Sigi's Spitzen | Im Sprint zu fragwürdigen Erfolgen

Immer schneller soll es gehen? Stimmt nicht ganz. Schnell soll es bleiben aber es soll dafür nicht mehr so viel Zeit investiert werden. Klingt kompliziert, hat aber einen einfachen Hintergrund: Vor allem die Zuschauer an den Fernsehschirmen haben längst nicht mehr die Geduld, Stunden auszuharren, bevor sie endlich ein Ergebnis bekommen. Dabei darf freilich keineswegs der Unterhaltungscharakter verloren gehen. Weiterhin muss es spannend bleiben in jedem Wettkampf. Die Volleyballer etwa haben das schon relativ früh erkannt. Vor vielen, vielen Jahren konnten nur dann Punkte durch die Mannschaft erzielt werden, die auch den Aufschlag hatte, den Ball also ins Spiel brachte. Das hatte zur Folge, dass mitunter eine halbe Ewigkeit Gleichstand herrschte und mitunter Langeweile aufkam, weil kein Team einen entscheidenden Vorteil verbuchen konnte. Für eine Fernsehübertragung war das untragbar, weil nicht einmal der Hauch einer Planbarkeit erkennbar war. Längst ist das ein alter Hut. Mit immer neuen Regeln bis hin zur Einführung gar eines Liberos haben es die Volleyballer geschafft, ihrem Spiel neue Impulse zu verleihen, ohne dabei ihre Attraktivität zu verlieren. Im Gegenteil: Längst kann bei jedem Ballwechsel ein Punkt gewonnen werden. Jetzt ist es fast schon Sprint-Volleyball und damit längst hochaktuell, denn Sprint, das ist das Zauberwort allüberall. Sprintende Formal-1-Boliden Im Motorsport hat eher unter Ausschluss der Öffentlichkeit die Formel 2, der Unterbau der Formel 1, schon lange Sprintrennen im Angebot. Jetzt ist das auch in der Formel-1 angekommen, wobei wie immer bei Veränderungen das Für und Wider heiß diskutiert wird von Fahrern und Rennstallbesitzern. In Baku war gar erstmals ein Stadtkurs Austragungsort eines sogenannten Sprintrennens über 100 km mit einer programmierten Rennzeit von etwa einer halben Stunde. Kurz und knackig gewann Sergio Perez (Red-Bull) das Rennen, einen Tag später auch die normale Veranstaltung, was freilich ursächlich nichts damit zu tun hat. Immerhin fließen ein paar Punkte auf das Konto des Sprintsiegers und auch die Konstruktionswertung profitiert von Erfolgen auf der im Grunde lächerlich kurzen Distanz. Um das Alleinstellungsmerkmal zu unterstreichen hat der Ausgang des Sprints indes nichts mit der Startaufstellung für den Grand-Prix zu tun. Diese wird nach wir vor im Qualifying am Freitag ausgefahren. Noch ist dieser Sprint bei den Fans nicht angekommen. Es ist nach wie vor schwierig, traditionelle und damit gewohnte Abläufe mit Neuerungen zu ergänzen. Da aber in dieser Saison bereits sechs solcher Formel-1-Sprints ausgetragen werden, ist damit zu rechnen, dass man künftig auch schon am Samstag vor dem großen Rennen heiß über das Sprintresultat diskutiert. Vielleicht, so eine kleine Prognose, ist das immer auch ein kleiner Fingerzeig, wer mit der jeweiligen Strecke gut zurechtkommt. Siehe Perez in Baku. Die Klassiker wehren sich Die derzeitige hoffentlich nur kleine Kaltfront lässt mich noch einmal in diesem Zusammenhang auf den Winter zurückkommen, denn dort hat sich in manchen Sportarten der Sprint längst etabliert, auch wenn ich nicht von allen Formaten wirklich begeistert bin. Allerdings ist das natürlich ein Einzelschicksal. Die Städtesprints im Langlauf sind gewiss eine Verlockung, widersprechen aber der Grundidee dieses Sports, dessen Kern ja gerade darin besteht, entweder im klassischen Stil oder im Skating eine längere Distanz zurückzulegen. Ausdauer der Protagonisten gehört hier mithin zu den ursächlichen Voraussetzungen für den Erfolg. Doch diese Ausdauer will man immer mehr auch den Fans vor allen vor den TV-Apparaten nicht mehr zumuten. Schneller und kürzer soll verzaubern und elektrisieren, dabei aber den Zeitaufwand dafür in Grenzen halten. Das Spektakel im zirzensischen Sinne rückt in den Vordergrund. Es soll in kurzer Zeit möglichst viel Abwechslung generiert werden. Auch die Biathleten haben schon reagiert. Der Sprint ist die am häufigsten ausgetragene Wettkampfform. Der klassische Einzelwettkampf mit 20 Kilometern Distanz bei den Männern und 15 Kilometern bei den Frauen kämpft alle Jahre wieder um seine Berechtigung. Längst hat man deshalb auch einen sogenannten &bdquo;Supersprint“ ausprobiert. Doch nicht alle neuen Formate überzeugen. Die Alpinen dachten lange, dass kurze Abfahrten ein Allheilmittel seien, um die Fans zu ködern. Doch die Klassiker haben sich nicht vertreiben lassen. Und das ist gut so. Es ist wie in allen Lebensbereichen: Es muss nicht gleich alles auf den Kopf gestellt werden, nur weil etwas mehr Zeit investiert werden muss. Dem Neuen offen gegenüberstehen und das Alte bewahren: Das müsste der rote Faden sein, auch wenn sich so mancher Fußballverein manchmal vielleicht wünschen würde, dass die Spielzeit verkürzt wird. Vor allem dann, wenn, wie jüngst in Neapel, das Ausgleichstor für UD Salernitana durch Boulaye Dia in der 84. Minute fällt und damit auch gleichzeitig die vorzeitige Meisterfeier verschoben werden muss. Noch ist auch hier etwas Geduld gefragt und ein bisschen Ausdauer, wenngleich es jetzt wohl nur noch ein kurzer Sprint ist bis zum überschäumenden Jubel. Zum Autor: Sigi Heinrich Der vielfach ausgezeichnete Sportjournalist und TV-Kommentator (u.a. Deutscher Fernsehpreis, Bayerischer Sportpreis, Biathlon-Award und World-Sports-Trophy) widmet sich in seiner Kolumne &bdquo;Sigi´s Spitzen“ der gesamten Vielfalt des Sports und wildert gerne auch mal in fremden Gefilden. Dabei mal mit schmunzelndem Augenzwinkern, aber genauso gerne auch bierernst oder bewusst provozierend. Es soll ja für alle etwas dabei sein.

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