Die Folgen des Wierer-Rückzugs

Vier Namen: Regina Ermits, Tuuli Tomingas, Susan Kuelm, Johanne Talihaerm. Sie haben nichts gewonnen bei den Biathlon-Weltmeisterschaften in Nove Mesto na Moravje. Und doch haben sie uns begeistert. Das Quartett landete in der Staffel auf dem vierten Platz. Neben mir und dem Eurosport- Experten Michael Rösch saßen in der Kabine die Kollegen vom estnischen Fernsehen. Jeder brasilianische Fußballkommentator wäre vor Neid erblasst angesichts der Begeisterung der sonst eher unterkühlten Nordmänner. Sie tobten, schrien, hämmerten mit der Faust auf dem Tisch. Wir haben uns anstecken lassen, zumal die estnischen Damen lange Zeit sogar auf Medaillenkurs lagen. Ich bin nach dem Rennen natürlich gleich eine Türe weiter gegangen und sah mich strahlenden Gesichtern gegenüber. Magnus Ader, der seit 18 Jahren am Mikrophon sitzt, war megastolz. &bdquo;Wir sind ein so kleines Land und dann so ein tolles Ergebnis.“ Auf dem Parkplatz, auf dem die Wachstrucks der großen Nationen stehen, sieht ihr Wagen aus wie ein Spielzeugauto. &bdquo;Wir müssen immer versuchen, aus wenig viel zu machen“, sagt er. Das ist diesmal gelungen und es ist ein gutes Zeichen, denn in drei Jahren ist Estland mit Otepää Austragungsort der Weltmeisterschaften. Dort fanden immerhin schon mal Europameisterschaften und Juniorenweltmeisterschaften statt.

Auch ein Weltcup wurde schon veranstaltet. Wenn man jetzt noch konkurrenzfähig wäre…. Man will ja nicht wie etwa die Gastgeber der Titelkämpfe in diesem Jahr leer ausgehen. Allerdings wird es, und das hat diese Weltmeisterschaft deutlich gezeigt, für die kleineren Nationen immer schwieriger, auf den Podestplätzen zu landen. Nach dem Fluorverbot für die Skipräparierung ist augenscheinlich die Schere zwischen Klein und Groß immer weiter auseinandergegangen. Im Medaillenspiegel tauchten bis zum letzten Tag, den Massenstart-Rennen, nur fünf Nationen auf. Dass noch Lettland durch Andrejs Rastorgujevs mit seiner Silbermedaille hinzukam, ändert nichts an der Gesamtlage. Der 36jährige ist ein Einzelkämpfer, der Jahr für Jahr gerade so über die Runden kommt. Es sind vor allem jene Nationen, die auch finanziell einen gewissen Spielraum haben oder sich auch mit aller notwendigen Intensität dem neuen und immer noch ungewohnten Reglement gewidmet haben, die jetzt vorne liegen.

Tests weit vor dem Verbot Viele haben schon vor der Zeit des aufziehenden Verbotes für Fluor viel getestet. Die Franzosen etwa trafen sich im Herbst in Davos. Alle. Die Biathleten, die Langläufer, die Kombinierer und Alpinen. Sie haben sich ausgetauscht. Augenscheinlich hat es geholfen, wie man an den Ergebnissen sehen kann, denn auch die Belgier lieferten ohne Medaillen, die für sie nicht möglich sind, gute Rennen ab. Sie lassen ihre Skier von den Franzosen präparieren für 250 Euro pro Paar, das benutzt werden. Und doch ist Hoffnung da. Für alle. Die Frauen aus Estland oder auch die Herren aus den USA, die ihre Skier in einer bereitgestellten Kabine vorbereiten müssen und denen keines dieser LKW-Monster zur Verfügung steht. Die US-Boys mit ihrem Südtiroler Trainer Armin Auchentaller und den Technikern aus Bayern lagen in der Staffel nur knapp hinter der deutschen Mannschaft, um die sich neun Techniker in zwei Trucks kümmerten. Aufgrund der auch schwierigen Schneeverhältnisse und der warmen Temperaturen war Schleifen und Wachsen zweifellos so bedeutend wie nie zuvor. Allerdings waren viele auch relativ vorschnell bereit, die Ursachen fehlender Spitzenplatzierungen dem Material anzulasten und nicht unbedingt der eigenen Unzulänglichkeit. Schaut man genau auf die Ergebnisse, dann haben sich allen Widrigkeiten zum Trotz dann doch vorwiegend Athletinnen und Athleten durchgesetzt, die auch im Weltcup schon die eine oder andere Duftmarke gesetzt haben. Material hin oder her.

