Kolumne | Sinners glückliche Wahl

Endlich wieder mehr als nur ein Hoffnungsschimmer nach dem mäßigen Abschneiden bei den Olympischen Spielen in Paris (rückläufige Tendenz mit dem 10. Platz im Medaillenspiegel). Deutschland belegte bei den &bdquo;World-Games“ in Chengdu (China) den zweiten Platz mit 17 Goldmedaillen, 14 in Silber und 14 Bronzemedaillen. Klar, die Gastgeber waren nicht zu schlagen. Ehrensache. Was aber ist das wirklich wert?

Die dort ausgetragenen Sportarten sind alle nicht im olympischen Programm verankert, weshalb viele große Sportnationen wie Australien, USA oder Japan nur mit kleinen Teams vertreten waren. Doch Olympia ist eben nicht alles. Zum Glück. Es wurde Faustball gespielt, Latein-Tanz war ein Renner, Flossenschwimmen und Rettungsschwimmen sind wie Karate, Bowling oder Billard Teil des Angebotes. Kanupolo kommt auch gut an. Mit 3:1 gewann Deutschland das Finale gegen Italien bei den Männern und die deutschen Damen besiegten die Kanutinnen aus Neuseeland 4:0. In dieser Sportart gibt es sogar eine Bundesliga und auch Europa- sowie Weltmeisterschaften. Viele in den Teams könnten auch in den olympischen Disziplinen ihr Glück versuchen, zumal es etwa auch Boater-Cross oder Extrem Kajak gibt, wo man dem Kontrahenten ins Boot fahren kann, um ihn zu stoppen oder zu behindern. Das ist nicht schön, gefällt aber den IOC-Oberen, weil es, so meinen sie, die Jugend anspricht.

Die Athleten in China genossen das Rampenlicht. © APA/afp / JADE GAO

Aber glücklicherweise schielen nicht alle nach den olympischen Ringen. Sie üben den Sport aus, der ihnen vor allem Spaß macht. Und dafür nehmen sie auch vielerlei Nachteile ihn Kauf. Sie erhalten kaum Unterstützung. Für nichtolympischen Sportarten werden in Deutschland 13 Millionen Euro bereitgestellt. Olympische Disziplinen verfügen über 97 Millionen. Das persönliche Engagement der Teilnehmer bei den &bdquo;World-Games“ ist schon deshalb ungewöhnlich groß. Sowohl vom Zeitmanagement (der Urlaub muss dran glauben) als auch finanziell gesehen müssten alle neidisch zu den Olympiasportlern schauen. Sie tun es nicht, auch wenn ab und zu mal ein kleiner Seitenhieb fällt, der auf den Unterschied hinweist. Der Zufall führt oft Regie Es ist ja immer auch ein ganz persönlicher Weg, der zu den Sportarten führt. Das Elternhaus ist wichtig. Oft folgt der Nachwuchs den Spuren seiner Erzeuger. Dann natürlich kommt es auf das örtliche Angebot an. Ein gebürtiger Ostfriese wird selten zu einem großartigen Skifahrer werden. Er kann aber etwa &bdquo;Cable-Wakeboarder“ werden. Das wird bei den &bdquo;World-Games“ angeboten. Und dann ist vielleicht noch der persönliche Traum neben dem Talent für die eine oder andere Sportart maßgeblich. Vieles ist und bleibt indes dem Zufall überlassen und dem Gespür für den richtigen Augenblick, wenn die Weichen für die Zukunft gestellt werden. Sinner-Typen, die über ein Übermaß an verschiedenen Talenten verfügen, gibt es nicht viele. Der Südtiroler hätte – möglicherweise- auch ein guter Skifahrer werden können, weil er als Achtjähriger sein Talent auf der Piste aufblitzen ließ. Dann ist er doch Tennisspieler geworden. Vielleicht wäre er auch ein guter Volleyballspieler geworden oder auch Basketballer (groß genug ist er ja).

