
Jannik Sinner musste Carlos Alcaraz den Vortritt lassen. © APA/afp / JULIEN DE ROSA
Herzzerreißende Niederlage: Sinner muss sich Alcaraz beugen
Jannik Sinner fehlte am Samstag nur noch ein Punkt, dann hätten die diesjährigen French Open ihm gehört. Der Sextner Superstar sah sich jedoch einem Spieler gegenüber, der nie aufgab, der trotz eines aussichtslosen Rückstands immer an den Sieg glaubte und diesen schlussendlich auch errang: Der Spieler hörte auf den Namen Carlos Alcaraz.
08. Juni 2025
Von:
Leo Holzknecht
Jannik Sinner und Carlos Alcaraz sind sich in ihrer Karriere schon in Finals auf jedem Niveau begegnet: Von kleinen 250-Turnieren bis zu den großen Masters. Was fehlte, war ein Aufeinandertreffen in einem Endspiel eines Grand Slams. Am Sonntag war es in Paris so weit. Und die ganze Welt schaute zu. Was die zurzeit mit Abstand besten Tennisspieler der Welt auf den Platz zauberten, war hochklassig, spannend und mitreißend. Und aus Südtiroler Sicht auch herzzerreißend. Denn nach drei vergebenen Matchbällen verlor Sinner das längste French-Open-Finale aller Zeiten (5:25 Stunden) mit 6:4, 7:6, 4:6, 6:7 und 6:7.
Alcaraz reckte somit zum zweiten Jahr in Folge die Coupe des Mousquetaires in die Höhe, während Sinner auf seinen ersten Sieg in Paris noch warten muss. So sehr diese Niederlage ihm auch schmerzen wird, kann der 23-Jährige Frankreich erhobenen Hauptes verlassen. Er hat gezeigt, dass er jedes Turnier – auch nach einer dreimonatigen Pause – gewinnen kann. Wenn am 30. Juni in Wimbledon das nächste Highlight beginnt, wird er wieder um den Titel mitkämpfen.
Es geht munter los
Andre Agassi, George Russell, Martina Navratilova, Dustin Hoffman, Pharrell Williams – zahlreiche Promis ließen sich das Spektakel zwischen Sinner und Alcaraz nicht entgehen. Sie sahen einen hart umkämpften Beginn, in dem der Spanier gleich fünf Breakchancen liegen ließ. Nur die ersten drei Games dauerten 24 (!) Minuten. Beim Stand von 2:2 schnappte der Titelverteidiger dann aber zu und nahm dem Sextner den Service ab. Unterkriegen ließ sich der Südtiroler nicht, im Gegenteil: Mit einem Re-Break meldete er sich zurück, bevor er auf 4:3 stellte und sich Chancen zum 5:3 erarbeitete. Doch Alcaraz blieb – nicht zuletzt dank seiner unglaublichen Vorhand – dran.Beim Stand von 5:4 aus Sinners Sicht kam es dann zu einer kuriosen Unterbrechung: Der Mann aus Murcia musste sich behandeln lassen, weil offensichtlich Sand in sein Auge geraten war. Als es weiterging, hatte Alcaraz seinen Fokus verloren. Drei unerzwungene Fehler bescherten der Nummer 1 einen Satzball, den er prompt verwertete. Auf Grand-Slam-Niveau war es der 30. gewonnene Durchgang in Folge für Sinner – eine Wahnsinns-Marke.
Mit dem Satzvorsprung im Rücken wurde Sinner noch selbstsicherer, während Alcaraz' Zweifel größer wurden. Als er in seinem ersten Aufschlagsspiel ein weiteres Break kassierte, gestikulierte er wild in Richtung Box. Dessen Trainer, Juan Carlos Ferrero, der 2003 bei den French Open triumphierte und durch sein verbales, proaktives Coaching bekannt ist, nahm die Reklamationen regungslos zur Kenntnis. Sinner spielte nun groß auf, beim Stand von 1:4 streute er aber in wichtigen Augenblicken Fehler ein. Statt das zweite Break in diesem Satz zu holen, verkürzte Alcaraz auf 2:4. Kurz darauf schnupperte der Spanier am 3:4, doch seine Returns auf zweite Aufschläge ließen zu wünschen übrig.
