Usain Bolt hat viele Nachfolger

Achtung Eilmeldung: Gesucht wird ein Star, der einer ganzen Sportart zu Ruhm verhilft. Eine kleine Orientierungshilfe dazu. Er sollte die Ausstrahlung haben wie weiland Usain Bolt und müsste natürlich auch mit entsprechenden Resultaten aufwarten können. Showtalent wäre angebracht, schließlich muss die Person über die Leichtathletikstadien dieser Welt hinaus so intensiv strahlen können, dass sich auch Menschen, die ansonsten mit dieser Sportart nicht so viel zu tun haben, dabei sein wollen. Bei Interesse mit entsprechenden Tätigkeitsnachweisen melden Sie sich bitte beim internationalen Verband der Leichtathleten an. Der Sitz ist in Monaco. Die Adresse entnehmen Sie bitte den Informationen im Internet.

Mit einer Suchaktion alleine ist es glücklicherweise nicht getan. Die Leichtathletik ist aktiv und trägt gerade eine riesige Bewerbungsaktion aus mit der Weltmeisterschaft in Budapest in der Hoffnung, dass sich im Lauf der nächsten Tage ein Kandidat oder eine Kandidatin für die freigewordene Stelle aufdrängt. Dabei wissen alle an den Schalthebeln der Leichtathletik, dass es keinen zweiten Usain Bolt geben kann. Ich finde das auch nicht sonderlich tragisch. Man muss sich nur mal lösen von dem großen und schnellen Jamaikaner, der die Weltrekorde über 100m und 200m in schier unergründliche Dimensionen geschraubt hat. Gerne spricht man in diesem Zusammenhang von Zeiten für die Ewigkeit, obwohl wir natürlich wissen, dass die Ewigkeit in diesem Fall letztlich doch nur einen gewissen Zeitraum dauert. Irgendwann kommt immer irgendwer, der schneller läuft, höher springt und weiter wirft. Anwärter sitzen immerhin schon in den Startlöchern.

Noah Lyles bewirbt sich Im Sprint ist es vor allem Noah Lyles. Der 26-jährige US-Amerikaner gewann die 100m in Budapest, den nach wie vor wohl prestigeträchtigsten Wettbewerb im Rahmen einer Weltmeisterschaft. Er siegte in Weltjahresbestleistung (9,83 Sekunden). Klar, das ist flott, aber doch eine gehörige Spanne entfernt von Usain Bolts Weltrekord, den er 2009 in Berlin mit 9,58 sec. lief. Diese Marke nämlich beschäftigt Lyles intensiv. Er glaubt fest daran, dass er sie ebenso unterbieten kann wie die 200m-Marke des Jamaikaners, die bei noch unglaublicheren 19,18 Sekunden liegt. Lyles hat immerhin schon ordentlich Maniküre betrieben. Seine Fingernägel sind mit kleinen Sternchen versehen. &bdquo;Sterne für den Star“ sagte er im Interview bei Eurosport . Eine kräftige Goldkette baumelt bereits an seinem Hals und er springt auch schon wie ein Derrwisch umher nach seinen Rennen in der freilich irrenden Hoffnung, schon so ein kleiner Bolt sein zu können.

Aber er hat noch Zeit und zwei weitere Chancen in Ungarn. Er wird versuchen, wie weiland das große Vorbild aus Jamaika, auch die 200m zu gewinnen und die Staffel steht ja auch noch aus. Rein von der Medaillenausbeute und seinen noch klar zu verbessernden Showeinlagen könnte seine Bewerbung schon ernsthaft geprüft werden. Andererseits muss den Leichtathletik-Funktionären nicht bange sein. Die Befürchtung, dass nach der Ära Bolt Tristesse und Interessenlosigkeit folgen würden, hat sich nicht bewahrheitet. Die Leichtathletik lebt von ihrer Vielseitigkeit, die während Bolt fast vergessen zu sein schien, weil sich alle vom Charisma und den Erfolgen des Sprinters aus der Karibik verführen ließen. Jetzt gibt es wieder mehr Aufmerksamkeit für andere Disziplinen, die auf den ersten Blick vielleicht nicht die Strahlkraft eines 100m-Laufes haben, die aber auf den zweiten Blick ungewöhnliche Einblicke und große Faszination bieten. Nehmen wir das Beispiel Hammerwerfen. Ethan Katzberg ist in Budapest erfolgreich. © APA/afp / FERENC ISZA

