Sportlich an die Wahlurne

Wir erleben einen Traum. Ein Sommer, der nicht aufhören mag. Gut, ein paar Frühnebel lassen sich nicht vermeiden. Aber ansonsten kann man nicht meckern. Die Natur lockt. Die Freiheit ist scheinbar immer noch grenzenlos. In den Bergen sowieso, wenn man sie denn um sich hat und über eine gewisse Grundkondition verfügt, denn schweißtreibend ist ein Gipfelsturm allemal. Oder es locken fußschonende Wege in den Wäldern mit ein wenig Schatten, der angesichts der zwischendurch immer noch intensiven Sonnenstrahlung als durchaus angenehm empfunden wird. Es tut einfach gut, Kopf und Körper immer wieder mal in die frische Luft zu treiben, denn auch aus eigener Erfahrung weiß ich, dass eine ziemlich gleichbleibende Schrittfrequenz auch dazu führt, die Gedanken in Schwung zu bringen, falls man nicht zu den notorischen Quälgeistern gehört, die dauern quatschen müssen. Die Ruhe kommt ja erkenntnisreich immer vor dem Sturm und dieser bricht in den nächsten Tagen gewaltig über alle herein, die entweder in Bayern, in Hessen oder auch in Südtirol und im Trentino wohnen. Der Oktober mit seinem betörenden Farbenspiel ist der Monat der Wahlen. Wir sind also wieder dran. Wir dürfen mal wieder unsere Zukunft bestimmen oder zumindest mitgestalten. An Vorschlägen herrscht kein Mangel und während wir zügig immer wieder einen Fuß vor den anderen setzen, lassen wir dem Kopfkino alle Freiheit, die notwendig ist, um noch letzte Entscheidungen über die persönliche Herangehensweise in der Wahlkabine zu fixieren oder zumindest den Kreis der Kandidaten und deren Versprechungen näher einzugrenzen. Ein Blick aus erhöhter Warte hinunter ins Tal mag in diesem Fall gewinnbringender sein als ein eben dahinfließender Rundweg. Denn von oben betrachtet wird einem intensiver klar, wie klein und unbedeutend wir doch sind. Wir, die Wähler nämlich, um die so gnadenlos heiß gekämpft wird. Mit markigen Bierzeltparolen, mit kleinen Broschüren, die uns eigentlich nur sagen, dass der jeweilige Verteiler natürlich der Beste ist aller Mitbewerber. Ideen voller Träume Sportlich gesehen wird dabei ausnahmslos bei allen über das Ziel hinausgeschossen. Lärmschutzwälle, Kreisverkehre, neue Wohnungen, natürlich bezahlbar für alle, vermehrte Kindergartenplätze, lauschige Appartements im Seniorenheim, Pflege mit Herz und Salbe vom Feinsten, neue Industriezonen, die Arbeitsplätze garantieren, Radwege, so breit, dass Panzer sie benutzen könnten. Der Phantasie sind keine Grenzen sein. Alles ist nachhaltig. Bio natürlich. Für Autos gibt es Verschrottungsprämien. In Niederbayern plant man ein flächendeckendes U-Bahnnetz, das die Stammstrecke in der Landeshauptstadt München alt aussehen lässt. Dann ist man in zwanzig Minuten quasi von Viechtach am Flughafen in Erding. Vielleicht wird gar die alte Transrapid-Idee des ehemaligen Ministerpräsidenten Bayerns, Edmund Stoiber, wieder aktuell. Was dereinst eine flammende Rede für das Projekt der Anbindung des Münchner Hauptbahnhofes an den Flughafen war, ganz ernsthaft übrigens, hat längst Kultstatus als Parodie und dient allemal auch jetzt noch als beredtes Zeugnis dafür, wieviel uns versprochen und vorgegaukelt wird, damit wir ja unser Kreuzchen an der richtigen Stelle machen. Da tut es gut, sich zwischendurch auch mal auszuruhen. Kopf und Körper brauchen Pausen, um die Flut der Dauerberieselung zu verkraften, wobei eine Frage immer drängender wird. Kann ich, also ich, der Wähler, kann ich wirklich so viel bewirken? Hört man mir überhaupt zu? Sind meine Wünsche überhaupt realistisch? Und dann darf und muss man sich selbst erforschen und einen ganz eigenen Katalog des Lebens gestalten. Worauf kann ich verzichten? Was darf und soll sich auf keinen Fall ändern? Und man wird, vielleicht mit einem Rundblick auf ein paar Bergspitzen oder träumend am Ufer eines Sees sitzend feststellen, dass man, wie halt immer, ohne Kompromisse nicht auskommen wird. Allen recht getan ist erst recht in der Politik eine Kunst, die keiner kann und auch keiner können kann. Denn zu vielschichtig gewebt ist der Teppich der Millionen unterschiedlicher Bedürfnisse. Der Sport bleibt auf der Strecke Ich will aber mein eigentliches Gewerbe in diesem Fall natürlich nicht vernachlässigen, wobei ich bedauerlicherweise feststellen muss, dass alle Wahlen, die oben angeführt wurden, sportliche Nullnummern sind. Der Sport kommt nämlich nirgends vor. In keinem Wahlprogramm lese oder höre ich von Erhöhungen der Übungsleiterpauschalen. Von Zuschüssen für Vereine für deren aufopferungsvolle Jugendarbeit. Entlastung des Ehrenamtes, respektive deren Aufwertung: Fehlanzeige. Sanierung von maroden Sportstätten oder gar Neubauten von Turnhallen: Fehlanzeige. Und nirgends lese oder höre ich davon, dass in vielen Gemeinden geschlossene Hallenbäder wieder geöffnet werden. Wo ist der Sport geblieben? Gut, es gibt immer wieder Zuschüsse für große, publikumswirksame Veranstaltungen, die indes auch dazu dienen, die immer neuen künftigen Wähler bei der Stange zu halten, ihnen zu suggerieren, dass man ja was tut. Bei der großen Show, ja, da macht die Politik gerne mit, denn sie verspricht Öffentlichkeit, die Abgeordnete jedweder Farbmixtur und Anschauung nur zu gerne wahrnehmen. Im Detail jedoch geht scheint der Sport auch weiterhin sich selbst überlassen zu bleiben. Wahlversprechungen diesbezüglich gibt es jedenfalls keine und vielleicht ist das auch besser so. Schließlich weiß man im sportlichen Wettstreit nie, wie er ausgeht. Nur so viel steht auch vor diesem heißen Oktober fest: Es wird Sieger geben und Verlierer und wir, die Wähler, werden auch dann erst nach der Auszählung der Stimmen (und selbstverständlich sind wir zu Wahl gegangen) wissen, wie unser Team abgeschnitten hat. Die Politik ist nämlich wie ein Fußballspiel mit Akteuren, die uns viel versprechen aber über deren Können wir nie richtig ins Bild gesetzt worden sind. Vielleicht ist sie manchmal sogar ein Glücksspiel. Für alle. Zum Autor: Sigi Heinrich Der vielfach ausgezeichnete Sportjournalist, Buchautor und Eurosport-Kommentator der ersten Stunde (seit 1989) widmet sich in seiner Kolumne &bdquo;Sigi´s Spitzen“ der gesamten Vielfalt des Sports und wildert gerne auch in fremden Gefilden. Mal mit schmunzelndem Augenzwinkern, mal ernst oder bewusst provozierend. Es soll ja für alle etwa dabei sein.

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