Sigi´s Spitzen | Fliegende Pfeile und volle Krüge

Ich habe geträumt. Ich bin um den Christbaum herum geschlichen wie ein hungriger Löwe in der Erwartung fetter Beute und habe die Geschenke erst einmal mit den Augen abgetastet. Bezüglich der Größe, des Umfanges. Ein Heimfahrrad war erst mal definitiv nicht dabei. So groß ist die Plastiktanne auch nicht. Hanteln hätten es sein können oder ein unförmiger Bauchtrainer, der die Situps unterstützt. Oder gar ein Tennisspiel. Eine Konsole also. Man stellt sich ins Wohnzimmer und lässt Jannick Sinner mit ein paar genauen Grundlinienschlägen alt aussehen. Und das Beste dabei: Man muss sich dabei kaum bewegen.

Doch das verwarf ich auch bald, denn mein Herzblatt will ja, dass ich meinen Puls ordentlich in Schwung bringe, weshalb ich ganz stark auf eine Schachtel tippte mit tollen Trekkingschuhen drin. Also Wandertreter mit dazugehörigen Spikes, die man unter die Sohle klemmt, so dass man auch im Schnee marschieren kann. Irgendwann mal, wenn es denn diese störrische Frau Holle mal wieder gut mit uns Talbewohnern meint. Ich entdeckte dann eine verpackte Scheibe, zog gierig an der goldenen Schleife und riss dann voller Ungeduld die schöne Verpackung mit den funkelnden Sternen in kleine Fetzen. Zum Vorschein kam ein Dartboard. Das muss grenzenlose Liebe sein. Sport und doch kaum Bewegung. Meine Lebensgefährtin hat mich total verstanden. Was will man mehr an Weihnachten.

Vom Krieg zum Sport Noch neulich haben wir gemeinsam die Nachrichten gesehen und da sagte dann die Hauptsprecherin, dass für den Sport ein gewisser Herr Voss zuständig sei. Der stand neben ihr und sagte auch brav, dass er uns auch einen guten Abend wünscht, ehe dann wieder die kaputten Häuser im Gazastreifen und in der Ukraine ins Bild kamen. Ein Gottesdienst wurde gezeigt aus einer Kirche in Prag, weil in Tschechien ein fehlgeleiteter junger Mann an der Karls-Universität 14 Menschen erschossen hat.

Nachdem wir hörten, dass auch die Tanker, die von Huthi-Rebellen angegriffen werden, wohl bald von Zerstörern, Fregatten und vielleicht sogar von Flugzeugträgern geschützt werden sollen, weil der Umweg über die Südspitze Afrikas unseren Wohlstand gefährdet, was natürlich gerade jetzt nicht sein darf, war der Kollege Voss endlich dran. Zunächst ging es um Fußball. Sport, klar. Da hat sich ja auch viel getan, weil die großen Verbände in Europa (UEFA) und sogar der Fußball-Weltverband (FIFA) vom Europäischen Gerichtshof eine schallende Ohrfeige erhalten haben. Ihr Alleinstellungsmerkmal als Genehmigungsbehörde für länderübergreifende Ligen wurde einkassiert. Dann kam endlich die zweite Nachricht dran. Aus dem Sportblock wohlgemerkt.

Erfolgreiche deutsche Spieler Vier deutsche Spieler wird mit erkennbarer Freude erklärt, haben in London bei der Darts-Weltmeisterschaft, die noch über den Jahreswechsel hinaus bis 3. Januar geht, die dritte Runde erreicht. Das ist natürlich der Hammer. Im Gegensatz zu den Kickern sind deutsche Teilnehmer bei einer WM also schon mal über die Vorrunde hinausgekommen, was alleine für sich schon die Kerzen am Christbaum noch heller leuchten lässt. Jetzt bin ich also auch bald dran, ja schon mittendrin. Die Pfeile fliegen. Ich habe bald raus, dass ich eben nicht immer in die Mitte werfen muss. Punkte brauche ich und natürlich eine ruhige Hand. Dafür muss ich natürlich viel üben. Das ist klar. Trainieren also. Wie beim Sport halt so üblich. Nur ins Schwitzen komme ich nicht so richtig. Gut, ich muss die Pfeile immer wieder abholen. Das sind zwei Schritte hin und auch wieder zurück. Dabei darf ich nicht zu sehr in Sauerstoffschuld geraten, weil ich danach ja wieder ruhig atmend werfen muss.

Für Stimmung sorgt die Menge selbst. © officialpdc/Soziale Medien

Ich schaue mir das natürlich auf einem Spartensender immer mal wieder an, wobei ich schon ein wenig schockiert bin. Viele richtig gute Spieler haben definitiv viel, sogar sehr viel Übergewicht. Vielleicht ist das also doch kein Sport im herkömmlichen Sinn, wobei das zu definieren sicher eine Herkulesaufgabe ist. Ich habe es dabei immer so gehalten, dass nach dem Sport zumindest ein paar Schweißtropfen erkennbar sein sollten, wobei ich die nervliche Anspannung und die Konzentration, die man beim Dartspiel benötigt, nicht außer Acht lassen will, zumal hinter den Spielern und Spielerinnen mehr Stimmung ist als beim Anstich auf dem Oktoberfest. Pro Zuschauer, so hat man ausgerechnet, werden an einem Dart-Abend drei Liter Bier getrunken. Dagegen ist jeder Boxkampf ein Kindergeburtstag.

Die Quoten zählen Wohin also mit Darts. Sport, Vermischtes, Kultur gar? Es ist auf jeden Fall ein Spektakel, weshalb sich die Sparte Sport die kleinen Pfeile unter den Nagel gerissen hat in der Hoffnung, dass mit Erfolgen auch gute Einschaltquoten einhergehen. Denn darum, und nur darum, geht es letztlich. Show und Theater. Wenn man so will, ist das auch in der Formel-1 nicht anders. Nur gibt’s da statt Bier natürlich Champagner auf den Rängen. Weihnachten. Der Wecker klingelt. Der Traum ist vorbei. Die Wahrheit sieht anders aus. Das runde Ding, das so wunderbar eingepackt unter dem Christbaum lag, war eine neue Waage. Auch das ist Liebe.

Zum Autor: Sigi Heinrich Der vielfach ausgezeichnete Sportjournalist (u.a. Gewinner des Deutschen Fernsehpreises und des Bayerischen Sportpreises), Buchautor und Eurosport-Kommentator der ersten Stunde (seit 1989) widmet sich in seiner Kolumne &bdquo;Sigi`s Spitzen“ der gesamten Vielfalt des Sports und wildert mit großem Vergnügen auch in fremden Gefilden. Mal mit schmunzelndem Augenzwinkern, mal ernst oder auch bewusst provozierend. Es soll ja für alle etwas dabei sein.

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