In Budapest gab es nicht nur reihenweise Würfe über 80 Meter, sondern auch noch mit Ethan Katzberg einen erst 21-jährigen Kanadier, der dieser Disziplin neues und vor allem junges Leben einhauchte. Er betreibt seine Disziplin, als würde er Skateboard fahren. Lässig, modern, frisch und frech. Das kommt an. Katzberg sowieso, der aussieht, als habe er gerade sein Beil, mit dem er das Holz für den Winter in seinem Haus in British Columbia gehackt hat, zur Seite gelegt, um mal schnell in Europa den Hammer zu schwingen. Er hat gezeigt, dass dies keine Spielart der Leichtathletik ist nur für große, ja riesige Typen, die mit leichtem Übergewicht zu kämpfen haben. Ähnlich ist das beim Diskuswerfen der Frauen und Valarie Allman, der man beim ersten Anblick nie und nimmer zutrauen würde, dass sie allen anderen überlegen ist. Die Olympiasiegerin aus den USA macht nämlich auch auf dem Tanzparkett eine gute Figur. Und da wäre natürlich noch Ryan Crouser, der es tatsächlich geschafft hat, Kugelstoßen salonfähig zu machen durch seine Rekordjagd (der Weltrekord liegt mittlerweile bei sagenhaften 23,56 Metern. Nur fünf Zentimeter weniger weit flog die Kugel bei seinem Sieg in Budapest. Er kommt mit Cowboyhut und wilder Mähne zu Presseterminen. Er ist eloquent und gefragt. US-Kugelstoßer Ryan Crouser. © ANSA / ROBERT GHEMENT

Sie alle, die letztgenannten, profitieren in gewisser Weise vom Fehlen eines alles in den Schatten stellenden Superstars wie Usain Bolt. Es ist beinahe ein gewisser Aufschwung festzustellen, eine Art Trotzreaktion all derer, die sich bislang nicht so entfalten konnten, wie es ihnen wohl immer zugestanden hätte. Die Funktionäre der Leichtathleten haben sich auch nur zu gerne von Lightning-Bolt blenden lassen und sind natürlich jetzt heilfroh, dass es da noch die Norweger Karsten Warholm und Jakob Ingebrigtsen gibt und natürlich &bdquo;Mondo“, den schwedischen Stabhochspringer Armand Duplantis, der schon jetzt als der große Heilsbringer der Leichtathletik gesehen wird, obwohl, dies, wie gesagt, der falsche Ansatz ist, denn die Stärke der Kernsportart der Olympischen Spiele ist und bleibt ihre Vielseitigkeit und ihre Vielfalt. Und erstaunlicherweise für viele, die sich gerne im Pessimismus suhlen, will die Jugend noch immer in die Leichtathletik. Duplantis ist 23 Jahre alt, der WM-Zweite über 100m, Letsile Tebogo aus Botswana zählt sogar erst 20 Lenze und der WM-Vierte aus Jamaika, Oblique Seville ist mit 22 auch Teil der Boygroup und eine Hoffnung für die Zukunft. Die ersten Tage in Budapest haben jedenfalls gezeigt, dass die Leichtathletik allen Unkenrufen zum Trotz quicklebendig ist. Und sie ist auch ein Jungbrunnen. Auf jeden Fall für mich.

Zum Autor: Sigi Heinrich Der vielfach ausgezeichnete Sportjournalist, Buchautor und Eurosport-Kommentator widmet sich in seiner Kolumne &bdquo;Sigi´s Spitzen“, der gesamten Vielfalt des Sports. Mal mit schmunzelndem Augenzwinkern, mal ernst oder bewusst provozierend und gerne auch mit einem persönlichen Touch. Es soll ja für alle etwas dabei sein.

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