Kolumne | Münchner Luftschloss

Geschafft: So zumindest könnte man die Reaktionen nach dem Bürgerbescheid in München hinsichtlich erneuter möglicher Olympischer Spiele in der bayerischen Landeshauptstadt nach 1972 interpretieren. Die Menschen sind augenscheinlich erst einmal dafür, dass der Trachtenhut in den Ring geworfen wird. Denn mehr, liebe Leute, mehr ist nicht passiert. Es ist ein bisserl typisch für die Münchner und vor allem auch für den Schlossherrn des gesamten Freistaates, Markus Söder, dass man sich jetzt erst mal ganz vorne sieht im Werben um die fünf Ringe. Es gehört zum Selbstverständnis der mitunter zu leichter Arroganz neigenden Münchner (&bdquo;mir san mir“, wie schon der Fußballverein FC Bayern immer signalisiert), dass man sich quasi jetzt schon im Ziel sieht.

Und so tut es ganz gut, vielleicht mal auf die Bremse zu treten, auch wenn gerade das im Sport nicht vorkommen sollte. Zunächst einmal ist München nur und wirklich nur eine von vier deutschen Städten, die sich für Olympische Spiele bewirbt. Berlin will, Hamburg auch und die Region Rhein-Ruhr, die jüngst erst erfolgreich die Universiade veranstaltet hat, sieht sich auch als perfekte Olympiaregion. Jetzt also muss der Deutsche Olympische Sport-Bund (DOSB) erst einmal ausloten, wen überhaupt er ins Rennen schicken will. Die Bürgerentscheide bei den anderen Bewerbern stehen noch aus. Zumindest diesbezüglich ist München erst mal auf der sicheren Seite.

Leere Versprechungen Die Befürworter haben dabei stets auf die Nachhaltigkeit hingewiesen, was ja heutzutage extrem in Mode ist. Man müsse nur ein paar Renovierungen vornehmen, dann wäre man quasi schon morgen bereit. Das kommt mir sehr bekannt vor. Auch Mailand/Cortina hat 2019 mit diesem Slogan geworben: Wir sind bereit. Sofort. Nun wurden fast 50 Millionen ins Biathlon-Stadion in Antholz investiert, die Bobbahn in Cortina war 2019 schon baufällig, die Eishalle bedurfte einer Generalüberholung. Die Sprungschanzen in Predazzo erfüllten plötzlich, praktisch kurz vor den Spielen, nicht mehr die notwendigen Anforderungen und von der Eisschnelllaufbahn in Baselga del Pinè hat man sich auch schnell verabschiedet.

Wird die Olympische Flamme in München erleuchten? © Shutterstock / Ververidis Vasilis

Die Renovierungskosten explodierten. Aber die Infrastruktur profitiert. Es stehen Gelder zur Verfügung, die sonst frühestens in zehn Jahren ausgezahlt worden wären. Jetzt geht alles schneller. Freilich nicht schnell genug in den meisten Fällen für Olympia. Egal. Es wird gebaut. Und der Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter macht auch kein Hehl aus dem wahren Grund der Olympiabewerbung. Man könne, sagte er unverblümt, viele Infrastrukturmaßnahmen dann mit Olympiageldern schneller anschieben. Darum geht es vor allem und alle Hinweise auf die tollen Auswirkungen für den Sport, gar für den Breitensport, sind wie überall Augenwischerei.

Viele Bewerber Und dann geht es noch um den Zeitpunkt. Für die nächsten acht Jahre sind die Sommerspiele in Los Angeles (2028) und Brisbane (2032) bereits fest vergeben. Der früheste Zeitpunkt danach ist ein unglücklicher. 2036. Genau einhundert Jahre nach den Nazispielen in Berlin. Das ist aus vielerlei Gründen undenkbar, auch wenn man wie schon 1972 in München das Motto &bdquo;Heitere Spiele“ ausgeben könnte als krassen Gegensatz zu den Propaganda-Spielen Adolf Hitlers damals. Bleiben also zunächst die Jahre 2040, 2044, 2048, 2052. Ich habe bewusst so viele Jahre genannt, weil es eben auch extrem viele Bewerber gibt. Saudi-Arabien lockt mit unfassbar viel Geld und natürlich total neuen Stadien.

Die Mitglieder des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) sind durchaus empfänglich für Spiele, die keine finanziellen Risiken mit sich bringen und sogar zusätzliche Einnahmen. Der Bevölkerungskrösus Indien hat schon Signale ausgestrahlt Richtung Lausanne. Und längst gibt es auch Weltklasse-Athleten aus Indien in vielen Sportarten. Und weiter geht die Reise. Diesmal auf einen anderen Kontinent. Nach Afrika. Dort fanden noch nie Olympische Spiele statt. Und die neue Präsidentin des IOC, Kirsty Coventry, kommt aus Simbabwe. Und jüngst erst fanden In Ruanda die Radweltmeisterschaften statt. Johannesburg in Südafrika ist im Gespräch. Und dann, erst dann käme wohl wieder Europa zum Zug. Mit oder ohne München.

Zum Autor: Sigi Heinrich Der vielfach prämierte Sportjournalist (u.a. Gewinner des Deutschen Fernsehpreises, des Bayerischen Sportpreises und nominiert für den renommierten Grimme-Preis), Sportlehrer, Buchautor, langjähriger Sportredakteur der Süddeutschen Zeitung und seit 1989 Kommentar bei Eurosport, widmet sich in seiner wöchentlichen Kolumne der gesamten Bandbreites des Sports und auch Themen außerhalb seiner Komfortzone. Mal mit schmunzelndem Augenzwinkern, mal nachdenklich oder bewusst provozierend. Es soll ja für alle etwas dabei sein.

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