Ein verführerischer Erfolg

Dass man nach elf Tagen intensiver Beobachtung spannender Wettbewerbe bei den European Championships leichte Ringe unter den Augen hat, ist eher normal. Manche Veranstaltung endete spät, auch wegen Absacker und so. Und am frühen Morgen ging es mitunter schon wieder hinein in die sportliche Sause im Olympiapark. Kurze Nächte, lange, aber großartige Tage sind vorüber. Und jetzt wird natürlich wieder geträumt. Das hatte ich befürchtet nach den vielen positiven Reaktionen der Aktiven und eben auch der Fans. Wieder wurde das schöne Wort vom &bdquo;Sommermärchen“ strapaziert und dann hieß es: Feuer frei für das Wunschkonzert.

Da alles so schön war, so wunderschön und die Begeisterung intensive Ansteckungsgefahr mit sich brachte, bekommen die Ringe jetzt wieder Form und Farbe. Es sind nämlich jene, die das Symbol der Olympischen Spiele darstellen. Und weil 1,2 Millionen Zuschauer die Wettkämpfe vor Ort verfolgten, weil die Fernsehstationen allüberall mit ihren Übertragungen auf große Resonanz stießen, taucht wie ein Gespenst wieder die übergroße Frage auf nach den nächsten Olympischen Spielen in Deutschland. Vielleicht sogar in München, denn das Lob der Sportler und Sportlerinnen für die gute Stimmung und die faire Anfeuerung für alle, egal welcher Nation, könnte man ja schlecht ignorieren. Neun statt 32 Sportarten Die Frage indes darf man stellen: Muss das sein mit Olympischen Spielen, nur weil jetzt diese vielen kontinentalen Titelkämpfe an einem Ort und in kompakter Form als gelungen bezeichnet werden dürfen? Neun Sportarten wurden ausgetragen in München. Eine sehr wichtige bei Olympia, nämlich Schwimmen, fand zur gleichen Zeit in Rom statt. Bei den nächsten Wettkämpfen im Zeichen der Ringe in Paris 2024 werden es 32 verschiedene Sportarten sein. München war also nur ein Miniolympia. Zum Glück, denn man musste sich nicht an die Vorgaben des Internationalen Olympischen Komitees halten und deren Ansprüche auch im finanziellen Bereich erfüllen.

Die Veranstalter der European Championships waren frei in ihrer Organisationsstruktur. Es gab sogar Veranstaltungen, da musste man keinen Obolus entrichten. Unvorstellbar bei Olympischen Spielen. Und nichts, aber auch gar nichts musste extra gebaut werden. Ausgenommen Stahlrohrtribünen, die jetzt schon wieder verschwunden sind. Der Olympiapark mit seinen 290 Hektar, eine Insel im Getöse der Großstadt, war die Seele der vielen Meisterschaften, das kulturelle Rahmenprogramm war erheiternd und entspannend. Es war kein Olympisches Dorf notwendig. Die Hotels in und um München boten ausreichend Unterkunft.

Der Sonnenuntergang hinter dem Olympiapark in München. © APA/afp / INA FASSBENDER

Wo nichts war, wurde improvisiert wie für den Bahnradsport, wo in der Messe München kurzerhand eine Bahn aufgebaut wurde. Sie war zwar nur 200m statt der üblichen 250m lang. Doch das wurde schnell akzeptiert, auch wenn die Fliehkräfte aufgrund der steileren Kurven intensiver waren. 1700 Zuschauer passten in die Halle. Auch das hat genügt. Für Mountainbike ging man nicht in die Berge, sondern offerierte mit viel Phantasie eine tolle Strecke am Olympiaberg. Die Triathleten schwammen durch den schon vor 50 Jahren angelegten See und die Radler entdeckten die malerische, bayerische Voralpenlandschaft.

Auf dem Königsplatz spielten Volleyballer im Sand und Kletterer widersetzten sich der Schwerkraft und selbst die Geher und Marathonläufer machten so nebenbei eine Sightseeingtour durch die bayerische Landeshauptstadt. Es war, das darf man so sagen, perfekt. Aber mehr wäre nicht gut gewesen. Die schiere, erdrückende Größe Olympischer Spiele hätte die Leichtigkeit dieser europäischen Meisterschaften nie möglich gemacht. Die nächsten Termine sind besetzt Ja, die European Championships waren ein voller Erfolg. Aber sie müssen jetzt nicht als Blaupause dienen für eine Olympiabewerbung, zumal München zuletzt krachend scheiterte bei der Bewerbung für die Winterspiele 2022 in Peking, bei denen man dem Gott des Gigantismus wieder ausgiebig huldigte. Sehr zur Freude des IOC, wo man Bescheidenheit anmahnt, aber jedes neue Stadion helle Freude auslöst. 100 Millionen Euro in etwa kostete die Veranstaltung in München. Die zuletzt ausgetragenen Olympischen Spiele in Tokio schlugen mit etwa 12 Milliarden Euro zu Buche.

Und es gibt noch zwei Argumente, die gegen eine neuerliche Bewerbung in Deutschland sprechen. Zum einen sind Olympische Sommerspiele bereits langfristig vergeben. Nach Paris 2024 folgt Los Angeles und danach hat das australische Brisbane eine Art Vorzuschlag erhalten. Und dann ist als nächster Termin ausgerechnet erst wieder 2036 frei, genau einhundert Jahre nach den von Adolfs Hitlers NSDAP instrumentalisierten Olympischen Spielen 1936 in Berlin. Es wäre eine unglückliche Konstellation und fürwahr kein gutes Omen.

Zur Person: Sigi Heinrich Der renommierte Sportjournalist, Buchautor und vielfach ausgezeichneter Eurosport-Kommentator (u.a. Gewinner des Deutschen Fernsehpreises und des Bayerischen Sportpreises) widmet sich in seiner Kolumne “Sigi´s Spitzen“ nicht nur der gesamten Vielfalt des Sports. Auch Themen außerhalb seines gewohnten Metiers beschäftigen ihn. Mal sehr ernsthaft, oft auch mit einem verschmitzten Augenzwinkern und mitunter auch bewusst provozierend. Es soll ja für alle was dabei sein.

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Ein verführerischer Erfolg

Die European Championships in München haben begeisternden Sport gebracht, Ehre für den Veranstalter eingelegt und Zuschauer wie Aktive überzeugt. Unser Kolumnist Sigi Heinrich lässt sich dennoch nicht von der Euphorie einer daraus ableitenden Olympiabewerbung verführen.

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