Bei den World-Games kommen Sportarten wie das Powerboating zur Geltung. © APA/afp / JADE GAO

Auch der ehemalige Weltklasse-Biathlet Ole-Einar Björndalen hatte die Wahl. Mit Sicherheit hätte er auch als Radsportler Karriere gemacht. Er hat das durchaus ein paar Mal unter Beweis gestellt. Sinner oder auch Björndalen haben letztlich das für sie richtige Los gezogen, was ihren Sport betrifft. Natürlich kann man Karrieren planen und möglicherweise schon sehr frühzeitig jene Sportart auswählen, die später nicht nur Spaß macht, sondern auch wirtschaftlich ertragreich ist, wobei mittlerweile auch Auswüchse zu erkennen sind, die man verbieten müsste.

Eine große Sportartikelfirma aus den USA hat jetzt einem achtjährigen brasilianischen Buben einen Ausrüstervertrag gegeben. Acht Jahre! Der Kleine kickt in der Jugend von Flamengo und gilt natürlich als Wunderkind, weil er Tore am Fließband schießt. Mehrheitlich freilich sind es viele oft auch kaum nachvollziehbare Faktoren, die zur Ausübung einer bestimmten Sportart führen. Man geht mit den Kumpels zum Kicken. Oder eben zum Faustball, wenn das im Verein angeboten wird. Dann landet man bei den &bdquo;World-Games“, wenn man es auch in dieser eben nichtolympischen Sportart zu einer gewissen Leistungsstärke gebracht hat. Bietet der Heimatclub etwa Hockey an, könnte das dann zu den Olympischen Spielen führen. Zum Glück freilich ist doch nicht alles planbar oder vorhersehbar. Boule könnte unsere Chance sein Übrigens steht die Türe für die &bdquo;World-Games“ vielen offen, auch uns allen. Immer noch. Ich denke da an &bdquo;Boule“ oder Pétanque. Der Nationalsport in Frankreichs Süden, vor allem in der Provence, gehörte auch in Chengdu zu den angebotenen Sportarten. Die Kugeln können noch im hohen Alter (auch etwa mit einer künstlichen Hüfte) geworfen werden mit ihrem ganz speziellen Dreh, wobei eine Unterscheidung wichtig, sehr wichtig ist. &bdquo;Boule“ ist der Freizeitsport (mit einem Pastis zwischen den Runden), Pétanque die Wettkampfvariante. Die Regeln sind gleich und auch der gesellschaftliche Aspekt ist nicht unwichtig. Für die nächsten &bdquo;World-Games“ sollte das Training allerdings jetzt beginnen, denn Pétanque ist in Karlsruhe in vielen Varianten in vier Jahren wieder im Programm. In Deutschland gibt es schon 200 Vereine und 25.000 Mitglieder. Eigentlich könnte Boule also auch olympisch sein. Es wird weltweit gespielt. Acht Nationalverbände gewannen Medaillen in Chengdu. Aber es ist schön, dass es nicht so ist.

Zum Autor: Sigi Heinrich Der vielfach prämierte Sportjournalist (u.a. Gewinner des Deutschen Fernsehpreises, des Bayerischen Sportpreises und nominiert für den renommierten Grimme-Preis), ausgebildeter Sportlehrer, langjähriger Sportredakteur der Süddeutschen Zeitung und seit 1989 Kommentator bei Eurosport, widmet sich in seiner wöchentlichen Kolumne der gesamten Bandbreite des Sports und wildert gerne auch in fremden Gefilden. Mal mit schmunzelndem Augenzwinkern, mal nachdenklich oder auch bewusst provozierend. Es soll ja für alle etwas dabei sein.

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Kolumne | Sinners glückliche Wahl

Die „World-Games“ in Chengdu (China) zeigten, wie breit die Sportpalette doch sein kann auch abseits der Olympischen Ringe. Unser Kolumnist Sigi Heinrich versucht zu ergründen, wie man letztlich bei seiner Lieblingssportart landet.

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