Jannik Sinner ist im Spiel

Unser Kolumnist Sigi Heinrich war dabei auch angetan von den ungewöhnlichen Emotionen des Verlierers Novak Djokovic und sieht im Damen-Tennis eine neue Ära heranbrechen nach dem Sieg der 18jährigen Britin Emma Raducanu.

Es ist die Zeit der Tränen. Unkontrolliert und ungebremst werden die Augen feucht und die Wangen nass. Sie sind ja facettenreich. Es gibt die Freudentränen, die man natürlich gerne vergießt. Sie sind gewünscht. Die Krokodilstränen hingegen sind heimtückisch und offenbaren Heuchler.

Die Tränen der Trauer wünscht man sich nie, die Tränen der Enttäuschung sind hingegen im Leben nie zu vermeiden. Eine sich auflösende Liebe kann dazu führen oder auch das Scheitern eines Traumes. Wie das jetzt passiert ist bei Novak Djokovic, der weinte, weil er den Grand Slam in einem Kalenderjahr verpasste. Und das vor den Augen von Rod Laver, dem dieses ungewöhnliche Kunststück zuletzt 1969 gelang. Ich will hier eine Lanze brechen für den Serben, der in der Beliebtheitsskala der Tennisstars nicht an vorderster Stelle steht. Dabei hat er auch wie Roger Federer und Raphael Nadal 20 Grand-Slam-Turniere gewonnen.

Aber er kam dennoch bislang nicht an die Aura des eleganten Federer heran oder an den bübischen Charme eines Nadal. Er wirkt oft aufreizend selbstbewusst und unnahbar und versucht das seit Jahren mit großen Gesten nach Erfolgen auszugleichen, indem er mit beiden Armen ausholend symbolisch sein Herz dem Publikum schenkt. In allen vier Himmelsrichtungen. Das wirkt aufgesetzt und alles andere als spontan. Bei seinem olympischen Scheitern in Tokio gegen Zverev zeigte er sich auch unbeherrscht und aggressiv. Schmerzhafteste Niederlage seiner Karriere Und doch hat jetzt eine Niederlage, die schmerzhafteste seiner Karriere, einen anderen Djokovic offenbart. Eine verletzliche Seele war er, als er sich während des letzten Satzes hinter seinem Handtuch versteckte und die Tränen nicht mehr zurückhalten konnte. Er ahnte in diesem Moment, dass er verlieren würde. Und doch war es irgendwie ein Sieg, der im plötzlich gelang. Denn jetzt erreichte er die Fans ohne vorher einstudierte Aktionen. Und dann sagte er bei der Siegerehrung auch noch große Sätze.

Er lobte seinen Gegner und Bezwinger Daniil Medwedew, der auch gegen das Publikum spielte. Der Grund ist einfach: Er ist Russe. Das reicht offenbar aus, um ihn automatisch zum Feindbild zu machen und seinen Gegner zu unterstützen. Dass dies armselig und unsportlich ist, muss nicht betont werden. Medwedew ließ sich dennoch nicht beirren und entschuldigte sich sogar bei Djokovic dafür, dass er ihm seinen großen Traum nahm.

Das war noch einmal großer Sport am Center Court, wie überhaupt diese US-Open vermutlich eine neue Tenniszeit eingeläutet haben. Eine Zeit, die vermutlich nicht mehr von Federer und Nadal geprägt werden wird und in der auch der doch schon 34-jährige Djokovic nicht mehr so intensiv wie in diesem Jahr den Ton angeben wird. Alexander Zverev steht in den Startlöchern und ist bereit für den ersten Grand-Slam Sieg. Der Österreicher Dominik Thiem wird zurückkehren und schon jetzt darf Jannik Sinner aus Sexten in der Aufzählung möglicher Kandidaten für große Siege nicht fehlen. Er war im Viertelfinale nicht chancenlos gegen Zverev, auch wenn deutlich wurde, dass eben noch ein paar Erfahrungswerte fehlen. Auch dessen Landsmann Matteo Berrettini scheiterte erst im Viertelfinale. Gegen Djokovic, wobei er den ersten Satz gewann. Tennis-Welt im Umbruch Die Tennis-Welt ist im Umbruch. Abwechslung ist garantiert und die Lust, Tennisspiele wieder an den TV-Geräten zu verfolgen, ist ungebremst. Spektakel sind garantiert, auch bei den Damen. Das Finale zwischen Emma Raducanu aus Großbritanien und Leylah Fernandez aus Kanada war ein fast schon brutaler Tennisakt. Mit schier gnadenloser Konsequenz knallten sich die beiden 18jährigen die Bälle um die Ohren. Pillepalle-Bälle gab es nie. Selbst aus schwierigsten Situationen wurden offensive Schläge gespielt. Die paar Netzangriffe konnte man an einer Hand abzählen, ebenso die wenigen mit Slice gespielten Bälle. Dazu kam eine fast unverschämte Länge und eine faszinierende Genauigkeit, wenn die gemeinsten Winkel gespielt wurden.

Es war großes, ja ganz großes Tennis, das die beiden Teenager zeigten. Sie haben eine neue Ära eingeleitet, was auch dadurch dokumentiert wird, dass Raducanu, das Wunderkind, erst durch die Mühlen der Qualifikation musste, um dann auch im Hauptfeld weiterhin ohne Satzverlust die US-Open zu gewinnen. Sie hat Geschichte geschrieben. Und weil sie sich von nun an ganz auf Tennis konzentrieren will – sie ging bis vor drei Monaten noch zur Schule und trainierte entsprechend wenig – darf man auf weitere große Auftritte hoffen. In jeder Hinsicht, wie der Auftritt im schwarzen Cocktailkleid bei der Pressefragestunde zeigte. Das Lebenszeichen, das der Tennissport ausgesandt hat, ausgerechnet aus New York in den Tagen, in denen sich die Terrorattacke auf das World-Trade-Center zum zwanzigsten Mal jährte, konnte einen wirklich begeistern, ja fast zu Tränen rühren.

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Jannik Sinner ist im Spiel

Bei den US-Open wurde nicht nur großer Sport gezeigt. Es offenbarte sich auch eine Zeitenwende.

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