Das Ende einer Ära: „Natürlich schwingt Wehmut mit“

Heute geht eine der herausragendsten Karrieren in der Südtiroler Sportwelt zu Ende. Nicht die eines Sportlers, sondern eines Sportfunktionärs, eines Machers hinter den Kulissen. Die Karriere eines Mannes, der vielen Südtiroler Top-Sportlern indirekt den Weg nach ganz oben ebnete. Günther Andergassen sagt nach 24-jähriger Präsidentschaft beim VSS &bdquo;Lebewohl“.

Heute endet für Sie die Zeit an der Spitze des Verbandes der Südtiroler Sportvereine VSS. Ist Wehmut dabei oder überwiegt die Freude, dass es nach 24-jähriger Präsidentschaft vorbei ist?

&bdquo;Natürlich schwingt Wehmut bei einem Abschied nach 44 Jahren enger Verbundenheit mit dem VSS mit. Vor allem freue ich mich, zufrieden zurückblicken zu können und mehr Zeit für die Familie und Freunde zu haben. Ganz ohne ehrenamtliche Aufgaben werden auch die kommenden Jahre nicht sein – es warten das Kuratorium Marienberger Klausurgespräche und die Südtiroler Herzstiftung.“

Sie waren seit 1979 beim VSS: Was bleibt Ihnen besonders in Erinnerung?

&bdquo;Mir werden die vielen Sportfeste mit den jungen Menschen und ihre leuchtenden Augen in besonderer Erinnerung bleiben, die wertschätzende Zusammenarbeit mit meinen Vorstandskollegen und den Mitarbeitern, mit denen ich viel bewegen konnte und das große Engagement in unseren Mitgliedsvereinen.“

Der VSS musste sich oft den Ruf gefallen lassen, eine Konkurrenz zu den Fachsportverbänden zu sein. Was entgegnen Sie diesen &bdquo;Kritikern“?

&bdquo;Das Gegenteil ist der Fall. Über unsere Jugendförderprogramme in engster Zusammenarbeit mit den Mitgliedsvereinen wollen wir möglichst viele junge Menschen für den Sport begeistern. Das schafft die Basis für eine sportliche Karriere, wofür die Fachsportverbände dann verantwortlich zeichnen. Ohne eine breite Basis gibt es keine Spitze im Sport. Wenn Südtirol sportlich so erfolgreich ist, dann ist das mit ein Verdienst der Kinder- und Jugendsportförderung des VSS. Ich könnte einen Fachsportverband nennen, der dem VSS untersagt hat, für eine bestimmte Gruppe von Jugendsportlern Sportangebote zu machen. Nach ein paar Jahren haben die Verantwortlichen beim VSS angeklopft und uns gebeten, wieder ein breiteres Angebot zu machen, weil ihnen die Jugendlichen &bdquo;weggebrochen“ sind. Wir arbeiten alle im Interesse unserer Jugend und kooperieren, wo immer es nur irgendwie möglich ist.“

„Wenn Südtirol sportlich so erfolgreich ist, dann ist das mit ein Verdienst der Kinder- und Jugendsportförderung des VSS.“ Günther Andergassen

Welche gesteckten Ziele haben Sie erreicht?

&bdquo;Die Gründung der Südtiroler Sporthilfe nach deutschem und schweizerischem Modell in Kombination mit dem Ball des Sports; die Sportoberschule Mals, weil wir Verantwortung auch für die Gesamtentwicklung der jungen Sporttalente tragen; die kostenlose Benutzung der Schulsporthallen; die Gründung der ersten Herzsportgruppen; die Durchführung der ersten Euregio-Jugendspiele; die Ausbildung von Sportinstruktoren, ja die Aus- und Weiterbildung insgesamt, weil nicht das Geld, sondern immer die Menschen den Sport und die Sportvereine erfolgreich machen; die Zusammenarbeit mit der Schule und Universität; die Einführung der Nachhaltigkeits-Charta Sport und als VSS-Leichtathletikreferent die Stadt- und Dorfläufe, die die Leichtathletik in die Dörfer bringen sollten, um die Wesentlichen zu nennen. Die Anerkennung des VSS als &bdquo;ente di promozione sportiva“ ist auf dem Weg. Ich betone, dass ich immer gute Partner und Mitstreiter hatte, beginnend bei meinen Amtsvorgängern Walter Plunger und Walter Außerhofer, den Geschäftsführern Manfred Call, Klaus Dellemann und Daniel Hofer bis hin zu allen anderen Mitarbeitern, aber auch bei den Verantwortungsträgern in der Politik. Ohne sie wäre vieles nicht möglich gewesen.“

Was blieb unerfüllt?

