Das Biathlonherz schlägt in Meran

Ich gebe zu, dass 23 Jahre als Biathlonkommentator nicht folgenlos geblieben sind. Auf meiner Akkreditierung steht ausnahmsweise auch eine 7, eine fast magische Zahl, die mir den Zugang zu einer Welt ermöglicht, der ich bis heute mit staunenden Augen begegne. Ich komme in eine Art Kommandozentrale, die eigentlich nichts mit dem schweißtreibenden Sport zu tun hat, der draußen vor sich geht. Laptops und Rechner und ein Gewirr von Kabeln bestimmen das Bild. Konzentriert rasen Finger über Tastaturen. Es entsteht eine wilde Abfolge von Buchstaben und Zeichen und ich weiß, dass ich das im Leben nie begreifen und verstehen werde. Aber ich weiß auch, dass ich jetzt im Herzen des Biathlonsports bin.

So sah es während der Saisonvorbereitung im Lager von „siwidata“ aus.

Hier werden letztlich die Geschichten, die sich auf der Loipe ereignen, in eine feste und unumstößliche Form gegossen. Dorothea Wierer hatte bei ihrem Auftaktsieg über 15 Kilometer in Kontiolahti letztlich nur einen Vorsprung von acht Zehntelsekunden vor der Deutschen Denise Herrmann. Und alle TV-Zuschauer konnten bei ihrem Zieleinlauf mitfiebern und sahen die Zahlen. 0,8 Sekunden blieben übrig von mehr als 30 bei der letzten Zwischenzeit. Zuvor tauchte bei Wierer am Schießstand unumstößlich auch immer die 0 auf. Fehlerfrei. Und daneben konnte man auch noch sehen, wie lange sie bis zum ersten Schuss benötigte, wie lange sie insgesamt am Schießstand verweilte und auch noch, woher der Wind wehte, wie er sich drehte und wendete und aus dem Schießen eine Lotterie machte. Und trotzdem: Null.

Biathlon, diese komplizierte Mischung aus Skilanglauf und Kleinkaliberschießen, ist nachvollziehbar und verfolgbar geworden für alle Fans. Jede Minute offenbart neue Spannungsmomente. Es ist wie ein großes Computerspiel mit menschgewordenen Protagonisten. Dahinter steckt die Firma &bdquo;siwidata“ aus Meran. Siegfried Winkler hat das Potential in diesem Metier früh erkannt und sein Sohn Christian hat mit immer neuen Verbesserungen in den vergangenen Jahren dafür gesorgt, dass Biathlon ein sichtbarer Sport geworden ist. Wir, die wir nur Zuschauer sind, bekommen so während eines Rennens immer wieder neue Informationen und eine stets aktuelle Übersicht über den Stand der Dinge. Wer macht Zeit gut, wer verliert, wer hat noch Chancen, wer hat sie alle verspielt? Tausend Fragen, die mit Hilfe hochkomplizierter Technik schnell und umfassend beantwortet werden können. Athleten als laufende Datenlieferanten So trägt jeder Athlet zwei Fußfesseln an den Knöcheln, sogenannte Transponder, die an zwölf Messpunkten an der Strecke die Zwischenzeit übermitteln. 240 Transponder führt &bdquo;siwidata“ mit, weil man mitunter drei Veranstaltungen gleichzeitig bedienen muss. 16 Rechner in der Zentrale verwalten die Daten (Server, Steuerung der Anzeigentafel, Photofinish, Generatoren für die TV-Grafik, Videoaufzeichnung). Dazu gibt es acht Kameras am Schießstand für die Jury, falls mal Unregelmäßigkeiten oder Regelverstöße überprüft werden müssen. Zwei Wetterstationen werden aufgebaut und auch ich werde gemeinsam mit meinen Kollegen bestens versorgt. Jeder Kommentator bekommt ein eigenes Infosystem zur Verfügung gestellt, um stets auf dem Laufenden zu sein. Ich kann sogar meine Länderfavoriten farblich abgesetzt programmieren. An dieser Stelle verrate ich meine Einstellung: Italien, Deutschland, Österreich und Schweiz werden bei mir vor jedem Rennen hervorgehoben, damit ich die Zuschauer im gesamten deutschsprachigen Raum auch ausführlich informieren kann, wenn ihre Athleten mal nicht im Fernsehbild gezeigt werden. Auch eine eigene Kategorie für den Schießstand steht mir zur Verfügung mit gelben Punkten und roten Punkten, so dass ich sehr schnell und übersichtlich weiß: Strafrunde oder nicht.

Die Mitarbeiter von „siwidata“ beim jüngsten Weltcup in Kontiolahti.

Am Ende summiert sich das alles auf zwei Tonnen Equipment. Aus Kontiolahti wurden neun Paletten mit einer Spedition nach Hochfilzen befördert. In Tirol benötigt die Mannschaft von Christian Winkler dann erneut zwei Tage, um alles perfekt aufzubauen. Zum Glück ist das eine eingespielte Truppe, in der jeder und wirklich jeder jeden Handgriff im Schlaf beherrscht. Das ist in jeder Phase notwendig, vor allem natürlich während des Rennens, wenn quasi am offenen Biathlonherzen operiert werden muss. Dann müssen sogenannte &bdquo;Bauchbinden“ (Namen und Daten der Athleten) punktgenau platziert werden. Auch da zählt jede Sekunde. Und es klappt immer dank der Erfahrung und des über Jahre eingespielten Teams von &bdquo;siwidata“. Es ist nicht übertrieben, wenn ich behaupte, dass Biathlon auch neben der Faszination, zwei unterschiedliche Sportarten in eine Form zu packen, vor allem aufgrund der perfekten Darstellung für den Fernsehkonsumenten zu einer Erfolgsgeschichte geworden ist. Und damit das auch so bleibt hat Christian Winkler nach dreijähriger Entwicklungsarbeit jetzt auch eine neue Software eingebaut, die es noch besser und intensiver erlaubt, die Leistungen der Aktiven schnell und übersichtlich zu analysieren, so dass jeder Fan mit Hilfe der grafischen Darstellung auf allen wichtigen Parametern zu einem Experten werden kann.

Wenn übrigens die letzten Schneeflocken gefallen sind Ende März, dann kümmert sich &bdquo;siwidata“ um Wildwasser-Rennen bei Weltcup-Rennen, Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen. Wie dies ja auch beim Biathlon der Fall ist. Und wie es der Zufall will: Kanu in der Gischt mit Wellen und Walzen und Strafsekunden bei Torberührung gehört auch zu meinem Einsatzgebiet bei Eurosport im Sommer. Und so bleibe ich, ganz und gar ein Glückskind, das ganze Jahr in der Obhut von Südtirol.

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