Der Biathlon-Weltcup geht los: Die große Wierer-Chance

Es ist wie immer: Alle haben schon begonnen und ihre Duftmarken in die winterliche Welt gesetzt. Der sportliche Winter kommt in Schwung. Nicht einmal die erste Fußball-Weltmeisterschaft zu ungewohnter Zeit kann das verhindern. Aber, Hand aufs Herz, es fehlt noch eine Sportart, die wir schon lange nicht mehr missen wollen: Biathlon. Jetzt endlich ist es soweit.

An diesem Dienstag (29. November) steht endlich das erste Rennen auf dem Programm. Es ist der Einzellauf der Männer. Die Damen folgen einen Tag später. Einen schwierigeren Saisonstart mit den zwei langen Disziplinen kann man sich kaum vorstellen, denn die ersten Punkte werden auch noch in Kontiolahti vergeben. Das ist ungefähr so, als würden die Abfahrer gleich mal in Kitzbühel beginnen und die Skispringer mit Skifliegen in Vikersund. Elvira Öberg – hier im Einsatz in Kontiolahti – gehört zu den stärksten Biathletinnen im Weltcup-Zirkus 2022/23. © APA/afp / ANTTI AIMO-KOIVISTO

Der Kurs in Finnland gehört zu den schwierigsten im Weltcup mit einem Abschnitt, den alle mit gehörigem Respekt als &bdquo;die Wand“ bezeichnen. Es geht gefühlt fast senkrecht nach oben und das mehrmals auf der Runde. Es ist definitiv ein erster Härtetest der ganz besonderen Art und nach diesem Showdown wissen viele, wo sie stehen, denn natürlich ist allenthalben die Unsicherheit über den derzeitigen Leistungsstand greifbar. Das liegt auch daran, dass fast alle Mannschaften ihre Trainerteams verändert haben und niemand so genau weiß, ob das neue Personal auch die hoch gesteckten Erwartungen erfüllen kann. Deutschland holt ausländische Trainer Der spektakulärste Schachzug gelang dabei der deutschen Mannschaft. Der neue Sportdirektor Felix Bitterling, der zuvor bei der Internationalen Biathlon-Union (IBU) tätig war, verpflichtete Sverre Olsbu-Röieseland, den Ehemann der im letzten Jahr erfolgreichsten norwegischen Biathletin Marte Olsbu-Röieseland. Knatsch gab es deshalb nicht in der Familie. Im Gegenteil. Sverres Herzblatt sagte, dass sie stolz sei, dass ihre Ehemann eine so tolle Gelegenheit bekommen habe. Kampflustig fügte sie freilich noch an, dass sie schon hoffe, ihm das Leben als Trainer der Konkurrenz so schwer wie möglich zu machen. Zu Saisonbeginn klappt das allerdings nicht, denn Olsbu fehlt zunächst. Sie hatte sich im Sommer eine Gürtelrose zugezogen nach Corona und fühlt sich noch nicht fit genug für einen Start.

Auch Tirill Eckhoff, Weltcup-Gesamtsiegern in der vorletzten Saison, ist nicht dabei. Sie leidet unter Schlafstörungen, kann nicht richtig trainieren. Es droht sogar das Karriereende. Und weil Ingrid Landmark Tandrevold auch nicht mitmachen kann nach einer intensiven Erkältung, die sie sich im Trainingslager in Oberhof zugezogen hat, muss der Südtiroler Trainer der Norweger, Patrick Oberegger gleich zu Saisonbeginn als Mängelverwalter seine Kunst entfalten. Er hatte nach dem Rücktritt des langjährigen italienischen Trainers Andreas Zingerle natürlich auch ein Angebot aus der Heimat, das er indes ausgeschlagen hat, weil wohl auch die Chemie zwischen ihm und der erfolgsverwöhnten und besten italienischen Biathletin, Dorothea Wierer, nicht ideal ist. Alexander Inderst ist zurück im Biathlon-Weltcup.

Jetzt ist Alexander Inderst, der Ehemann von Karin Oberhofer, verantwortlicher Coach. Vor allem für Wierer ist das eine gewaltige Umstellung, denn Zingerle begleitete sie fast während ihrer gesamten Karriere. Aber sie bekam mit Jonne Kähkönen einen neuen Schießtrainer, den ich lange kenne und von dem ich überzeugt bin. Der Finne ist einer der Besten seines Metiers, was Wierer und ihre Kolleginnen und auch Kollegen hoffentlich nutzen können. Für Wierer ist das der nächste Schritt bis hin zu den Olympischen Spielen 2026. Ob sie diesen Termin noch wahrnehmen will und kann, wird auch von dieser Saison abhängen. Da sie gesund und munter durch den Sommer kam, traue ich ihr durchaus eine starke Saison zu mit intensiver Gegenwehr vor allem der schwedischen Damen mit den Öberg-Sisters. Und vielleicht gelingt ja auch der Nordtirolerin Lisa-Theresa Hauser eine Fortsetzung ihrer tollen vergangen Saison. Der Start freilich steht unter keinem guten Zeichen. &bdquo;Ich hatte einige gesundheitliche Probleme und weiß nicht, auf welchem Niveau ich gerade bin“, meinte sie. Ohne Hofer in Kontiolahti Viel Wunderliches tat sich auch bei den Biathlon-Herren. Da durfte sich der Südtiroler Lukas Hofer mit dem schwedischen Superstar Sebastian Samuelsson vorbereiten. Für Kontiolahti bremst ihn jetzt eine Sehnenentzündung im linken Bein aus. Bei den deutschen Biathleten blieb von der goldenen Generation nach dem Rücktritt von Erik Lesser nur noch Benedikt Doll übrig. Der Schwarzwälder wurde im Herbst Vater und hat auch noch eine gewisse Verantwortung für das gesamte Team als Führungsspieler. Verstärkung kam aus Slowenien. Der für sein ausgeprägtes Athletik-Training bekannte Uros Velepec wird Doll und seinen Kollegen Beine machen. Für Deutschlands Biathleten ist das eine Zeitenwende, da man sowohl bei den Damen als auch bei den Herren erstmals ausländische Kräfte verpflichtet hat. Derweil wechselte die deutsche Legende Ricco Gross als Trainer von Österreich nach Slowenien und Remo Krug verließ den DSV Richtung Schweiz. Der Björndalen-Schützling Erik Bartlett Kulstad (zuvor China) ist in Finnland gelandet. Immerhin gibt es auch Konstanz. Armin Auchenthaler aus Antholz blieb beim USA-Team und ist dort jetzt verantwortlicher Coach für das gesamte Weltcup-Team.

Es sind alles im Grunde typische Reaktionen nach Olympischen Spielen und vor einer neuen Olympiade. Dass freilich die sogenannten Streichresultate jetzt gestrichen wurden, sorgte für ziemlich viel Unverständnis bei fast allen Aktiven. Und auch eine neue Punktetabelle gibt es. Am Ende freilich werden sich die Gemüter wieder beruhigen, zumal alle nach der Bewältigung der &bdquo;Wand“ in Kontiolahti sicher erst einmal wieder zu Kräften kommen müssen.

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