Kolumne | Laufroboter schüren Ängste

&bdquo;Ja, wo laufen sie den hin?“, fragte dereinst Bernhard Viktor Christoph-Carl von Bülow, sicher uns allen besser bekannt als &bdquo;Loriot“. Er befand sich auf der Rennbahn. Zu viele Rösser auf einmal und er sorgte sich. &bdquo;Wenn sie sich nur nicht verlaufen“. Ich frage mich, was Loriot gesagt hätte zu Robotern, die Marathon laufen oder zumindest jetzt erst einmal einen Halbmarathon, also knapp über 20 Kilometer. Ist das noch witzig oder verrückt oder total irre?

Gut, es war angeblich ein Techniktest, der in Peking durchgeführt wurde. Im Rahmen einer quasi normalen Sportveranstaltung, die dann eben doch nicht so normal war. Humanoide Roboter heißen die geschraubten Gestelle und tröstlich war zunächst einmal, dass manche Schrauben verloren, zu qualmen begannen oder schlicht weg nicht mehr laufen konnten, weil vielleicht die Batterie leer war, was ja durchaus menschlich ist. Und zumindest teilweise beruhigt bin ich, dass letztlich ein menschliches Wesen aus Fleisch und sogar Blut gewonnen hat. Eine Stunde vor dem ersten Computer, einem Metallskelett.

Stichwort humanoid Diese Eisengestalten sollen ja aussehen wie wir, wie du und ich. Das alleine macht mir schon Angst. Noch laufen sie ungelenk, gerade so wie unsereiner nach einem Trainingstag und kräftigem Muskelkater. Aber irgendwann, da bin ich sicher, legt man über das metallene Gerüst eine Art Haut, vielleicht von einer Kuh und dann sind die Roboter vielleicht kaum mehr von der menschlichen Rasse zu unterscheiden. Ihr Einsatzgebiet könnte so aussehen: Sie sind erstmal Pacemaker, Hasen also, wie das im Fachjargon so uncharmant heißt. Läufer, die mit einem maßgeschneiderten Tempo bis etwa zehn Kilometer vor dem Ziel dafür sorgen, dass die Elite, die Stars, gute Bedingungen haben. Windschatten zum Beispiel könnten sie bieten.

Man könnte also, kleiner Tipp von mir, Roboter bauen mit ganz breiten Schultern. Quadratisch, praktisch, gut. Es kann auch eine in Laufschuhe gestellte Metallplatte sein. Ein Korpus eher, denn die ganze Technik muss ja irgendwo verbaut werden. Das sieht zwar nicht sehr menschlich aus, aber der Effekt wäre genial, zumal der geschraubte Tempomacher keine Schwäche zeigen wird. Wenn er denn eines Tages perfekt ist. Er läuft dann stur bergauf und bergab 400mal einhundert Meter in 17,5 Sekunden. Ungefähr. Damit kommt er auf zwei Stunden für 42,195 Kilometer. In etwa. Egal ob Regen oder Sonne.

Hinter so einem Roboter steht ein großes Team an Forschern und Ingenieuren. © Soziale Medien / AFP

Kurz vor dem Ziel zieht man ihm dann den Stecker und die Heerscharen hinter ihm mit ihren dann schon müden Muskeln dürfen dann um den Sieg sprinten. Die Computerfirmen wetteifern um Startgenehmigungen. Sponsoren buchen die gewaltigen Werbeflächen Der Kampf um die Bereitstellung der Hasen in London, New York, Berlin, Tokio oder Boston geht in eine neue Dimension: Leider bleiben wie immer bei technischen Entwicklungen gewisse Opfer nicht aus. Die bisherigen Hasen werden obsolet. Man benötigt sie nicht mehr.

Und weitergedacht: Sherpas auf den Mont Everest werden dann auch nicht mehr gebraucht. Roboter schleppen Material und Mensch zunähst ins Basislager und dann auf den Gipfel. Vielleicht könnte man eine Schlauchverbindung schaffen zwischen &bdquo;Robbie“, wie wir ihn mal nennen, weil ein Kosename ja schon irgendwie eine menschliche Verbindung herstellt und dem Gipfelstürmer, der dann immer auch jenseits der Todeszone mit Sauerstoff versorgt würde. Aber das ist natürlich Zukunftsmusik. Oder doch nicht?

Es ist auf jeden Fall eigenartig bis beängstigend. Muss ich als Kommentator, der noch nicht von einer künstlichen Intelligenz abgelöst wurde, dann Zusatzrecherchen anstellen. Bislang musste ich wissen, wie alt die Läufer sind und was sie bislang erreicht haben. Ein wenig Historie. Jetzt werde ich wissen müssen, wer die Tempomacher zusammengebaut hat. Wer für die Schrauben zuständig ist und wer für die Software? Die Batterieladung ist wichtig. Logisch. Und dann kommt die wichtigste aller Fragen: Wie lange können Menschen den Maschinen überhaupt folgen. Gedanklich ist das bereitsS ein Problem, aber physisch? Marathonzeiten unter zwei Stunden bei den Männern könnten und werden dann natürlich normal sein.

Aber das ist längst zweitrangig. Grundsätzlich geht es längst um unsere Einstellung zu immer weiteren Fortschritten, die uns zeitweise längst überfordern. Wir entfernen uns von uns selber. Wir lassen zu, dass viel zu viel Technik unser Leben angeblich erleichtert und verbessert. Wir verlieren die Kontrolle. Irgendwann. Und der Diskurs könnte ja noch weitergehen. Kann ich mit einem künstlichen Gelenk im Ellenbogen vielleicht den Speer locker über 100m werfen. Und hat Lindsay Vonn mit einem künstlichen Kniegelenk plötzlich bessere Chancen als ihre Kontrahentinnen beim Abfahrtsrennen? Titan ermüdet nicht. Ich merke das an meinem künstlichen Hüftgelenk. Das funktioniert seit 20 Jahren. So ein bisschen Fortschritt ist ja ok.

Zum Autor: Sigi Heinrich Der vielfach prämierte Sportjournalist (u.a. Gewinner des Deutschen Fernsehpreises, des Bayerischen Sportpreises und nominiert für den renommierten Grimme-Preis), Buchautor, langjähriger Sportredakteur der Süddeutschen Zeitung und seit 1989 Kommentator bei Eurosport, widmet sich in seiner wöchentlichen Kolumne der gesamten Vielfalt des Sports und wildert gerne auch in fremden Gefilden. Mal mit schmunzelndem Augenzwinkern, mal nachdenklich oder bewusst provozierend. Es soll ja für alle etwas dabei sein.

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