Sigi´s Spitzen: Olympisches Flair in München

Es ist irgendwie schön, auch heilsam und vielleicht sogar beruhigend, dass der Mensch die schönen Seiten des Lebens dann doch über jene triumphieren lässt, die ihm Ungemach bereitet haben. In kleinen, wie in großen Dingen. Dieser Tage finden in München Europameisterschaften in gleich neun verschiedenen Sportarten statt. Prägend ist dabei der Olympiapark mit seinem Zeltdach, das sich über einen Großteil des Olympiastadions spannt und dazu noch die Olympiahalle und die Schwimmhalle vor Regen schützt. Es ist eine elegante Konstruktion, die leicht und beschwingt wirkt.

So wie die Olympischen Spiele damals zunächst auch von ihrer Atmosphäre her waren und wie diese Europameisterschaften jetzt sind. Die Menschen sind all der Einschränkungen, die Corona mit sich brachte, müde und sie wollen auch nichts mehr von den weiteren Maßnahmen wie Maskenpflicht und vierte oder fünfte Impfung hören. Das Leben pulsiert und in der bayerischen Landeshauptstadt bestimmt der Sport den Takt. Tausende sind vor dem Königsplatz und schauen den Artisten zu, die überhängende Wände klettern und schier der Schwerkraft trotzen.

Filip Schenk hat in München alle Zuschauer für sich gewonnen. © APA/afp / TOBIAS SCHWARZ

In der Olympiahalle fühlt man sich auch wie im Zirkus bei den schwindelerregenden Schrauben und Salti im Kunstturnen. Während Klettern vor 50 Jahren nur Reinhold Messner und seinen Kollegen vorbehalten war und Plastikgriffe undenkbar schienen (mit denen Messner auch heute noch nicht so richtig warm geworden ist), war Kunstturnen in München seinerzeit im Zeichen der olympischen Ringe schon ein Renner. Unvergessen ist der Spatz aus Minsk, die zierliche Olga Korbut, die auf dem Schwebebalken wirklich zu schweben schien.

Karin Janz turnte für die damalige DDR. Und sie war Gast dieser Tage in München und dachte sicher gerne an ihre Olympiasiege zurück. Janz ist Ärztin geworden, wie übrigens auch Korbut. Vielleicht, weil beide im Laufe ihrer Karriere auch viele Verletzungen hatten, die dieser Sport wohl zwangsläufig mit sich bringt. Für die Ruderer hatte man eine eigene Anlage gebaut, ein paar Kilometer nördlich von München, die zwar jetzt renovierungsbedürftig ist, aber immer noch gut genug war für die Wettkämpfe in diesen Tagen. Setzling statt roter Rosen Nachhaltigkeit nennt man das. Vor 50 Jahren war das noch ein Fremdwort, jetzt ist es ein Modewort geworden, weshalb zum Beispiel bei der Siegerehrung kein überdimensionaler Blumenstrauß mit Rosen aus Kenia oder Tulpen aus den Niederlanden gereicht wird, sondern Setzlinge aus heimischen Pflanzen, die im &bdquo;Champions-Park“ von den Athleten eingepflanzt werden können und auch sollen. Eine nette Idee, wie überhaupt das Rahmenprogramm dieses ungewöhnlichen Sportfestes Heiterkeit und Fröhlichkeit nach sich zieht.

