Ein Puschtra Bui wird zum Weltstar: Die Jannik-Sinner-Story

Worauf man auch klickt, worin man auch blättert und wohin man auch lauscht: Dieser Tage gibt es überall nur Jannik Sinner. Egal ob in den Zeitungen (die Gazzetta dello Sport widmete ihm am Samstag die ersten neun Seiten), in den Facebook- oder Instagram-Feeds, ja sogar bei der Plauderei mit dem Elektriker, der gerade die Lampe im Flur repariert: Sinner ist omnipräsent. Gerade deshalb hat der Blick zurück auf den 20. Jänner 2010 etwas Surreales an sich. An jenem Tag stand Sinners Name nämlich erstmals im Tagblatt Dolomiten – und es war vermutlich das erste Mal überhaupt, dass er in einer Zeitung erwähnt wurde.

Das Kuriose an der ganzen Sache: Es war kein Tennis-Turnier, bei dem von Jannik Sinner die Rede war. Vielmehr lautete der Titel: &bdquo;500 VSS-Skikinder geben südtirolweit Vollgas“. An jenem Jänner-Wochenende – Sinner war achteinhalb Jahre alt – belegte der Lockenschopf aus Sexten in einem U9-Bezirksrennen den zweiten Platz. Wer hätte da gedacht, dass aus diesem Ski-Knirps anderthalb Jahrzehnte danach ein Tennis-Weltstar wird?

Am Sonntag gewann Jannik Sinner die Australian Open. © ANSA / JOEL CARRETT

Auf seine Ski-Vergangenheit wird Sinner oft in Interviews oder TV-Shows angesprochen. Und wer weiß, mit seinem Talent, seinem Ehrgeiz, seiner Detail-Versessenheit hätte der Sextner vielleicht auch im weißen Zirkus für Furore gesorgt. Doch entschieden hat sich Sinner für Tennis – und ist jetzt mit 22 Jahren erstmals Grand-Slam-Sieger.

Mit 13 verließ er die Heimat und eroberte die Tennis-Welt Sinner ist einer, der weiß, was er will. Denn nicht jeder – oder besser gesagt nicht viele – würden mit 13 Jahren ihre Heimat in den idyllischen Sextner Dolomiten hinter sich lassen, sich von Freunden trennen, auf die Köstlichkeiten der Mama verzichten, um in Bordighera an der ligurischen Küste auf eine Profi-Karriere hinzuarbeiten. Die Italienischkenntnisse waren zu jener Zeit noch bescheiden, dafür beherrschte Sinner die Sprache des Tennis besser als die meisten anderen. &bdquo;Jannik hatte sein erstes Turnier gewonnen, aber die Punkte zählen konnte er noch nicht. Damals war er fünf Jahre alt“, sagte einst sein erster Trainer Andreas Schönegger.

Das erste Highlight in Sinners Karriere: Der Sieg bei den NextGen Finals im November 2019. © ANSA / MATTEO BAZZI

Mit Riccardo Piatti bekam Sinner in Bordighera den idealen Lehrmeister. Der Tennis-Guru, der in seiner Laufbahn auch schon Novak Djokovic trainierte, war für den Youngster Trainer und Ziehvater zugleich. Unter Piattis Fittichen fing Sinners Keim langsam an zu blühen und ging im November 2019 schließlich voll auf. Damals gewann der Pusterer in Mailand mit einer Wildcard völlig überraschend die NextGen ATP Finals, also die U21-Weltmeisterschaft – und von da an ging es nur mehr rasant aufwärts. Der Grand-Slam-Titel ist der vorläufige Höhepunkt dieser märchenhaften Reise. Wenn auch ohne Piatti, von dem sich Sinner im Februar 2022 getrennt hat und seitdem mit dem Duo Darren Cahill und Simone Vagnozzi zusammenarbeitet.

In Sexten besucht er Fußballspiele der 2. Amateurliga Um Sinner hat sich schon seit Jahren ein regelrechter Hype entwickelt. Sponsoren reißen sich um ihn (angeblich soll er mittlerweile pro Jahr 25 Millionen Dollar für Werbung kassieren), Journalisten aus aller Welt stehen Schlange, sein Lächeln strahlt von den Titelseiten der Hochglanzmagazine. Doch beim 22-Jährigen hat man trotz dieses Wirbels immer das Gefühl, dass er stets der bodenständige, demütige Puschtra Bui geblieben ist. In Interviews wird er nicht müde, zu betonen, wie wichtig ihm die Arbeiter-Mentalität ist. Eine Mentalität, die ihm von seinen Eltern Hanspeter und Siglinde schon seit jeher vorgelebt wurde.

Jannik Sinner (3. von links) bei einem 2.-Amateurliga-Spiel zwischen Sexten und Taisten/Welsberg im November 2021. © David Laner

Zu Hause ist Sinner, der seit einiger Zeit in Monte Carlo wohnt, nicht mehr oft, zu eng getaktet ist der Tennis-Kalender, zu voll der Termin-Planer. Gerade deshalb kostet er die Zeit voll aus, wenn er bei seinen Liebsten – sprich den Eltern und Bruder Mark – sein kann. Wenn er in der Südtiroler Heimat ist, dann schaut sich Sinner auch gerne mal ein 2.-Amateurliga-Spiel seiner Sextner an, frönt auf dem Kronplatz seiner Leidenschaft fürs Skifahren oder drückt beim Go-Kart-Fahren mit Freunden aufs Gaspedal.

Nachdem er im vergangenen Sommer sein erstes Grand-Slam-Halbfinale in Wimbledon vor Millionenpublikum gegen Novak Djokovic verloren hatte, verbrachte Sinner am Abend darauf mit Freunden einen gemütlichen Abend am Kalterer See. Irgendwie ist Jannik Sinner eben auch nur ein ganz normaler Junge. Ein Junge, der sich seit Sonntag Grand-Slam-Sieger nennen darf.

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