Die Irrfahrt in die Spaßgesellschaft

Mit vorsichtigen Schritten, die irgendwann sogar zu einem Anlauf werden, peilt der Schüler, nennen wir ihn heute mal Heinrich, die Weitsprunggrube an. Und natürlich kümmert er sich nicht um seine Lauftechnik. Es ist eh schon ein halber Marathon bis zum Brett, das vor der Sandgrube quer in den Boden eingelassen ist. Von dort muss er abspringen und auch noch die Distanz überwinden vom Brett zum weichen Sand. Nach einem erfolgreichen Versuch kommen zwei Mitschüler mit einem Maßband und stellen fest: Heinrich ganz in Ordnung. Sprung gültig und weit genug, um ein paar Punkte zu bekommen für die Urkunde im Rahmen der Bundesjugendspiele. Eine einfache Ausführung gibt es ab 40 Zählern, eine schönere, die sich gar Ehrenurkunde nennt, bei über 55 Punkten. Da ist man dann in der Klasse schon anerkannt als sportliches Ass, weshalb die Anstrengungen dann auch beim 50m-Lauf und beim Schlagballwerfen schweißtreibend werden.

Die Motivation ist unübersehbar, denn die Kumpels in der Klasse sind gut und Heinrich, der auch Klassensprecher ist, will sich einfach behaupten. Es ist ein interner Wettkampf. Ein bisschen geht es auch um das Abstecken der Claims innerhalb des Klassenverbandes. Es sind erste Machtspiele, die das Leben später immer wieder fordert in anderer, dann auch wesentlich intensiverer Form. Das geschieht in der Schule noch ohne Kalkül, eher instinktiv. Man will sich messen als Heranwachsender. Spaß statt Leistung Jetzt soll das alles vorbei sein. In der Grundschule bis hin zur vierten Klasse soll die Weitsprunggrube nur noch ein Spielplatz sein. Weiten werden nicht mehr gemessen, Zeiten nicht mehr gestoppt und wie weit der Ball fliegt, ist völlig uninteressant. Hauptsache es macht Spaß. Spaß. Ja, das soll jetzt im Vordergrund stehen. Kein Wettkampf mehr, sondern nur noch ein Wettbewerb. Vielleicht im Sandburgenbauen. Der Leistungsgedanke soll als böser Begleiter sportlicher Taten verdrängt werden. Maßbänder und Stoppuhren auf dem Sportplatz gehören bis zu einem gewissen Alter der Vergangenheit an. Im bayerischen Herzogenaurach, dort wo man seit vielen Jahren Schuhe verschiedener Marken produziert, findet in diesen Tagen eine Sportministerkonferenz statt, wo versucht werden soll, den Leistungsgedanken aus dem Schulsport zu verbannen. Wir wollen – hurra – eine Spaßgesellschaft werden.

Ich bin zunächst erst einmal total verwundert, dass es tatsächlich so viele Sportminister gibt in Deutschland, denn ein Bundesminister für Leibesübungen ist unauffindbar, weil der Sport dem Innenministerium untersteht. Die jeweils für dieses Ressort verantwortliche Person kennt man dann natürlich, denn sie ist da, wenn wichtige sportliche Ereignisse anstehen und vor allem, wenn sportliche Erfolge gefeiert werden.

Bei der Ankunft der Basketball-Weltmeister etwa ließ es sich Nancy Faeser – sie ist gerade Innenministerin – nicht nehmen, die deutschen Asse persönlich zu beglückwünschen, wobei sie auch auf den Sieg im Halbfinale gegen die USA am Samstag hinwies, der freilich am Freitag war. Geschenkt. Basketball ist halt Neuland für sie. Es hat ja danach beim Erfolg gegen Serbien wirklich Spaß gemacht mit den Jungs. Viel mehr jedenfalls als noch vor einem Jahr in Katar. Da war Faeser auch.

Nancy Faeser bereitete Dennis Schröder und Co. einen weltmeisterlichen Empfang. © ANSA / RONALD WITTEK

Klar, weil Fußball stets von vielen Kameras begleitet wird. Leider nicht sehr lange aus deutscher Sicht gesehen und sicher sehr zum Leidwesen der Ministerin, die natürlich auf der VIP-Tribüne im Finale glänzen wollte. Doch dazu wäre eine gute Leistung notwendig gewesen. Übrigens will man jetzt auch im Fußball Neuland betreten und endlich mal Spaß haben, was zuletzt nur bedingt der Fall war. Tore soll es deshalb nicht mehr geben. Endlich. Wir wollen nur noch dribbeln und zaubern. Und wehe, es geht mal auf die Knochen. &bdquo;Mami, er hat mich geschubst.“

Großereignisse sollen helfen Der deutsche Sport leitet gerade eine totale Irrfahrt ein. Der Leistungsgedanke wird verdrängt. Wir schwimmen nur noch, um nicht unterzugehen. Wir spielen nur noch, um einfach dabei zu sein. Wir laufen, vornehmlich hinterher und werden uns später wundern, wenn wir total abgehängt worden sind. Tendenzen für den Absturz sind genug jetzt schon vorhanden. Im Bundestag sitzen einige ehemalige Leistungssportler wie Jens Lehmann (Radsport) oder Franck Ullrich (Biathlon). Olympiasieger und Weltmeister waren sie. Ich vermisse deutliche Stellungnahmen von beiden. Aber das war schon immer ein Problem. Der Sport ist in Deutschland ein Anhängsel der Politik ohne wirklich Rückendeckung zu haben. Im Grunde hört hier der Spaß eigentlich auf. Als einzig verlässliche Reaktion ist dann stets der Hilferuf nach Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen zu vernehmen, die in Deutschland organisiert werden sollen. Das brächte, so der Tenor dabei, den notwendigen Impuls für den Spitzensport. Nur konkurrenzfähige Sportler und Sportlerinnen werden wir dann nicht mehr haben. Dafür eine Menge Spaß mit den Leistungen der Konkurrenz.

Zum Autor: Sigi Heinrich Der vielfach ausgezeichnete Sportjournalist, Buchautor und Eurosport-Kommentator widmet sich in seiner Kolumne &bdquo;Sigi´s Spitzen“ der gesamten Vielfalt des Sports. Mal mit schmunzelndem Augenzwinkern, mal nachdenklich oder auch bewusst provozierend. Es soll ja für alle etwas dabei sein.

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Die Irrfahrt in die Spaßgesellschaft

Die Bundesjugendspiele in Deutschland sollen verändert werden. Bis zu einem gewissen Alter sollen in der Leichtathletik keine Wettkämpfe mehr ausgetragen werden. Dabei hat unser Kolumnist Sigi Heinrich dereinst selbst am eigenen sportlichen Leib festgestellt, dass auch Leistung Spaß machen kann.

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