<a data-caption="So wie Elia Viviani nach seinem Sieg im Eliminations-Rennen auf der Bahn bekam jeder Medaillen-Gewinner einen Setzling geschenkt. © APA/afp / JOHN MACDOUGALL" data-fancybox="inline-122972" target="_image" href="https://s3-images.sportnews.bz/_images/scale/1280x1280/img/2022/08/so-wie-elia-viviani-nach-seinem-sieg-im-eliminations-rennen-auf-der-bahn-bekam-jeder-medaillen-gewinner-einen-setzling-geschenkt.jpg"> So wie Elia Viviani nach seinem Sieg im Eliminations-Rennen auf der Bahn bekam jeder Medaillen-Gewinner einen Setzling geschenkt. © APA/afp / JOHN MACDOUGALL

So wie das damals eben auch war, als der Jazzmusiker Kurt Edelhagen die Musik für den Einmarsch der Nationen komponierte. Die Langspielplatte war danach in den Charts lange Zeit ganz vorne. Die Hostessen trugen weiß-blaue Dirndl, die Chefhostess Sylvia Sommerlath heiratete später den damaligen schwedischen Kronprinz Carl-Gustav und wurde danach Königin. Und das Maskottchen hieß &bdquo;Waldi“ und war natürlich ein Dackel. Der Nachfolger ist ein Eichhörnchen mit dem kryptischen Namen &bdquo;Gfreidi“. Das muss man übersetzen, weil es tiefer bayerischer Dialekt ist. &bdquo;Freue Dich“, heißt es. Das muss man uns natürlich nicht zweimal sagen, denn diese Europameisterschaften machen Lust und Laune auf mehr. Ein Tag, der alles veränderte Und doch: Ich bekomme den 5. September 1972 nicht aus dem Kopf wie viele meiner Generation, die damals schon Sportfans waren und die Olympischen Spiele intensiv verfolgten. Der Anschlag der palästinensischen Terrororganisation &bdquo;Schwarzer September“ auf die israelische Mannschaft endete mit dem Tod aller elf Geiseln, sowie fünf Geiselnehmern und eines Polizisten.

&bdquo;The Games must go on“, sagte der damalige IOC-Präsident Avery Brundage im Olympiastadion. Und es ging weiter, wie es immer weiter geht, auch wenn jede Tragödie Wirkung hinterlässt. Die Aufarbeitung aller Maßnahmen seinerzeit vor allem auf dem Flugplatz Fürstenfeldbruck ist wohl noch immer lückenhaft, weshalb die Angehörigen der Opfer der Gedenkfeier größtenteils fernblieben. Dieser Tag, dieser 5. September, ist so unvergessen und prägend wie der rechtsextremistisch motivierte Bombenanschlag am 26. September 1980. Am Eingang des Oktoberfestes kamen 13 Menschen ums Leben, 221 wurden verletzt, 68 davon schwer.

Bilder wie dieses von Adam Ondra nach seiner Goldmedaille im Lead-Klettern zeigen große Emotionen in München. © APA/afp / TOBIAS SCHWARZ

Jetzt ist man wieder heiter und beschwingt in München und die &bdquo;Wiesn“, das gesellschaftliche Kampftrinken in den riesigen Bierzelten, steht noch bevor. Doch, man soll und darf das alles mit gutem Gewissen genießen, auch wenn die Nachrichtenlage täglich klar macht, dass die Welt nicht besser geworden ist. Jede Stunde vermeintlich ungetrübter Freude ist ein Geschenk, weshalb diese Europameisterschaft im Moment mehr ist als nur eine Sportveranstaltung, die größte in Deutschland seit den Spielen 1972. Die Wettkämpfe sind ein Zeichen dafür, dass Frieden und Zusammenhalt der Menschen auch in diesen äußerst unruhigen Zeiten noch möglich sind. Und die Erinnerungen gehören dazu.

Zur Person: Sigi Heinrich Der renommierte Sportjournalist, Buchautor und vielfach ausgezeichneter Eurosport-Kommentator (u.a. Gewinner des Deutschen Fernsehpreises und des Bayerischen Sportpreises) widmet sich in seiner Kolumne “Sigi´s Spitzen“ nicht nur der gesamten Vielfalt des Sports. Auch Themen außerhalb seines gewohnten Metiers beschäftigen ihn. Mal sehr ernsthaft, oft auch mit einem verschmitzten Augenzwinkern und mitunter auch bewusst provozierend. Es soll ja für alle was dabei sein.

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