Sigi`s Spitzen: Fatale Rekorde

Sigi Heinrich

Nicht nur aus beruflichen Gründen bin ich regelmäßiger Zuschauer möglichst vieler Nachrichtensender. Querbeet. Deutschland, Österreich, Schweiz, Südtirol. In Entscheidungsstress komme ich, wenn zur wohl gefragtesten Sendezeit um 20 Uhr alle auf einmal das Neueste aus aller Welt liefern. Ich probiere es dann auch mal mit &bdquo;zappen“. Ich schalte also um von einem Kanal auf den anderen während einer relativ kurzen Zeitspanne. Und siehe da: Überall warten Zahlen auf mich, die mittlerweile schon selbstverständlich zu sein scheinen. Todeszahlen. Vor Corona sind auch Menschen gestorben. In Nachrichtensendungen fand das seinerzeit keinen Eingang. Jetzt hängt quasi die Qualität unseres Lebens von den Sterberaten (&bdquo;im Zusammenhang mit Corona“) ab. Weniger oder doch noch mehr Lockdown. Deutschland verzeichnet gerade mit 426 Toten einen neuen Rekord. So lautet die Terminologie. Rekord. Darunter verstand ich früher immer nur Bestmarken, vornehmlich im Sport. Jetzt hat es eine ganz und gar fatale Bedeutung bekommen. Und dann kommt schon die nächste Nachricht, meist wieder in Verbindung mit Corona. Ich ertappe mich dabei, dass ich Nachrichten über den Tod mittlerweile mit viel weniger Bestürzung hinnehme als früher. Corona hat das Sterben in den Nachrichten zur Normalität werden lassen. Diego Maradona, genannt El Pibe de Oro („der Goldjunge“) ist tot. © APA/afp / FILIPPO MONTEFORTE

Und dann stirbt Diego Maradona und es scheint, als wäre er der einzige Mensch auf dieser Erde, dessen Leihvertrag mit dem Leben jetzt abgelaufen ist. Er bekommt eine dreitägige Staatstrauer und wir erfahren, wer ihn einbalsamiert, wo er bestattet wird und bekommen sein gesamtes Leben bis hin zum Sterben noch einmal in allen Details präsentiert. Es fehlte sicher nicht viel und man hätte ein Maradona-Extra an die Nachrichten gehängt. Wäre ohne Corona vermutlich sogar passiert. All die anderen, die sich vom Leben verabschieden mussten, sind in den Zahlen verschwunden. Sogar Karl Dall, der uns so viele Stunden vergnüglich gestaltet hat mit seinem besonderen Humor, war in den Nachrichten nicht lange am Leben nach seinem Tod. Corona hat auch eine intensivere Würdigung seines Schaffens verhindert. So ist das in diesen Zeiten.

Und doch stelle ich fest: Ich bin glücklicherweise doch noch nicht immun gegen diese Berichterstattung in diesen Tagen. Die horrenden Zahlen haben nicht die Oberhand über meine Gefühle gewonnen. Es ist mir nahe gegangen, als ich vom Tod von Valerio Ghirardi erfahren habe. Der italienische Erfolgstrainer von Isolde Kostner ist nur 58 Jahre alt geworden. Und ich habe ihn sofort vor mir gesehen mit seinem langen Mantel, seiner Sonnenbrille. Er wirkte wie ein Baum, der nie gefällt werden kann, wenn er bei der Streckenbesichtigung seinen Schützlingen die beste Linie erklärte. Er war Teil der Skifamilie. Er gehörte einfach dazu. Wenn ich mich in der Zeit, als ich noch alpine Rennen kommentierte, am Hang orientieren wollte, dann hielt ich nach Valerio Ausschau. (In SportNews wird sein Leben noch einmal beleuchtet). Oder Doris De Agostini. Ich habe die Schweizerin, die auch nur 62 Jahre alt wurde, nie persönlich erlebt, aber als ich 1985 in den Ski-Zirkus eintauchte, hörte ich in den abendlichen Runden mit erfahrenen und älteren Kollegen immer wieder ihren Namen. Sie schwärmten von ihr, ja sie liebten die Tessinerin. Und nicht nur die Schweizer Journalisten. Das hat mich beeindruckt und auch nachhaltig geprägt, was meine internationale Betrachtungsweise betrifft.

Auch in den nächsten Wochen werde ich wieder von Zahlen überschwemmt werden. Das ist mir bewusst. Aber ich werde daran denken, dass sich hinter jeder Ziffer ein meist unbekanntes Schicksal verbirgt.

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