Kolumne | Sinners Generationenduell

Wie sang der Troubadour Udo Jürgens einst doch so schön: Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an… Nein, so lange wird Novak Djokovic natürlich nicht aktiv sein. Doch mit seinen 38 Jahren ist er immer noch in der Lage, ordentlich Musik aus den Saiten seines Tennisschlägers zu zaubern. Das liegt auch daran, dass er seinem Instrument mittlerweile alle verfügbaren Töne entlocken kann. Mal leise, schmeichelnd führt er den Ball mit einem Stopp knapp hinters Netz oder er haut krachend drauf. Er variiert die Geschwindigkeit nach Belieben und spielt dabei präzise wie ein Uhrwerk.

Er ist ein Künstler geworden, dieser Djokovic und das Alter ist kein Hindernis, sondern jetzt eine Gabe oder gar schon eine Gnade. Er genießt mehr denn je jede Minute seiner Show und lässt in schöner Regelmäßigkeit die jüngeren Konkurrenten ins Leere laufen. Alexander Zverev, fast genau zehn Jahre jünger als der Serbe, wurde im Viertelfinale von Paris ein Opfer der schlauen Spielweise seines Gegners. Dabei hatte etwa Boris Becker bei Eurosport zuvor noch gesagt, dass Zverev wohl der fitteste Spieler in Paris sei. Genützt hat ihm das nichts. Es triumphierte die Erfahrung, die Cleverness über die vermutlich bessere Kondition. Am Ende gab es nur Disharmonien bei Zverev, während Djokovic sein Spiel mit hellem Glockenklang beendete. Zumindest dieses Generationenduell hat der Ältere gewonnen. Ob die Reise so weitergeht, wird man sehen, denn der kommende Gegner beherrscht die Saiten seines Gerätes schon mit 23 Jahren ähnlich virtuos wie Djokovic: Jannik Sinner.

Erfahrung als großes Plus Auf jeden Fall macht uns &bdquo;Djoker“ Mut. In jeder Hinsicht, denn natürlich werden Jahr für Jahr die Stimmen lauter in Richtung der älteren Generationen. Man möge, heißt es gerne auch hinter vorgehaltener Hand, doch allmählich Platz machen für die Jüngeren. Djokovic hält erst mal dagegen. Andere tun das auch, zumal sie wie gerade eben wieder bewiesen, noch besser sind als viele der sogenannten potenziellen Nachfolger.

Manuel Neuer etwa ist ein Jahr älter als der serbische Tenniscrack und fliegt noch immer wie eine Schwalbe im ersten Sommer in seinem Tor nach den Bällen. Und manchmal muss er gar sich gar nicht strecken. Der Keeper des FC Bayern steht dort, wo der Ball hinkommt. Glück? Nein. Erfahrung. Instinkt, geprägt von vielen Berufsjahren. Der italienische Kollege Gianluigi Buffon beendete mit 45 Jahren beim AC Parma seine Karriere. Er hatte eine Aura wie wenige oder wie eben nur die wahren Könner. Jeder Stürmer wusste: Wenn ich nicht ganz genau schieße, hält Buffon. Das alleine war ein gewaltiger Vorteil.

Michael Jordan war auch im hohen Alter kaum zu stoppen. © APA/afp / VINCENT LAFORET

Oder Michael Jordan, Mister Basketball. Ihm gehört ein einsamer Rekord. Er ist er einzige, der mit über 40 Jahren in einem Spiel mehr als 40 Punkte erzielte. Die Reihe der alten Haudegen kann nicht auskommen ohne Bernhard Langer, den deutschen Golfhelden. Längst schlagen alle den Ball viel weiter als der mittlerweile 67-Jährige. Und doch verpasste er unlängst bei seinem letzten Auftritt in Augusta (das Turnier gewann er zweimal, weshalb er lebenslanges Startrecht genießt) nur um einen Schlag die Qualifikation für die letzten beiden Runden. Umjubelt lief er mit seiner Frau Vicky durch ein Spalier der Fans. 1985 hatte er dieses Turnier zum ersten Mal gewonnen.

Die Entwicklung der &bdquo;Longhitter“ konnte er nicht aufhalten. Aber mit Geduld und feinem Gefühl war und ist er immer noch in der Lage, großartiges Golf zu spielen. Und nun hat Ronaldo der jungen deutschen Fußballelite den Spiegel vorgehalten., Nein, sein Siegtreffer im Halbfinale der Nation-League war kein Kracher. Kein Kunststück, wie sie der Portugiese gerne zeigt. Er stand dort, wo man steht, wenn man weiß, wie ein Spiel funktioniert. Mit eben 40 Jahren muss man Ronaldo die Mechanismen nicht mehr erklären. Sie sind abrufbar. Es ist ein Automatismus, eingeschliffen in mehr als zwei Jahrzehnten aktiver Spielzeit.

40 Jahre und kein bisschen langsam Oder Lindsay Vonn. Die US-Amerikanerin ist die älteste Skiläuferin, die je einen Podestplatz erzielte. 40 Jahre war sie, als sie in Sun Valley im März dieses Jahres Zweite wurde im Super-G. Und wir erinnern uns: Viele der sogenannten Experten (das sind jene Sportler, die schon aufgehört haben und die jetzt meinen, vieles, wenn nicht alles besser zu wissen) rieten ihr von einem Comeback ab. Ja, manche verurteilten sie beinahe dafür, dass sie jetzt quasi den Jüngeren einen Platz wegnimmt. Soll sie doch, das war der Tenor, jetzt endlich Ruhe geben und ihr Altenteil genießen.

Das Alter ist natürlich mehr als eine Zahl. Es ist die Summation tausendfacher Erfahrung, die mitunter mehr wert sein kann, als jugendlicher Überschwang und strahlende Fitness. Jannik Sinner sollte sich also vorsehen, auch wenn ihn 15 Jahre Altersunterschied zu seinen Gunsten irgendwie automatisch auf den Schild des Favoriten heben im Halbfinale in Paris gegen den alten Serben, dessen Spiel, wie deutlich zu sehen war gegen Zverev, mit zunehmendem Alter flexibler und damit unberechenbarer geworden ist. Das Alter hat auch Vorteile. Manchmal.

Zum Autor: Sigi Heinrich Der vielfach prämierte Sportjournalist (u.a. Gewinner des Deutschen Fernsehpreises, des Bayerischen Sportpreises und nominiert für den renommierten Grimme-Preis), Buchautor, langjähriger Sportredakteur der Süddeutschen Zeitung und seit 1989 Kommentator bei Eurosport, widmet sich in seiner wöchentlichen Kolumne der gesamten Vielfalt des Sports und wildert gerne auch in fremden Gefilden. Mal mit schmunzelndem Augenzwinkern, mal nachdenklich oder bewusst provozierend. Es soll ja für alle etwas dabei sein.

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Der 38-jährige Serbe Novak Djokovic hat mit einem Viertelfinalsieg in Paris gegen den zehn Jahre jüngeren Alexander Zverev gezeigt, dass Alter manchmal vielleicht doch nur eine Zahl ist. Unser Kolumnist Sigi Heinrich sieht darin auch Vorteile. Sinner sollte jedenfalls gewarnt sein.

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