&bdquo;Das Landessportzentrum, das entscheidend zur qualitativen Weiterentwicklung des Südtiroler Sports in seiner Gesamtheit beitragen könnte. Das sind die Erfahrungen in anderen Ländern und Regionen. Was für einzelne Sportarten gut ist, müsste auch für den Sport in seiner Gesamtheit gut sein. Aber ich bin zuversichtlich, dass ein solches Sport-Kompetenzzentrum entstehen und auch in Südtirol eine gute Zukunft haben wird.“

Günther Andergassen war 24 Jahre lang Präsident des VSS. © Armin Huber

Der VSS ist mit 494 Mitgliedsvereinen, 1000 Sektionen und rund 86.000 Sportlern und Funktionären der mitgliederstärkste Verband in Südtirol. War diese große Verantwortung ein Fluch oder ein Segen?

&bdquo;Das war ein Segen. Die Sportvereine wirken als größte Bürgerbewegung unseres Landes tief in unsere Gesellschaft hinein und führen Menschen zusammen, unabhängig von Sprache, Kultur und sozialem Status. Der Sportverein als sozialer Kitt in unserer Gesellschaft. Dem VSS, dem Dachverband dieser Vereine, vorzustehen, war im wahrsten Sinne des Wortes ein Ehrenamt.“

Die größte Stärke des VSS?

&bdquo;Die Nähe zu den Vereinen, um sie mit Information, Beratung und Unterstützung bei ihrem &bdquo;Alltagsgeschäft“ und durch persönliche Kontakte zu unterstützen, das breite Weiterbildungsangebot, die vielfältigen Beziehungen zur Landes- und Gemeindepolitik und schließlich die breite Kinder- und Jugendsportförderung. Der VSS ist der Interessensvertreter des Südtiroler Sports und seiner Vereine in seiner Gesamtheit, unabhängig von Sportart und Leistungsniveau.“

Das Ehrenamt wird in Südtirol nicht nur gepriesen, sondern gelebt – vor allem im Sport. Wird das die größte Herausforderung für die Zukunft, damit das so bleibt?

&bdquo;Der Sportverein lebt vom Ehrenamt. Menschen für die Übernahme von Verantwortung in den Sportvereinen oder zur Mitarbeit zu gewinnen, wird eine Herausforderung für die Zukunft sein. Wesentlich wird sein, dass wir junge Menschen frühzeitig dafür gewinnen, projekt- und interessensbezogen mitzuarbeiten, ihre Ideen einzubringen, ihnen Verantwortung zu übergeben. Es gibt Studien, die bestätigen, dass Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren, glücklicher sind.“

„Der Sportverein lebt vom Ehrenamt.“ Günther Andergassen

Ist die Rolle des VSS-Obmannes mehr die eines Sportlers oder eines Politikers?

&bdquo;Es braucht beides: Die Rolle eines Sportlers, um das Wesen der Sportvereinsarbeit und die Bedürfnisse der Sportler zu verstehen, aber auch die Rolle des Politikers, um die Interessen der Sportvereine zu erkennen und gezielt und konsequent zu vertreten.“

Welchen Rat geben Sie Ihrem designierten Nachfolger Paul Romen?

&bdquo;Mein Stellvertreter und langjähriger Kollege Paul Romen braucht keinen Rat von mir. Er kennt den Sport von innen und außen, ist selbst Präsident eines Sportvereins (SV Jenesien) und weiß um die Rolle des VSS als ehemaliger Bezirksvertreter und in den letzten 4 Jahren als Obmannstellvertreter des VSS. Er wird das Gute fortführen und das weniger Gute verbessern.“

Worauf freuen Sie sich ab kommenden Samstag am meisten?

&bdquo;Ich würde mich am meisten darüber freuen, wenn ich mich von möglichst vielen Vereinsvertretern und Wegbegleitern persönlich als Obmann des VSS verabschieden kann und dennoch weiterhin in Freundschaft verbunden bleibe.“

Porträt: Das ist Günther Andergassen Geburtsdatum und -ort: 25. November 1948 in Kaltern Wohnort: Kaltern Beruf: Zuerst Heimleiter und Lehrer an der Landwirtschaftsschule Fürstenburg, später persönlicher Referent von Landesrat Otto Saurer und Ressortdirektor für Gesundheit, Soziales, Personal, Berufsbildung, Bildungsförderung, Universität und Forschung Ausbildung: Doktorat in Erziehungswissenschaften und Psychologie im Nebenfach Familienstand: Verheiratet mit Helene Pobitzer, Tochter Hannah (22) Hobbys: Sport, lesen, Kulturelles Sportliche Karriere: Leichtathlet, u.a. Regional-Rekordhalter über 20 km auf der Bahn in der Zeit von 1:02.24 Stunden (der Rekord ist noch gültig); Präsident des Läuferclubs Bozen von 1972 bis 1990) Karriere als VSS-Sportfunktionär: 1979 bis 1983 VSS-Referent für Leichtathletik, 1983 bis 1991 Bezirksvertreter Bozen Stadt & Land, 1991 bis 1999 Vize-Obmann, 1999 bis 2023 Obmann Lieblingssportler: Gustav Thöni damals und Jannik Sinner heute Leitsatz: Im Dialog die Dinge lösen

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