Ein lauter Katzentod

Die Vorbereitungen auf die kommende Saison der Radsportelite laufen längst auf Hochtouren. Kleine Rennen lösen dabei das monotone Training ab. Wir stellen uns vor allem auf die großen Klassiker ein und die spannenden, wochenlangen Rundfahrten durch Italien, Frankreich oder Spanien, in denen vermutlich auch wieder neue Stars geboren werden, von denen einige schon im Juniorenbereich ihr Talent angedeutet haben wie etwa Antonio Tiberi. Der 21-jährige Italiener aus Frosinone wohnt in San Marino und wurde vor drei Jahren Weltmeister im Einzelzeitfahren seiner Altersklasse. Als Profi gewann der Italiener im letzten Jahr die Königsetappe der Ungarn-Rundfahrt. Als Berufsradfahrer weiß er natürlich auch, dass die Gesundheit ein wichtiges Gut ist. Allergien etwa gilt es aus dem Feld zu schlagen. Sie sind extrem hinderlich. Die Nase läuft, man muss niesen, die Augen sind gerötet, sie jucken und tränen. Ich meine, es ist nicht sonderlich schwer, sich vorzustellen, dass man in solchen Fällen tunlichst nicht auf ein Rennrad steigen soll. Katzenallergien etwa sind besonders hartnäckig. Doch gemach: Tiberi hat ein Mittel dagegen. Er hat mit einem Luftgewehr einer Katze, die er vom Fenster seiner Wohnung aus entdeckte, kurzen Prozess gemacht. Es ist nicht überliefert, ob er sie aus Vorsicht vor möglichen Allergien erschossen hat oder aus Lust und Tollerei. Klar hingegen ist, dass er wohl genau zielte. Zu genau. Eigenen Angaben zufolge wollte er lediglich die Reichweite seiner neuen Waffe testen. Vermutlich wäre das Tötungsdelikt nie öffentlich geworden. Eine streunende Katze auf einem Kaminsims, eine von Hunderten vermutlich, die kurz mal ausgebüxt sind oder gar keine Heimat haben. Dafür gibt es keine große Lobby. Prominenter Täter, prominentes Opfer Und doch wurde die Polizei von San Marino eingeschaltet. Zum einen war der Täter prominent und dann ergaben sich vielerlei Gesichtspunkte, denen nachgegangen werden musste. Ein Mord aus niedrigen Motiven. Vorsätzlich. Ein Fall vielleicht sogar für die Staatsanwaltschaft, die gerade nicht so viel zu tun hat in San Marino. Möglicherweise kam die Spurensicherung, wurden Beweismittel sichergestellt (das Gewehr etwa und natürlich Katzenhaare zwecks DNA). Die KTU bekam Arbeit. Näheres erst nach der Obduktion. Handy wurde keines gefunden, Ausweis auch nicht. Doch die Gendarmerie von San Marino hat eine Kostprobe ihres Könnens abgeben und mit Ruhe und Gelassenheit nach ausführlicher Zeugenbefragung im Umfeld des Tatortes den Halter des sich längst im Katzenhimmel befindlichen Opfers ermittelt. Es ist Federico Amati. Gut, wir kennen ihn nicht besonders gut und mussten auch erst einmal recherchieren. Und er ist tatsächlich erkennungsdienstlich erfasst. Nicht auf der Seite der Schurken, sondern weil er Politiker ist. Tourismusdirektor von San Marino. Immerhin gilt der bergige Zwergstaat als älteste bestehende Republik der Welt und rühmt sich seines Reichtums und auch seiner Sicherheit. Und da wird wild herumgeballert. Klar, dass die Politik jetzt am Zug ist. Nun ist der Katzenjammer groß bei Radfahrer Tiberi, denn er ist ja nicht gerade als Massenmörder bekannt. Und nun dies: Die Polizei ist überall mit allem was dazu gehört und die Herren Kommissare ermitteln konsequent. Dabei war der Schuss auf die Katze nur eine fehlgeleitete Übungseinheit. Er zielte, so sagte Tiberi aus, obwohl er ohne anwaltliche Unterstützung war, einfach nur so auf das Tier und traf es unglücklicherweise tödlich. Für Amati ist das freilich eine Katastrophe. Er sieht die touristische Entwicklung für San Marino, wo Katzen wie auch Menschen immer bisher ein schönes und vor allem eben auch sicheres Leben führen konnten, ernsthaft in Gefahr, weshalb in diesem besonders schweren Fall – und ein solcher ist der leichtfertige Umgang mit einem Luftgewehr natürlich – ein Exempel stationiert werden musste. Wie es sich für einen Politiker mit einem wichtigen Ressort gehört, tobte Amati und forderte Bestrafung. Jetzt zahlte es sich möglicherweise im doppelten Sinne aus, dass Tiberi die Katze nicht in Italien erschossen hat, auch wenn San Marino als Enklave von Italien umgeben ist. Der Fall kam in San Marino vor Gericht (endlich mal wieder eine große Aufgabe), das dem Radprofi eine Geldstrafe von 4000 Euro aufbrummte. Wer die Kosten des Verfahrens trägt, ist nicht übermittelt. Aber San Marino ist schuldenfrei. Es träfe keinen armen Staat. Amati tobte wieder. Für ihn war die Bestrafung viel zu gering. Er meinte, dass Tiberi in Italien wohl eine Gefängnisstrafe von vier Monaten erhalten hätte. Wenn er sich da nicht gewaltig täuscht. Denn gerade in dieser Zeit finden die großen Rundfahrten statt. Auch der &bdquo;Giro d´Italia“, den Tiberi in diesem Jahr bestreiten wird. Ein sportlicher Richter, der weiß – und die Anwälte wären sicherlich darauf eingegangen- dass Tiberi das Zeug hat, ein toller Rennfahrer zu werden, hätte das Urteil möglicherweise zur Bewährung ausgesetzt und vielleicht sogar statt der Geldstrafe Sozialdienst ausgesprochen. In einem Tierheim, in dem Tiberi täglich das Katzenklo hätte säubern müssen. Aber erst nach der Saison natürlich. Siehe Allergien. PS: In San Marino ist wieder Ruhe eingekehrt. Die Katzen sonnen sich in den Strahlen der ersten Frühjahrssonne und fühlen sich wieder sicher. Tiberi ist auf dem Rad unterwegs. Und wer weiß: Vielleicht hat Signor Amati schon ein neues Kätzchen bekommen. Zum Autor: Sigi Heinrich Der vielfach ausgezeichnete Sportjournalist und TV-Kommentator (u.a. Deutscher Fernsehpreis, Bayerischer Sportpreis, Biathlon-Award, World-Sports-Trophy) widmet sich in seiner Kolumne &bdquo;Sigi`s Spitzen“, der gesamten Vielfalt des Sports und wildert auch mal in fremden Gefilden. Mal mit schmunzelndem Augenzwinkern, mal ernsthaft oder auch bewusst provozierend. Es soll ja für alle etwas dabei sein.

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