Der „Ötzi“ braucht den Berg

Von Sigi Heinrich

Da liegt er nun, immer noch versorgt mit Wasser und ab und zu eingehüllt in Sprühnebel bei stets gleichen Temperaturen. Und er kann nichts tun. Absolut nichts. Der Ötzi“, der Mann aus der Steinzeit, lebt sein zweites Leben als Toter. Vermutlich wäre ihm der Wirbel um seine Person nie recht gewesen. Möglicherweise war er ein Einzelgänger. Das weiß letztlich ja niemand, während schon klar ist, dass er wohl durch einen Pfeil, abgefeuert von einem feindlichen Bogen, niedergestreckt wurde. Danach deckte ihn das Gletschereis zu und er fand seine Ruhe seit 3300 vor Christus, ehe er vor 30 Jahren entdeckt wurde. Postmortal haben sie ihm dann bei der Bergung noch ein paar Knochen gebrochen. Tangierte ihn nicht mehr. Auch dass ein Presslufthammer in seine Hüfte drang, ertrug er mit stoischer Ruhe. Und es war ihm sicher auch egal, ob er nun in Nordtirol als Mumie eine Attraktion ist oder in Südtirol. &bdquo;Ötzi“ sollte vom Virgl auf uns herabschauen Als er lebte, machte das noch keinen Unterschied. Wir sind fasziniert von ihm. Er ist der älteste Mensch, den wir kennen und er ist dank der eisigen Hülle in den vergangenen Jahrhunderten, bestens erhalten. Zumindest sehen das natürlich die Wissenschaftler so. Und er ist ein Kassenmagnet geworden, eine weltweite Berühmtheit. Er, der Mann aus den Bergen. Man würde ihm eine ordentliche, wirklich letzte Ruhestätte wünschen. Eine, die seiner Bedeutung auch gerecht würde und da gibt es für mich nur eine Lösung. Er sollte auf dem Bozner Hausberg, dem Virgl, auf uns herabschauen können. Und wir zu ihm hinauf. Touristen, da bin ich mir sicher, hätten ihre wahre Freude daran, wenn sie in eine Seilbahn steigen könnten, um zum &bdquo;Ötzi“ hinauf zu schweben. Vielleicht sähe man sein Mausoleum auch schon von unten. Nachts beleuchtet.

Ein Fixpunkt in der Südtiroler Landeshauptstadt. Klar, um das Projekt der Signa-Gruppe bei der finalen Grabwahl für ihn zu favorisieren, braucht es Mut und Visionen. Das ist nicht jedem gegeben. Widerstände formieren sich immer dann intensiv, wenn eingefahrene Gleise verlassen werden. Lässt man den &bdquo;Ötzi“ in der Stadt, geht man halt mal vorbei und schaut ihn sich an. Wäre er oben auf dem Virgl, würde man ihn wissentlich besuchen und vielleicht sogar einen Urlaubstag mehr dafür einplanen. Das Gastgewerbe würde jubeln. Guter, braver &bdquo;Ötzi“. Ein Mehrwert wäre das für alle. Die Bevölkerung war auch in anderen Orten zunächst skeptisch Und auch architektonisch könnte es ein Meilenstein werden. Als Gustavo Eiffel für die Weltausstellung 1900 sein Stahlmonster bauen ließ, waren die Franzosen zunächst auch nicht sonderlich begeistert. Ganz im Gegenteil. Sie lehnten den Turm ab als ästhetische Schande. Heute prägt der Eiffelturm die französische Metropole. König Ludwig II hatte auch seine Vision, als er von Hohenschwangau aus beschloss, Neuschwanstein zu bauen. Mitten hinein in die Berge. Sein Schloss ruinierte zwar die Finanzen Bayerns damals, ist aber längst eine der größten Touristenattraktionen Deutschlands, ja weltweit. Die spektakulären Türme, Brücken, Museen oder Wolkenkratzer von Santiago Calatrava sind, wo immer sie stehen, Anziehungspunkte und prägende Monumente der Architektur.

In Innsbruck haben sie dereinst auch nicht gekleckert beim Neubau der Bergiselschanze. Die irakisch-britische Architektin Zaha Hadid hat ein eindrucksvolles Werk geschaffen. Eine Aussichtsplattform mit einem Gipfelrestaurant, bequem erreichbar mit einem Schrägaufzug. Es ist ein Blickfang und so hat jetzt Innsbruck nicht nur das &bdquo;Goldene Dachl“, sondern ein weiteres Wahrzeichen, das man zudem schon von weitem sieht. Wie einen Leuchtturm am Meer. Und sie hat sich ja auch am Kronplatz verewigt für eines der Messner-Mountain-Museen. Es geht aber auch kleiner und dennoch eindrucksvoll. Ich durfte bei der Einweihung der neuen Hängebrücke in Barbian, die über den Ganderbach spektakulär hinüber nach Saubach führt, dabei sein und habe in einigen Gesprächen heraushören können, dass man das Projekt zunächst nicht unbedingt geliebt hat. Doch jetzt, da es vollendet ist, steht fest, dass damit eine Attraktion geschaffen wurde. Ein kleines architektonisches Juwel inmitten eines Kastanienwaldes, für das eben auch ein paar Widerstände überwunden werden mussten.

In Bozen haben sie jetzt durch den &bdquo;Ötzi“ die äußerst seltene Gelegenheit, für ihre Stadt, ja für ganz Südtirol, ein Bauwerk zu schaffen, das einem vielleicht sogar den Atem nimmt. Architektur an sensiblen Orten ist ja immer auch eine extrem spannende Angelegenheit. Mit dem &bdquo;Ötzi“, die Chance beim Schopf packen, wäre für mich das Gebot der Stunde. Alles andere als die letzte Ruhestätte für unseren Kollegen aus der Kupfersteinzeit auf dem Virgl wäre langweilig. Ich bin mir sicher, würde man den &bdquo;Ötzi“ fragen können, er wäre für den Berg, denn vom Berg kommt er. Die Dolomiten sind Weltkulturerbe. Den &bdquo;Schlern“, den &bdquo;Rosengarten“, die &bdquo;Drei Zinnen“ kennt jeder Tourist. Ein Museum für den &bdquo;Ötzi“, erhaben wie die Naturwunder, wäre eine perfekte Ergänzung. Es gäbe keine Verlierer in diesem Kampf um die alten Knochen aus dem Ötztal. Es gäbe nur Sieger. Ich bin gespannt, ob man am Ende sagen kann: Ja, den Mutigen gehört die Welt. Der &bdquo;Ötzi“ hätte das verdient. Er hat lange genug gewartet.

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