Unglaubliche Spannung
Als Sinner beim Stand von 5:3 für die 2:0-Satzführung servierte, widerfuhr ihm das gleiche Schicksal wie gegen Djokovic. Er brachte keine ersten Aufschläge ins Feld, Alcaraz witterte Morgenluft, holte sich das Break zurück und stellte in Windeseile auf 5:5. Ausgerechnet in diesem Moment, als Sinner mit dem Rücken zur Wand stand, spielte er ein perfektes Servicegame mit sehenswerten Punkten. Wenig später fixierte Alcaraz den Tiebreak. In diesem gingen beide Akteure hoch konzentriert zu Werke. Der erste Punkt gegen den Aufschläger gelang Sinner dank einer fantastischen Vorhand. Ein zweites Mini-Break schnappte er sich nach einem verschlagenen Alcaraz-Stopp. Kurz darauf machte der Südtiroler den Sack zu.Jannik Sinner gab alles. © ANSA / CHRISTOPHE PETIT TESSON
Gleich zum Start des dritten Satzes bog Sinner mit einem Break auf die Zielgerade ein. Anstatt davonzuziehen, kassierte er aber zwei unnötige Breaks, zumal er in jenen Games schon mit 30:0 und 40:15 führte. Plötzlich stand es 4:1 für den Spanier. Wer dachte, dass dieser Satz keine dramatische Wende bereithielt, sah sich getäuscht. Ein famoses Game bescherte Sinner das Break zum 4:5. Die Hoffnungen des Sextners auf eine Satzverlängerung währten allerdings nicht lange, denn Alcaraz schlug unmittelbar darauf wieder zurück – 6:4 für den Spanier.
Sinner hätte beim Stand von 1:1 im vierten Satz ein wichtiges Zeichen setzen können, bei einem Breakball blieb Alcaraz aber aufmerksam und platzierte einen Gewinnschlag mit der Rückhand. Beide Protagonisten warfen nun alles in die Waagschale und verwöhnten die Fans auf dem Court Philippe-Chatrier mit großem Tennis. Vor allem Sinner stieg nun zu außerirdischen Höhen auf. Katzenartig sprintete er nun von Seite zu Seite, gleichzeitig platzierte er seine Bälle millimetergenau in die Ecken. Die Folge? Das Break zum 4:3.
Sinner kommt wieder zurück
Damit nicht genug: Er gewann 15 von 16 Punkten, was drei Matchbälle zur Folge hatte. Zum Leidwesen von Sinners Mutter, die in der Box mitzitterte und mitlitt, machte der Spanier alle drei zunichte. Und dann breakte er – mit der Unterstützung der Fans – den Sextner. Wieder ging es in den Tiebreak. Alcaraz wandelte in diesem einen 0:2-Rückstand mit zwei Assen in einen 4:2-Vorsprung um. Sinner wirkte angeschlagen, verschlug leichtfertig einen Return und fand sich nach über vier Stunden in einem Entscheidungssatz wieder.Ein Phänomen: Carlos Alcaraz © APA/afp / ALAIN JOCARD
Dieser begann mit dem Worst-Case-Szenario – nämlich mit einem Break zugunsten Alcaraz. Obwohl die Nummer 2 im Turnier rund zwei Stunden mehr auf dem Platz stand, wirkte er frischer, klarer in seinen Ideen. Sinner rehabilitierte sich aber schnell vom Fehlstart und erarbeitete sich Chancen aufs Re-Break. Alcaraz blieb cool und servierte nach über fünf Stunden fürs Match. Sinner zeigte seinen ganzen Charakter, erlief beim Stand von 15:40 einen mustergültigen Alcaraz-Stopp, breakte und machte kurz darauf das 6:5. Das darauffolgende Game war an Spannung kaum zu überbieten, doch der Titelverteidiger rettete sich dank Kunstschlägen in den Match-Tiebreak.
In diesem ging Alcaraz alles auf – das 7:0 war die Konsequenz. Sinner sah seine Chancen dahinschwinden, versuchte alles, um das Wunder zu vollbringen, doch letztendlich musste er seinem Gegner den Sieg überlassen. Dieser sackte zu Boden, bevor er und Sinner sich in die Arme fielen. Es war das Bild des Tages und eines, das in die Geschichtsbücher eingehen wird.
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