Austern, Toast und historische Kulissen

Ecken die rund sind. Balkone, die in der Luft zu schweben scheinen wie die jetzt modern gewordenen Skywalk-Plattformen in den Bergen. Hochhäuser, die aussehen, als hätte man Schachteln unkontrolliert gestapelt. Der Wasserhahn im Hotel könnte auch der Joystick einer Playstation sein und statt Schranktüren gibt es leichte, cremefarbene Leinenvorhänge. Praktisch ist das alles zum Teil nicht. Aber schön. Anders eben auch als gewohnt. Es ist der wahrgewordene Traum aller Designer. Willkommen in Paris.

Ich war schon oft in der französischen Hauptstadt, weil hier unser europäisches Sendezentrum steht. Es ist ein ausnahmsweise verhältnismäßig schlichter, geradliniger Bau, der seine Geheimnisse nur den Besuchern offenbart, die nach intensivem Sicherheitscheck eingelassen werden. Gerade Gänge gibt es nicht und doch wirkt alles geordnet. Nur ungewohnt eben. Ich habe nichts mehr wiedererkannt nach der Neugestaltung vor ein paar Jahren, aber ich habe mich schnell eingelebt. Papierkörbe in den Büros sucht man vergebens. Es gibt dafür Abfallzonen mit Mülltrennung. Und statt Bechern für die Wasserspender (kühl, eher warm, mit oder ohne Sprudel) muss man seine eigene Tasse mitbringen.

Auch auf der Seine werden Sportveranstaltungen austragen. © ANSA / YOAN VALAT

Auch das ist Paris in diesen Tagen. Man will der Welt zeigen, dass man es ernst nimmt mit dem Klimaabkommen von 2015, das die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius im Vergleich zur vorindustriellen Zeit beschränken soll. Deshalb hat man für die olympischen Spiele auch viele temporäre Anlagen gebaut, die indes so nicht aussehen. Wie etwa die &bdquo;Champ de Mars-Arena“, die als Ersatz dient für das &bdquo;Gand Palais“, das renoviert wurde. Eine luftige, bogenförmige Holzkonstruktion dient als Hülle für die 10.000 Quadratmeter Sportfläche, auf der Judokas und Ringer um Medaillen kämpfen werden.

Was später damit geschieht, steht noch in den Sternen. Vielleicht wird sie andernorts neuerlich zum Leben erweckt. Manches bleibt wie die neue Kletteranlage in Le Bourget. Dort sollen sich nach den Spielen die Kinder und Jugendlichen dieses Pariser Vorortes austoben. Und auch der neue Wasserpark (Rudern, Kanu und Wildwasser) wird später ein großartiges Freizeitgelände werden nur 40 Kilometer entfernt von der Stadtmitte.

Historische Bauten als Kulisse für den Sport Manches indes steht schon seit Jahrhunderten und dient als Kulisse für die Wettkämpfe. Das Schloss Versailles beherbergt die Reiter und auf der &bdquo;Alexander III-Brücke“ starten die Triathleten und die Radfahrer beenden dort ihr Zeitfahren. Bei der grundlegenden Renovierung der Brücke, die zur Weltausstellung 1900 ihrer Bestimmung übergeben wurde, zeigte sich der Kämmerer großzügig. 1,8 Kilogramm Blattgold wurden verwendet. Und dann ist da natürlich der Eiffelturm, den die Pariser am Anfang abgelehnt haben. Er würde das Stadtbild verschandeln, hieß es.

Jetzt ist Paris ohne dieser wagemutigen Stahlkonstruktion nicht mehr vorstellbar. In seinem Schatten werden die Beach-Volleyballer aufschlagen. Der Turm ist längst eines der bekanntesten Wahrzeichen der Welt. Ich gondele mit meinem Fahrer, der mich am Bahnhof &bdquo;Gare de Nord“ abgeholt hat, noch ein wenig durch Paris und bitte ihn, gerne auch den einen oder anderen Umweg zu machen. Ich suche die französische Seele. Das erste Wort, das ich bei meinem ersten Besuch lernte war nämlich &bdquo;bouché“. Es ist, stelle ich fest, noch brandaktuell, denn die Ringstraße ist nach wie vor &bdquo;verstopft“. Stopp and go. Wie immer. Und erst recht jetzt zu den Olympischen Spielen. Das ist Paris.

Aber natürlich noch viel mehr. Das Croissant, das Baguette, der Wein, die Mode, Edith Piaf, die Erfindung des Kinos, Victor Hugo und der &bdquo;Glöckner von Notre Dame“. Und überladene dreistöckige Konstruktionen, in denen auf jeder Ebene auf Eis gelegte Austern thronen. Wenn möglich bitte aus der Bretagne. &bdquo;Savoir vivre“. Die Kunst des Lebens. Auch das ist Paris und dieses Motto wird auch bei den Olympischen Spielen präsent sein.

Der Chefkoch im Olympischen Dorf für die Athleten ist der ehemalige Profi-Basketballer Alexandre Mazzia, der in Marseille ein Restaurant betreibt, das mit drei Michelin-Sternen ausgezeichnet wurde. Mehr geht nicht. Er will zum Beispiel Seehecht anbieten mit Tapioka. Das ist geschmacksneutrale Stärke aus der Maniokwurzel. Cholesterinfrei mit vielen Nährstoffen. Perfekt für Menschen, die Höchstleistungen bringen müssen. Glücklicherweise bekommen die Sportler seine Gaumenfreuden günstig. Wer dagegen in den Restaurants und Bars der Hauptstadt der Völlerei zugetan sein will, muss tief in die Tasche greifen.

Meine Tradition, am ersten Tag in unserer Zentrale immer einen Toast zu essen, war jedenfalls eine Warnung für die nächsten Wochen. Mit einer Flasche Wasser musste ich 21.50 Euro hinblättern. Allerdings ist das ja nun nicht nur ein simpler Toast. Einer mit Milch abgelöschter Mehlschwitze wird Gruyere hinzugefügt, bis eine schöne, dickflüssige Sauce entsteht. Brioche-Scheiben werden angeröstet und dann wie folgt belegt: Käsesauce, Kochschinken, geriebener Gruyere, wieder Brioche, Käsesauce und noch einmal geriebener Käse. Dann kommt das Kunstwerk so lange in den Ofen, bis der Käse goldgelb verlaufen ist. Ein Spiegelei wäre die Krönung. Dann heißt das Gericht übrigens &bdquo;Croque madam“. Bon appétit.

Zum Autor: Sigi Heinrich Der vielfach ausgezeichnete Sportjournalist (u.a. Gewinner des Deutschen Fernsehpreises, des Bayerischen Sportpreises und nominiert für den renommierten Grimme-Preis), Buchautor, langjähriger Sportredakteur der Süddeutschen Zeitung und Kommentator der ersten Stunde des paneuropäischen TV-Senders Eurosport (seit 1989), widmet sich in seiner Kolumne &bdquo;Sigi´s Spitzen“ der gesamten Vielfalt des Sports. Mal mit schmunzelndem Augenzwinkern, mal nachdenklich oder bewusst provozierend. Es solle ja für alle etwas dabei sein.

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