Kolumne | Prävention durch Sport

Sollte ich nicht gleich mit der Sporttüre ins Haus fallen: Habt Geduld mit mir und ihr müsst Euch auch keine Sorgen machen, dass mir möglicherweise die Themen ausgehen. Vor jedem Kolumnentag wechseln meine Gehirnströme schon extrem früh in den Denkmodus und außerdem sammle ich natürlich während der gesamten Zeit dazwischen Material. Es ist ja immer genug los. So beginnt etwa in Bälde die Klub-Weltmeisterschaft im Fußball in den Vereinigten Staaten. Inter Mailand und Juve sind aus Italien dabei, RB Salzburg und aus Deutschland Borussia Dortmund und der FC Bayern. Es locken hohe Einnahmen. Antrittsgelder gibt es bis zu 30 Millionen pro Team und Siegerschecks, die dreistellige Millionenzahlen aufweisen. Die Finanzchefs der Vereine jubeln, die Deutsche Spielergewerkschaft VDV warnt und zieht gar gegen die FIFA vor Gericht: &bdquo;Es darf nicht sein, dass die FIFA aus wirtschaftlichen Eigeninteressen ihre marktbeherrschende Stellung zum Nachteil der Spieler missbraucht“, argumentiert sie.

Ich weise auf den Schluss hin. Zum Nachteil der Spieler also, die das tun müssen, wofür sie bezahlt werden: Spielen. Viele tun dies für ein nicht unerhebliches Salär. Einige Aktive der Klub-WM stehen mit Jahresgehältern von mehr als 20 Millionen so schlecht nicht da. Und diejenigen, die nur eine Million für die Ausübung ihres Traumes bekommen, überleben auch. Ich verweise gerne auf andere Sportarten, die Grund hätten zu jammern, dies aber kaum tun. Eishockey, Basketball, Handball etwa. Und ja, auch Tennis. Woche für Woche ein Turnier, kaum Pausen. Eine Gewerkschaft, die für Millionäre jammert, scheint mir fehl am Platz zu sein. Es gäbe genug andere Betätigungsfelder.

Der Rest sind Randnotizen So benötigt etwa gerade der ehemalige deutsche Gesundheitsminister Karl Lauterbach eine neue Tischtennisplatte, respektive einen Platz für seine alte. Er darf nämlich jetzt nicht mehr im Keller seines ehemaligen Ministeriums spielen. Seine Nachfolgern Nina Warken (CDU), hat dem ehemaligen SPD-Minister dieses Privileg gestrichen. Und wieder einer, der jammert. &bdquo;Ich habe doch niemanden den Raum weggenommen und niemanden gestört“, erklärte Lauterbach. Geht also, nachdem Timo Boll, Deutschlands bester Tischtennisspieler mit 45 Jahren jetzt seine Karriere beendet hat, wieder ein Talent von der Platte? Doch Hilfe ist nah. Die Internetseite &bdquo;pingpongmaps.net“ listet tausende öffentliche Tischtennisplatten auf. Auch in Lauterbachs Wahlkreis Leverkusen. Aber vielleicht verstärkt er einfach in einem Verein in seiner Nähe die Seniorenmannschaft. Er soll ja ganz ordentliche Schläge in seinem Repertoire haben. Und Zeit hat er jetzt auch, da er nicht mehr für die Gesundheit eines ganzen Landes zuständig ist, sondern nur für seine eigene.

Leroy Sane hat in Istanbul unterschrieben. © APA/afp / ALEXANDRA BEIER

Und noch einmal, ganz schnell, vom kleinen Zelluloidball zum großen Fußball. Leroy Sane verlängert nun doch nicht beim FC Bayern München, sondern wechselt zu Galatasaray Istanbul. Und er nannte dafür auch einen Grund. Die Erfahrung bei Auswärtsspielen habe ihm zugesagt. &bdquo;Es war sehr laut. Die Atmosphäre war überragend.“ Möglicherweise gab es aber noch eine andere Entscheidungshilfe zugunsten der Türken. Sane winkt dort ein Jahresgehalt von angeblich 15 Millionen Euro. Netto. Das ist mehr als das doppelte, das er früher in München bekam. Und da er ablösefrei zum aktuellen türkischen Meister wechselt, dürfte auch noch eine gut ausgestattete Einmalzahlung den Wechsel erleichtert haben. Da darf es schon mal laut werden.

Aber das und alles andere an Meldungen sind wirklich nur Randnotizen an diesem Tag, an dem in Österreich Staatstrauer angesagt ist nach dem Amoklauf an einer Schule in Graz mit mindestens 10 Toten. Es betrifft uns auch, denn wir sind alle in die Schule gegangen. Wann auch immer. Haben wir uns immer wohl gefühlt? Die Frage hat sich wohl nie gestellt. Die Schule gehörte zum Leben und stand nie zur Diskussion. Ich hatte ja bis zum Wechsel in eine höhere Schule keinen Sportunterricht. Zudem wurden in meinem Dorf noch von der ersten bis zur vierten Klasse alle gemeinsam in einem Raum unterrichtet. Es wäre schwierig gewesen mit Sport. Gab es Zuwendungen der Lehrer? Ja doch, mit der Weidenrute auf die Handfläche bei Störung oder ungebührlichem Verhalten, was immer das gewesen sein mag. Erst beim Sportunterricht später erlebte ich Gemeinsamkeit aber auch erstmals die intensive, zum Teil auch spürbare Aggressivität unter Schülern. Der Sport offenbart Charaktereigenschaften. In meiner kurzen Zeit als Sportlehrer an einer Privatschule musste ich die Klassenhierarchien aufbrechen. Mathelehrer und Deutschlehrer waren machtlos. Es ist im Sport, vor allem im Mannschaftsport, schnell erkennbar, wer wie tickt.

Deshalb, und eben auch an diesem Tag, appelliere ich an die Verantwortlichen im Bildungswesen überall, den Sportunterricht zu forcieren, auch weil er möglicherweise leichter helfen kann, Schüler, die sich unverstanden fühlen, zu integrieren, denn ist ja vielfach in der Vergangenheit so gewesen, dass ehemalige Schüler in ihren ehemaligen Bildungseinrichtungen ein Blutbad anrichteten. Es ist einfach nur mein Versuch, das Unerklärliche zu verstehen, mein Versuch, Lösungen zu finden, um künftige Taten des Irrsinns zu unterbinden. Vielleicht ist mein Ansatz naiv, wahrscheinlich sogar. Aber, so sage ich mir, es wäre immerhin eine Reaktion, eine Möglichkeit, denn der aktuelle Amoklauf in Österreich ist, wie die traurige Liste der Vergangenheit zeigt, kein Einzelfall.

Zum Autor: Sigi HeinrichDer vielfach prämierte Sportjournalist (u.a. Gewinner des Deutschen Fernsehpreises, des Bayerischen Sportpreises und nominiert für den renommierten Grimme-Preis), Buchautor, langjähriger Sportredakteur der Süddeutschen Zeitung, ausgebildeter Sportlehrer und seit 1989 Kommentator bei Eurosport, widmet sich in seiner wöchentlichen Kolumne der gesamten Bandbreite des Sports. Mal mit schmunzelndem Augenzwinkern, mal nachdenklich oder auch bewusst provozierend. Es soll ja für alle etwas dabei sein.

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