Kolumne | Sinner und Wierer haben die Wahl

Sie versteckt sich stets hervorragend. Nutzt vermutlich dichtes Gebüsch und Pfade abseits befestigter Wege. Vielleicht auch Höhlen oder sie treibt sich in total unwegsamem Gelände herum. Feuchtwiesen möglicherweise oder gar sumpfiges, gefährliches Terrain. Oder ist sie gar lichtscheu und wagt sich nur nachts im trüben Schein des Mondes aus ihrem Versteck? Haben wir ihre Silhouette nicht schon am Seeufer im wabernden Nebel nach einer durchzechten Nacht gesehen? Da war doch was? Wie auch immer: Sie ist nicht zu fassen. Die eiergebende Wollmilchsau. Ein ganz und gar unerforschtes Exemplar. Rarer noch als der Yeti, den ja nur Reinhold Messner jemals gesehen hat.

Die Bayern haben auch ein Pendant, nämlich den Wolpertinger. Ein Fabelwesen natürlich. Ein Hase mit Geweih und Adlerschwingen. Käme der Wollmilchsau ziemlich ähnlich, weil seine Verwertung ähnlich vielseitig wäre. Aus dem Fleisch einen Braten, aus dem Geweih einen Hirschfänger (Griff für ein Messer, das in die Seitentasche der Lederhose gehört was angesichts der neuen Messerverordnung allerdings zunehmend schwierig geworden ist). Und aus den Flügeln ließe sich ein schöner Hutschmuck zaubern. Für ein Kopfkissen ist das noch zu wenig. Die tierischen Raritäten sind ein Synonym für unverhohlene Gier ohne dabei zu viel zu investieren. Alles auf einen Streich.

Viel kann schnell zu viel sein Der Fußball etwa glaubt wieder einmal, für sich auf dem besten Weg zu sein zu einem monetären Perpetuum Mobile. Eine spuckende Geldmaschine soll die neue Champions-League werden. Mehr, mehr, mehr. Immer noch mehr. Doch, so stellt man jetzt schon fest: Das gibt es nicht umsonst. Wegen sogenannter Belastungssteuerung hat Bayern-Trainer Kompany für das Match gegen Aston Villa zunächst den genialen Jamal Musiala auf die Bank gesetzt. Zum Zuschauen zunächst. Augenscheinlich also benötigte er eine Pause, was ja nun auch nicht überraschend wäre. Die Münchner haben zuletzt genial gespielt. In sieben Begegnungen 30 Tore geschossen. Musiala, der Dribbelkönig, war dabei immer kräftig Antreiber, Torschütze, Vorlagengeber und hat zwischenzeitlich auch noch der deutschen Nationalmannschaft Schwung verliehen. Seine Einwechslung nach der Pause kam zu spät. Die Münchner verloren. Real Madrid auch.

Jannik Sinner hat auf den Laver Cup verzichtet. © APA/afp / WANG ZHAO

In Lille. Atletico Madrid unterlag in Lissabon. RB Leipzig zog gegen Juventus Turin den Kürzeren. Trotz zweimaliger Führung. Flaschen alle leer, wie das Giovanni Trapattoni einst so schlagzeilenklar formulierte. Schon jetzt – und die Saison ist ja noch jung- sind bereits erste Verschleißerscheinungen erkennbar. Die Vielzahl der sportlichen Auseinandersetzungen fordern ihren Tribut. Überall. Die Eishockeysaison hat längst schon begonnen (war da jemals eine Pause?), die Tenniscracks haben auch erst jüngst eine Diskussion über ihr heftiges Programm angezettelt. Vor allem der Laver-Cup, eine Veranstaltung außerhalb der ATP-Punkte, stieß auf Kritik. Jannik Sinner hat vernünftigerweise darauf verzichtet. Weniger kann manchmal mehr sein, wenngleich bei seiner Ausgangsposition rein wirtschaftlich gesehen natürlich eine Absage nicht gleich mit dem Entzug der Lebensgrundlage verbunden ist. Es geht letztlich immer und fast ausnahmslos darum, die sich bietenden Einkommensmöglichkeiten zu nutzen. Die Unterschiede sind dabei freilich gewaltig. Sinner und Dorothea Wierer kann man nicht vergleichen. Im Verhältnis zur Nummer eins im Tennis befindet sich die Biathletin in einem Armenhaus.

Neue Regeln, aber mehr auch mehr Geld Und doch hat die Internationale Biathlon-Union (IBU), die Zeichen der Zeit erkannt und das Preisgeld erhöht. Die Dimension ist freilich überschaubar. Für einen Weltcupsieg gibt es weiterhin € 15.000, für einen zweiten Platz jetzt € 9000. Ein Tausender kam hinzu. Insgesamt schüttet die IBU etwa zehn Millionen Euro an die Athletinnen und Athleten aus. Die Weltmeisterschaften inklusive. Doch umsonst, nein umsonst gibt es auch die kleine Verbesserung der finanziellen Zuwendungen letztlich auch bei den Skijägern nicht. Sie müssen sich gefallen lassen, dass sie künftig ihre Startnummern nicht mehr nach ihren persönlichen Wünschen aussuchen können. Das sorgt für Unmut bei vielen.

Verständlicherweise. Doch aus meiner Erfahrung nach 25 Jahren als Biathlon-Kommentator bei Eurosport war der Schritt notwendig, weil sehr oft nach den Besten mit den vorderen Startnummern die Spannung gänzlich gewichen war. Und damit einhergehend sanken die Einschaltquoten der Sender, die auch mit ihren TV-Verträgen damit sorgen, dass der Verband überhaupt in der Lage ist, Preisgeld auszuloben. Mit der neuen Startregelung hat die IBU ein, wie ich finde, akzeptables Steuerungsgerät gefunden. Übrigens auch nach Diskussionen mit der Athletenkommission. Das solche Änderungen erst einmal für Verunsicherung sorgen, war zu erwarten. Klar ist aber auch: Die eierlegende Wollmilchsau ist und bleibt ein frommer Wunsch. Wer viel will oder einfach auch nur mehr als bisher, muss Kompromisse eingehen. Die Geldgeber sind keine Mäzene. Sie wollen für ihre Investitionen einen Gegenwert. Immerhin bleibt stets ja allen die Option offen, der ständigen Spirale eine Pause entgegenzusetzen. Mit damit verbundenem Einnahmenverzicht natürlich. Wetten, dass dies kaum genutzt wird?

Zum Autor: Sigi Heinrich Der vielfach prämierte Sportjournalist (u.a. Gewinner des Deutschen Fernsehpreises, des Bayerischen Sportpreises und nominiert für den renommierten Grimme-Preis), Buchautor, langjähriger Sportredakteur der Süddeutschen Zeitung und Kommentator bei Eurosport seit der Gründung 1989, widmet sich in seiner wöchentlichen Kolumne der gesamten Vielfalt des Sports und wildert gerne auch in fremden Gefilden. Mal mit schmunzelndem Augenzwinkern, mal nachdenklich oder bewusst provozierend. Es soll ja für alle etwas dabei sein.

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Kolumne | Sinner und Wierer haben die Wahl

Der in fast allen Sportarten schier ausufernde Terminkalender zwingt die Protagonisten überall, sich Gedanken über ihre Einsätze zu machen. Unser Kolumnist Sigi Heinrich sieht durchaus den Zwiespalt zwischen Einnahmen, der damit verbundenen Belastung und auch publikumswirksamen Regeländerungen.

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