Das besondere olympische Erlebnis

Es wurde noch einmal getanzt und noch einmal wurden Lichtspiele in den Abendhimmel von Tokio gezaubert. Dann gingen sie zu Ende, die ungewöhnlichsten Olympischen Spiele aller Zeiten.

Zunächst wurden sie um ein Jahr verschoben und dann durften keine Zuschauer in die Sportstätten. Dass dennoch keine Geisterspiele daraus wurden, lag an den Aktiven und Trainern, die gerade Zeit hatten. Sie nahmen ein paar Plätze ein und versuchten nach Leibeskräften, der Leere entgegenzuwirken. Im Fernsehbild sah das gut aus, denn nur diese kleinen Gruppen wurden von den Kameras erfasst, so dass uns vorgegaukelt wurde, dass alles doch gar nicht so schlimm sei.

Den Aktiven blieb nichts anderes übrig, als diese Problematik auszublenden und fast allen gelang es. Man war letztlich ja froh, dass diese Spiele überhaupt ausgetragen wurden, nachdem lange Zeit das Damoklesschwert einer kompletten Absage über Tokio schwebte. Und sogar mittendrin hieß es plötzlich, auch ein Abbruch sei möglich. All diese Szenarien blieben aus. Noch mehr Emotionen als sonst Für mich waren es die 14. Olympischen Spiele als Kommentator bei Eurosport und ich werde sie als die Spiele in Erinnerung behalten, die noch mehr Emotionen als sonst erkennen ließen. Das lag zweifellos an den Umständen, an der schwelenden Unsicherheit, an der Tatsache, dass plötzlich nichts mehr so selbstverständlich war wie sonst immer. Täglich wurden Corona-Tests durchgeführt. Die Angst war ein ständiger Begleiter. Für alle. Negativ oder positiv. Die Analyse wurde immer mit gemischten Gefühlen verfolgt, denn positiv bedeutete automatisch das Ende aller olympischen Bemühungen. Quarantänehotel statt Olympiastadion. Fünf Jahre Vorbereitung verloren sich dann im Nebel von Covid 19. Alles wäre umsonst gewesen.

Aus dieser Unsicherheit heraus war schon die Teilnahme ein Erfolg. Und wer dann in all dieser Problematik Medaillen gewann, wusste oft nicht wohin mit all den plötzlich herausbrechenden Emotionen. Im Wildwasser, im Schwimmbecken des Aquatic-Centers, beim Fechten oder auch im Segelrevier, wo Sieger mit Freude über Bord gingen nach einer erfolgreichen Wettfahrt. Die Jubelarien zogen sich jeden Tag wie ein roter Faden durch Tokio. Sie waren wie ein Band, dass alle in einer äußerst schwierigen Situation zu einem Team formte.

Hat der Sport also doch die Kraft unsere Welt zu verändern? Die Antwort ist einfach. Nein. Es gelingt nur für den einen, den kleinen Moment, in dem der Wettkampf stattfindet. Aber schon dafür sind wir froh. Plötzlich werden Grenzen aufgehoben. Der Konkurrent wird zum Freund, die Nationalität spielt keine Rolle mehr. Als der Italiener Gianmarco Tamberi nach dem Wettkampf seinen Konkurrenten Essa Mutaz Barshim aus Katar innigst umarmte nachdem man beiden eine Goldmedaille gab, dachte ich mir: So könnte es doch immer sein und in meinem Kopfkino spielten sich versöhnliche Szenen zwischen vormals verfeindeten Parteien ab.

Gianmarco Tamberi teilte sich in Peking die Goldmedaille. © APA/afp / BEN STANSALL

Aber leider läuft so ein Film nicht lange. Die Realität schlägt mit gewaltiger Brutalität zu und schert sich einen Teufel um romantische Stimmungen. Schnell geht der Vorhang wieder zu. Ein iranischer Ringer will nicht gegen einen Israeli kämpfen, die weißrussische Läuferin Kristina Timanowskaja wendet sich hilfesuchend an das IOC, weil sie Angst hat von ihrer eigenen Regierung entführt zu werden. Sie ist mit einem humanitären Visum mittlerweile in Polen in Sicherheit. Zwei Trainer ihrer Mannschaft mussten umgehend Tokio verlassen.

Der olympische Frieden ist brüchig, ist es immer gewesen. Dennoch hat das Spektakel unter dem Dach der fünf Ringe eine immense Bedeutung. Es ist das größte Sportereignis der Welt und dass es auch in diesen Pandemie-Zeiten durchgeführt wurde, ist ein Zeichen der Hoffnung auf Normalität. Eine Normalität, die man freilich nicht umsonst bekommt und die nur durch gemeinschaftliche Anstrengungen irgendwann mal wieder möglich wird. Die Olympioniken haben ihren Teil dazu beigetragen. Japan sei Dank, weil trotz intensiver Skepsis der Bevölkerung diese Spiele stattgefunden haben. Und auch die Paralympics werden am 24. August beginnen. So hat es kaum Verlierer gegeben, auch wenn es ein finanzieller Kraftakt ist, den Tokio stemmen muss, weil kein einziges Ticket verkauft werden konnte.

In der IOC-Zentrale in Lausanne reibt man sich dennoch die Hände, denn mit der ersten Sekunde einer TV-Ausstrahlung hat man die Verträge mit den Rechteinhabern eingehalten. Und so waren die Olympischen Spiele 2020, die 2021 stattgefunden haben, alles in allem ein Erfolg. Die Messlatte für die nächsten Sommerspiele schon in drei Jahren in Paris liegt deshalb hoch. Aber das gehört im Sport dazu.

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Das besondere olympische Erlebnis

Mit einer sehr gefühlvollen Schlussfeier ging der Vorhang zu für die Olympischen Spiele 2020 in Tokio. Unser Kolumnist Sigi Heinrich blickt noch einmal zurück, lässt sein Kopfkino spielen und erkennt einen Hoffnungsschimmer am sportlichen Horizont.

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