Eine Kriegspartei für Olympia

Ist es jetzt wieder soweit? Das grausame Wort &bdquo;Boykott“ macht die Runde und steht wiederin Verbindung mit Olympischen Spielen. Ein Blick zurück ist deshalb von eindringlicher Wichtigkeit. 1979, genau an Heiligabend übrigens, marschierte Russland seinerzeit in Afghanistan ein. Man wollte kurz mal ein kommunistisches System einsetzen und dann wieder den Rückwärtsgang einlegen. Es ist ein Desaster geworden.

Als Folge des Einmarsches nahmen viele westliche Länder nicht an den Olympischen Spielen 1980 in Moskau teil. Angeführt wurde der Boykott von den USA. Der Präsident hieß damals Jimmy Carter. 64 Staaten insgesamt blieben dem größten Sportereignis der Welt fern. Die Retourkutsche folgte schon vier Jahr später, als fast der gesamte Ostblock Los Angeles die kalte Schulter zeigte. Jetzt hat Russland erneut einen Krieg begonnen und wieder stellt sich die Sinnfrage, ob es einem Staat erlaubt werden soll, seine Sportler in einen friedvollen Wettkampf zu schicken, während er ein Nachbarland mit Bomben, Raketen und Gewehrsalven übersät. Auch Sportler werden getötet. Thomas Bach (l.) und Russlands Präsident Vladimir Putin. Die beiden kennen sich sehr gut. © APA/epa / BARBARA WALTON

Erst neulich sahen wir das Bild einer komplett zerstörten Außenmauer eines Wohnhauses. Es war surreal. Der Esstisch und die Stühle waren heil. Der Trainer einer Boxmannschaft, der gerade sein Mittagessen einnahm, starb. Seine Frau und seine Kinder waren zum Zeitpunkt des Anschlages nicht im Haus. Und trotzdem treibt den Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), Thomas Bach, im Moment der Gedanke intensiv um, wie er die russischen und weißrussischen Sportler mitten im Krieg, den ihre Regierung ausgelöst hat, zu den Spielen nach Paris im nächsten Jahr lotsen kann.

Versöhnen statt spalten Aus seiner Sicht könnte man bei versuchter neutraler Beobachtung dieses Ansinnen sogar verstehen. Bach sieht die olympischen Ringe als verbindende Kraft in schwierigen Zeiten. Er will versöhnen und nicht weiter spalten. Im Grunde ist das ja ein durchaus netter Gedanke, der freilich nur dann mit Leben erfüllt werden kann, wenn das Töten aufhört. Und obwohl Russland weiter die Waffen sprechen lässt, sucht sich Bach für sein Vorhaben Befürworter. Die Vereinigung der Nationalen Olympischen Komitees (ANOC) hat er schon auf seine Seite gezogen. &bdquo;Wir teilen in der olympischen Bewegung die feste Überzeugung, dass Athleten nicht wegen ihres Passes von Wettbewerben ausgeschlossen werden sollten und dass ein Weg für russische und belarussische Athleten für eine Rückkehr in den Wettkampfbetrieb unter strengen Bedingungen geprüft werden sollte“, teilt die ANOC mit. Thomas Bach war am Wochenende bei der Rodel-WM in Oberhof zu Besuch. © ANSA / HANNIBAL HANSCHKE

Und Bach zufolge gibt es sogar eine große Unterstützung für die Wiederzulassung von Sportlern aus Russland und Belarus. &bdquo;Diese Überlegungen werden weltweit getragen durch eine riesengroße Mehrheit“, sagte Bach dem deutschen Fernsehsender ZDF und verwies dabei unter anderem auf die Rückendeckung der Nationalen Olympischen Komitees aus Afrika und Asien. Klar. Der russische Außenminister Sergei Lawrow, der längst in den wichtigsten Gremien wie der UNO isoliert ist, tourt gerade durch Afrika und schüttelt den dortigen Despoten und Autokraten fleißig die Hände. Die jeweiligen Sportverbände sind in vielen afrikanischen Ländern unter der Kontrolle der jeweiligen Regierung und deren oft selbstherrlich auftretenden Präsidenten, die gegen entsprechende Bezahlung und Unterstützung auch dem Teufel die Hand geben würden. Diese Rückendeckung sollte Bach nicht überbewerten. Vielleicht sollte er, ehe er weiter an seiner Vision bastelt, einfach mal in die Ukraine reisen, direkt hinein ins Kriegsgebiet und sich Sportstätten anschauen, die zerstört wurden wie in manchen Orten die gesamte Infrastruktur.

Wie sähe es denn aus, wenn die Ukraine, wie deren Präsident Wolodymyr Selenskyi angedroht hat, tatsächlich einen Boykott seines Landes für die nächsten Olympischen Spiele in Paris Realität werden lässt? Die ukrainischen Sportler würden bestraft werden dafür, dass man von Seiten des IOC einem kriegstreibenden Land zur Seite steht. &bdquo;Die olympischen Prinzipien und Krieg stehen in einem fundamentalen Gegensatz zueinander“; teilte der Staatschef der Ukraine mit und fordert Bach vehement auf, den &bdquo;Terrorstaat Russland“ nicht zu den Olympischen Spielen zuzulassen.

Ein Startverbot unterstützt die Sanktionen Mit dem IOC würde sich die größte und bedeutsamste Sportorganisation der Welt auf die Seite einer Nation stellen, die gegen ein anderes Land, das auch Mitglied des IOC ist, einen Krieg begonnen hat, dessen Ende nicht abzusehen ist. Derweil umgehen viele Athleten aus Russland mögliche Sanktionen. Bei den Eiskunstlauf-Europameisterschaften in Espoo in der vergangenen Woche starteten 24 Russen und Russinnen für andere Länder, obwohl sie zum Teil noch in Moskau trainieren und von russischen Trainern betreut wurden.

Im Tennisfinale der Frauen in Melbourne standen sich eine ehemalige Russin, die jetzt für Kasachstan startet und eine Russin gegenüber, die freilich auf ihre Nationenflagge verzichten musste. Das soll auch so gehandhabt werden mit Russen und Belarussen in Paris im Zeichen der olympischen Ringe. Wenn es dazu kommt, denn vielleicht, wer weiß, wiederholt sich die Geschichte ja doch erneut. Wenn sich alle Länder in Europa gegen Bach aussprechen würden, wäre das ein starkes Zeichen und würde die bisherigen Sanktionen gegen Russland unterstützen. Eine Teilnahme Russlands in Paris wäre hingegen völlig kontraproduktiv und im Grunde eine Schande.

Zum Autor: Sigi Heinrich Der vielfach preisgekörnte Sportjournalist (u.a. Deutscher Fernsehpreis, Bayerischer Sportpreis und Biathlon-Award) widmet sich in seiner Kolumne &bdquo;Sigi´s Spitzen“ der gesamten Vielfalt des Sports und wildert auch mal außerhalb seines Metiers. Dabei kommt schmunzelndes Augenzwinkern nicht zu kurz, wie auch ernsthafte Kommentare oder provozierende Thesen. Es soll ja für alle etwas dabei sein. Heinrich gehörte nach seinem Sportstudium an der TU München zehn Jahre der Redaktion der Süddeutschen Zeitung an und kommentiert seit 1989 als Mann der ersten Stunde bei Eurosport.

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