiasieger 20.000 Euro ausgelobt und auch ein achter Platz wurde noch bedacht. Italien ist hier übrigens weltweit Spitzenreiter. 178.000 Euro gab es für eine Goldmedaille, 65.000 Euro noch für Bronze. Insgesamt standen 9,7 Millionen für Olympia an Preisgeldern zur Verfügung. Doch klar ist auch: Jetzt ist wieder vier Jahre Pause. Und ob die Quellen auch weiterhin so reichlich Euros ausspucken, muss man erst einmal abwarten. Umso erstaunlicher ist es, dass die europäischen Athleten und Athletinnen der neuen Serie skeptisch gegenüber stehen mit der oft gehörten Begründung, dass die Veranstaltungen in den USA nicht in die Trainings-und Wettkampfpläne passen würden. Man stelle sich vor, die Tennisspieler würden so argumentieren. Australien-Open, US-Open. Nein danke. Passt gerade nicht. Oder die Ski-Elite, die im letzten Winter mehrmals über den großen Teich flog mitsamt dem ganzen Equipment. Da machten alle mit. Man geht dahin, wo Geld verdient werden kann.

Jetzt werden Leichtathletinnen und Leichtathleten neue Verdienstmöglichkeiten auf dem Silbertablett präsentiert. Warum sie nicht zugreifen? Es geht ihnen zu gut. Sie sind in Europa meist prima abgesichert von staatlichen Förderstellen (Polizei, Zoll, Militär), bekommen zudem Sporthilfe sowie auch finanzielle Unterstützung von ihren Vereinen. Da muss niemand wie Jacory Patterson für den Lebensunterhalt Kisten schleppen.

Zum Autor: Sigi Heinrich Der vielfach prämierte Sportjournalist (u.a. Gewinner des Deutschen Fernsehpreises, des Bayerischen Sportpreises und nominiert für den renommierten Grimme-Preis), Buchautor, langjähriger Sportredakteur der Süddeutschen Zeitung und seit 1989 Kommentator bei Eurosport, widmet sich in seiner wöchentlichen Kolumne der gesamten Bandbreite des Sports und wildert gerne auch in fremden Gefilden. Mal mit schmunzelndem Augenzwinkern, mal nachdenklich oder bewusst provozierend. Es soll ja für alle etwas dabei sein.

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