Zwei Weltmeister im Bundestag

Ein Abschied und ein Neuanfang. Aber wenn schon, dann mit großem Geschirr. Weltmeister gehen, Weltmeister kommen. Das jedenfalls hat die Wahl zum neuen Bundestag in Deutschland ergeben. Eberhard Gienger, Reckweltmeister 1974 in Varna und zwei Jahre später Gewinner der Bronzemedaille bei den Olympischen Spielen in Montreal, hat Platz gemacht. Seit 2002 saß er im Bundestag für die CDU und war dort Sprecher der Arbeitsgruppe Sport. Zudem gehörte er dem Fraktionsvorstand an. Schön oder? &bdquo;Arbeitsgruppe Sport“. Wie sich das schon anhört! So viel oder so wenig ist der deutschen Politik der Sport wert. Kein eigenes Ministerium wie in England oder Frankreich.

In Italien etwa kümmert sich Vincenzo Spadafora um die sportlichen Belange. Das ist nicht unwichtig, denn der Sport ist eine tragende Säule der Gesellschaft mit allen Vereinen und Aktivitäten, die angeboten werden. Es ist im Grunde eine Schande, dass noch immer in vielen politischen Gremien dem Sport viel zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet wird. In Deutschland war das schon immer so. Meist ist der jeweilige Innenminister auch für die Belange des Sports zuständig. Leider hat Eberhard Gienger diesbezüglich in allen Jahren, in denen er politisch aktiv war, nichts geändert oder auch eben nichts ändern können. Sie sind schnell vor Ort, die Damen und Herren Politiker, wenn Endspiele auf dem Programm stehen, wenn sie mediale Beachtung finden. Gut, sie unterstützen finanziell und durch ihre Institutionen (Bundeswehr, Zoll, Polizei) die Sportlerinnen und Sportler. Und einmal im Jahr diskutieren sie vielleicht sogar darüber. Ansonsten: Fehlanzeige. Eberhard Giengers Popularität nutzte nichts. Er war im Grunde nur ein kleines Schmuckstück im Getriebe und natürlich haben seine sportlichen Erfolge geholfen, ihn in den Bundestag zu hieven. Er war vielleicht auch zu wenig resolut und hat vermutlich sehr bald verstanden, dass der Name alleine keine Änderungen herbeiführt. Ich kenne ihn ja gut. Ich habe mit ihm bei den Deutschen Meisterschaften 1968 in Berlin in einer Riege geturnt. Der Sport ist gänzlich unterrepräsentiert Er hat gewonnen. Über meine Platzierung erlaube ich mir, das Tuch des Schweigens auszubreiten. Aber gelernt habe ich viel in diesen zwei Tagen des Zwölfkampfes an allen Geräten. Jetzt ist ihm ein junger Kollege nachgefolgt. Zwar von einer anderen Partei (SPD) aber auch ein großer, sogar ein ganz großer Name, den ich aufgrund meiner Tätigkeit als Biathlon-Kommentator bei Eurosport auch gut kenne. Frank Ullrich (63) hat es geschafft, den CDU-Rechtsaußen und früheren Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, in seinem Wahlkreis in Thüringen zu besiegen. Klar und deutlich, wobei sogar die Grünen ohne eigenen Kandidaten eine Empfehlung für Ullrich ausgesprochen haben. Man kennt ihn natürlich in seiner Heimat Schmalkalden, ein paar Kilometer von Oberhof, der Biathlonhochburg, entfernt. Er war Olympiasieger in Lake Placid im Sprint und vielfacher Weltmeister. Und er war lange Zeit auch Cheftrainer der deutschen Biathleten und Langläufer. Streitbar und ziemlich stur.

Wir hatten eine ganze Saison lang keinen Kontakt, weil er gegenüber kritischen Bemerkungen ziemlich harsch reagieren konnte. Das hat sich dann wieder eingepegelt bei einem Gläschen. &bdquo;Sigi, wir müssen unseren Krieg beenden“, sagte er irgendwann und öffnete den Kofferraum seines Autos auf dem Parkplatz in Pokljuka (Slowenien). Wir tranken ein Stamperl und fortan sprachen wir wieder miteinander. Ich habe ihn danach zu einem Golfturnier eingeladen, das ich organisiert hatte und ich habe ihm auch schon gratuliert zum Einzug in den Bundestag, verbunden mit der Bitte, auf die Pauke zu hauen. Der Sport ist nämlich trotzdem gänzlich unterrepräsentiert. Claudia Pechstein hat es nicht geschafft Nur der ehemalige Bahnradprofi Jens Lehmann (53) ist noch dabei. Er hat sein Direktmandat verteidigt. Dagegen hat Claudia Pechstein, die erfolgreichste deutsche Winterolympionikin, den Einzug in den Bundestag nicht geschafft. Zwei ehemalige Sportler befinden sich also unter den geschätzten 770 Abgeordneten, von denen vermutlich die Mehrzahl einen Beruf ausüben, der es ihnen gestattet, das Abenteuer Politik in Angriff zu nehmen. Viele davon sind Beamte und Anwälte. Mutige Freiberuflicher gibt es wenig. Das ist überall so, weil es ja ein wenig Mut erfordert, sich immer wieder einer Wahl stellen zu müssen. Auch wenn beide, Lehmann und Ullrich, unterschiedlichen Parteien angehören, wäre es wünschenswert, wenn sie sich kurzschließen könnten. Getreu dem Motto: Was können wir zwei Weltmeister verändern? Was können wir für den Sport tun? Beide wissen, wie man kämpfen kann und auch muss, um erfolgreich zu sein. Und auch zwei Stimmen können laut sein, auch wenn sich aktuell natürlich alles um die Frage dreht: Wer wird Nachfolger von Angela Merkel, die bei allen wichtigen Fußballspielen auf der Ehrentribüne war. Doch damit alleine ist dem Sport ja nicht gedient, der gerade in diesen Zeiten, in denen so viele der Pandemie wegen dem Sport verloren gegangen sind, vor großen Problemen steht. Es ist eine sportliche Aufbruchstimmung notwendig. Frank Ullrich und Jens Lehmann sind nicht zu beneiden.

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