Herr Becker am Tiefpunkt

Die Jagd ist eröffnet. Mit dem Urteil der zweieinhalbjährigen Gefängnisstrafe, von der Boris Becker wohl die Hälfte absitzen muss, saust das frisch geschliffene Messer der Guillotine, die dereinst der französische Arzt Joseph-Ignace Guillotin erfand, auf das Haupt der deutschen Tennis-Legende nieder. Bildhaft gesehen, denn jetzt, so scheint es, gibt es keine Tabus mehr. Das Leben eines der größten Sportstars in Deutschland wird nun gnadenlos unter die Lupe genommen und offen präsentiert in einer Art, die schnell die Grenzen des guten Geschmacks überschreitet. Nichts, wahrlich nichts ist mehr heilig im Glauben, dass jetzt alle sogenannten Fans von Boris Becker das Recht haben sollten, seinen Werdegang endlich total ungeschminkt nachvollziehen zu können.

Boris Becker (rechts) mit seiner Lebensgefährtin Lilian de Carvalho Monteiro. © AFP / ADRIAN DENNIS

Das Urteil in London reißt dem dreimaligen Wimbledonsieger den Schutz seiner Person förmlich vom Leib. Die Frage darf man sich stellen: Mit welchem Recht? Weil er Fehler machte vor allem im Umgang mit seinen riesigen finanziellen Ressourcen? Oder weil er angeblich laut der Richterin, die ihn zu einer Haftstrafe verurteilte, keine Demut zeigte? Weil er nicht zu Kreuze gekrochen ist? Es mag sein, dass seine Verteidigungslinie, die ihn eher als Opfer sieht, denn als Täter, weil er angeblich nie selbst ein Konto eröffnet hat und in Gelddingen wohl gänzlich unbedarft war und alles seinen sogenannten Beratern überließ, zu sehr eine Mitleidsstimmung auslöst. Doch allein das darf nicht dazu führen, dass seine sportlichen Leistungen fast gänzlich in den Hintergrund gedrängt werden. Muss das sein? Sämtliche ehemaligen Begleiterinnen dagegen werden jetzt noch einmal an die Öffentlichkeit gezerrt. Ist das also jetzt wichtig? Soll das suggerieren, dass die eine oder andere Beziehung den Niedergang von Becker schleichend eingeleitet hat? Muss das also sein? Nein. Es wäre viel schöner, aber das ist sicher blauäugig in diesem Moment, sich an seine großen Spiele zu erinnern. Jeden Tag, den er im Gefängnis sitzen muss, noch einmal ein großes Match aufwärmen würde ihm gerecht werden. Aber das wird nicht passieren, denn die Tragödie der menschlichen Natur besteht ja auch darin, dass der Neid auf Erfolge nicht zu verdrängen zu sein scheint. Und dass man darauf wartet, dass der Glückspilz endlich mal zu Boden sinkt.

Mit Boris Becker hat es das Leben fast immer nur gut gemeint. Siege in jungen Jahren, Preisgelder und Werbeeinnahmen in vermutlich auch für ihn selbst unvorstellbaren Größenordnungen spülten ihn auch in der Gesellschaft in höchste Regionen. Becker war gefragt. Ich erinnere mich noch, als man ihn nach seinem ersten Wimbledonsieg 1985 nach der Hausbesetzerszene in Hamburg gefragt hatte. Was soll ein 17-Jähriger da sagen? Er war plötzlich, und das war ihm vermutlich nie recht, eine öffentliche Figur. Ein moderner Siegfried, wie der Frankfurter Soziologe Henning Hase mal meinte, der Spitzensportler für die Heldenfiguren unserer Gesellschaft hält. Und Helden, klar, können auch mal stürzen.

Bei Becker kommt möglicherweise in der jetzigen Situation auch noch die Tatsache hinzu, dass er zwar nach außen hin sehr präsent war, dass er aber im Grunde wohl eher intim und zurückgezogen bleiben wollte. Allein, es ist ihm nie gelungen. Becker hat sich irgendwie immer wieder neu erfunden, gerade so, als wolle er sich immer mal wieder eine neue Haut zulegen. Er feuerte Trainer, Manager und eben auch Ehefrauen. Er war Davis-Cup Chef und besaß Autohäuser mit dem Stern als Markenzeichen. Er lebte in Monte Carlo, München, Miami und zuletzt in London. Becker war die personifizierte Unruhe. Erst in den letzten Jahren kam er seinem Sport wieder näher, auch, weil er beim TV-Sender Eurosport eine Plattform bekam, die ihn zu seinen Wurzeln zurückführte. Das hat ihm Spaß gemacht. Weg vom Boulevard und dorthin zurück, wo alles begann und was eigentlich immer sein Leben sein sollte. Becker wird wieder aufstehen Er machte Boden gut. Dabei bleibt er in seinen Analysen zurückhaltend und fair. Er hält Abstand, weil er im Grunde immer auch Abstand halten will. Er ist kein Duzkumpel. Wer ihn nicht kennt, sollte ihn mit &bdquo;Herr Becker“ ansprechen, was ja auch kein Problem ist. Aber weil er nie so bequem und angepasst war und vielleicht, weil sein Leben nicht vergleichbar ist mit dem Leben eines Normalbürgers, was immer man darunter verstehen mag, lässt sein tiefer Fall den Voyeurismus hochleben und führt ihn zu neuen Höhen. Doch auch diese Phase mit dem Gefängnisaufenthalt als absoluten Tiefpunkt wird Becker hoffentlich überstehen, so wie vieles auch in der Vergangenheit. Die &bdquo;Beckerfaust“ und der &bdquo;Beckerhecht“ sind längst fest in unserem Sprachgebrauch verankert. Der Namensgeber ist nicht nur Geschichte. Er hat auch immer noch eine Zukunft.

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Herr Becker am Tiefpunkt

Die Berichterstattung über den tiefen Fall der Tennis-Legende Boris Becker gibt unserem Kolumnisten Sigi Heinrich zu denken. Er versucht auf seine Art, das Phänomen um Becker zu skizzieren und ist sicher, dass der Wimbledonsieger wieder auf die Füße kommt.

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