Wichtiger Kampf um Punkte Die Pause bis zum nächsten Rennen ist nicht sehr lange. Noch in diesem Monat treffen sich alle in Oslo am traditionellen Holmenkollen. Der Saisonausklang findet dann in Übersee statt. Zunächst in den USA, ehe dann im kanadischen Canmore die letzten Entscheidungen fallen werden. Dorothea Wierer wird dann nicht mehr dabei sein. Sie gab ihren ersten kleinen Rücktritt bekannt und startet in dieser Saison nicht mehr. Ob es mehr wird als nur eine aktuelle Pause ist fast so spannend wie der Kampf um den Gesamt-Weltcup, der bei den Herren so gut wie entschieden ist (Johannes Thingnes Boe). Bei den Damen ist ein Quartett im Rennen. Dabei ist auch Lisa Vittozzi (Platz drei im Moment), die bei den Weltmeisterschaften einmal Gold gewann und sich dazu auch mit drei Silbermedaillen schmücken durfte. Sie glänzte nicht nur mit ihren Trophäen, sondern eroberte die Herzen des Publikums im Sturm. Vittozzi war der heimliche Star dieser Weltmeisterschaft. Im Weltcup lastet eine Riesenverantwortung auf ihr. Sie muss auch noch ziemlich regelmäßig Punkte liefern, denn in der Nationenwertung der Damen steht Italien nur noch knapp an fünfter Stelle mit 4429 Punkten.

Dahinter lauern die Schweizerinnen mit 4230 Zählern bei noch ausstehenden elf Veranstaltungen. Das ist deshalb sehr bedeutend, weil die ersten fünf Nationen im nächsten Jahr im Weltcup sechs Startplätze erhalten. Von sechs bis zehn dann lediglich fünf. Angesichts der Olympischen Spiele in zwei Jahren in Mailand/Cortina wäre es extrem hilfreich für Italien, wenn man konsequent mit einem halben Dutzend im Weltcup dabei sein könnte. Klappt das nicht, kann das auch zu Lasten einer Rebecca Passler oder Hannah Auchentaller gehen. Dorothea Wierer kann nun keine Punkte mehr dazu beitragen, weshalb ihr Entschluss, die Saison jetzt zu beenden, durchaus folgenschwer für die ganze Mannschaft werden kann. Die italienischen Männer sind diesbezüglich aus dem Schneider mit einem derzeit souveränen vierten Platz vor Schweden (auch dank Lukas Hofer) und vor allem klar vor Österreich. Jetzt heißt es für alle, noch einmal sämtliche Kräfte bündeln. Auch für die Skitechniker, die vermutlich heilfroh sind, diese für sie so schwierige Weltmeisterschaft hinter sich zu haben.

Zum Autor: Sigi Heinrich Der vielfach preisgekrönte Sportjournalist (u.a. Gewinner des Deutschen Fernsehpreises und des Bayerischen Sportpreises), Buchautor und Eurosport-Kommentator der ersten Stunde (seit 1989) widmet sich in seiner Kolumne &bdquo;Sigi´s Spitzen“ der gesamten Vielfalt des Sports und wildert gerne auch in fremden Gefilden. Mal mit schmunzelndem Augenzwinkern, mal ernst und nachdenklich oder bewusst provozierend. Es soll ja für alle etwas dabei sein.

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